Bibel
Wenn Bruderliebe zu Feindesliebe wird
Sie ist zwei Kilogramm schwer und umfasst mehr als 2200 Seiten: Die neue «Stuttgarter Erklärungsbibel» will mit einem umfassenden Erklärungsteil den Zugang zur Heiligen Schrift erleichtern. Einer der Herausgeber und Mitarbeiter ist der Theologieprofessor Ulrich Heckel, Oberkirchenrat in der Evangelischen Landeskirche in Württemberg. Warum es im Jahr 2023 so eine Bibelausgabe braucht, erläutert er im epd-Gespräch mit Marcus Mockler.
epd: Herr Professor Heckel, die Bibel ist in ihren jüngsten Teilen fast 2000 Jahre alt. Woher kommt Ihre Lust, sich seit Jahrzehnten mit diesem alten Buch zu beschäftigen?
Heckel: Die Bibel ist die Grundlage der Kirche, die Grundlage unseres Glaubens und damit auch die Grundlage meines Christenlebens.
Sie behandelt die elementaren Fragen: Wo komme ich her? Wo gehe ich hin? Was sind Werte für mein Leben? Diese Fragen hatten Menschen vor
2000 Jahren genau so, deshalb bleibt das Buch aktuell. Wie gestalten wir unser Zusammenleben? Dazu gibt es im Alten Testament etwa die Zehn Gebote, im Neuen Testament die Botschaft von Jesus Christus mit dem Gebot der Liebe. Das spricht in unsere Zeit, gerade in der Flüchtlingsfrage. Was heißt es, dass wir unseren Nächsten wie uns selbst lieben sollen? Sind meine Nächsten die im Mittelmeer oder die, die hier zu Hause sind? Da hilft es, den biblischen Hintergrund herauszuarbeiten, um das Gebot besser zu verstehen.
Warum sollte sich ein Nichttheologe die neue «Stuttgarter Erklärungsbibel» gönnen?
Gerade weil die Heilige Schrift sehr alt ist. Der Text muss aus dem Hebräischen und Griechischen ins Deutsche übersetzt werden. Gesellschaftliche Umgebung und Kultur haben sich in den zurückliegenden Jahrtausenden enorm gewandelt, und deshalb ist vieles einfach erläuterungsbedürftig. Nehmen wir das Thema Antisemitismus.
Das ist ein unseliges Kapitel in der Geschichte der Kirche. Jesus war Jude - aber welche Haltung hatte er zum Alten Testament, zur hebräischen Bibel? Wie benutzen wir heute als Kirche das Alte Testament? Hier erklärt unsere Ausgabe auf dem aktuellen Stand der Wissenschaft sehr viel, weil wir etwa im Einführungsteil auch die Entstehung und die Sicht auf die Bibel als Ganzes beleuchten.
Hatten Sie persönlich eine neue Erkenntnis bei der Erarbeitung von Begleittexten?
Wir haben in der Theologie eine große Spezialisierung: Der eine ist Experte für Evangelien, die andere kennt sich am besten mit den Paulusbriefen aus. Durch die Arbeit an der Stuttgarter Erklärungsbibel habe ich selbst wieder einen besseren Überblick über die großen Linien und Querverbindungen in der Heiligen Schrift bekommen. So hat sich mein Verständnis von dem, was die Bibel mit Liebe meint, sehr vertieft. In der Kirche ist ja viel die Rede davon, dass man Gott und seinen Nächsten lieben soll. Es ist faszinierend, dass Jesus Christus das Liebesgebot sogar auf die Feinde ausweitet.
Nächstenliebe, die nur Verwandte und Freunde meint, greift zu kurz.
Wenn man neutestamentliche Situationen genauer anschaut, wo es früh zu Spaltungen in der Gemeinde gekommen ist, dann merkt man: Da kann sogar die Bruderliebe zur Feindesliebe werden.
Autor:Katja Schmidtke |
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