Rudolstadt: Ärzte raten einer jungen Mutter zur Abtreibung, doch sie entscheidet sich für das Leben
Bangen, Hoffen, Lieben – ein Kreislauf
Es hätte so schön sein können. Als Maria Tomaszewski in der 22. Schwangerschaftswoche zur feindiagnostischen Untersuchung bei ihrem Frauenarzt bestellt ist, hat sie auch ihren Mann Lars und die vier Kinder mitgebracht. Die vierjährige Greta, Charlotte (sieben), Julian (zehn) und Leonie (13) sind in freudiger Erwartung, die Familie ist gespannt auf die Fotos aus dem Bauch, auf das neue Familienmitglied. Doch es kommt anders.
Der Ultraschall liefert wohl Bilder. Was darauf zu sehen ist, versetzt die junge Großfamilie aber in Schockstarre. Der untersuchende Arzt stellt bei dem Ungeborenen eine Zwerchfellhernie fest, eine Öffnung im Zwerchfell, durch die Bauchorgane in die Brusthöhle verlagert werden können. Ganz unverblümt habe der Arzt ihr gesagt, dass das Kind in ihrem Bauch, wenn nicht schon während der Schwangerschaft, dann wohl spätestens mit der Geburt, sterben würde, erinnert sich Maria Tomaszewski. Die Lunge sei schwer geschädigt, das Kind würde nie selbstständig atmen können, auch ein Herzfehler, der sichtbar wurde, könne zu Wachstumsstörungen führen. Ein Befund, bei dem Mediziner mit einer Wahrscheinlichkeit von unter einem Prozent davon ausgehen, dass das Kind lebensfähig sein kann.
»Man hat mir geraten, über einen Schwangerschaftsabbruch nachzudenken«, sagt die junge Mutter mit einem Seufzer. Was folgt, sind Tage voller schwerer Gedanken und viele Gespräche. »Wir haben viel mit unsern Kindern geredet, wir wollten sie in unser Nachdenken und die Entscheidung einbeziehen und die Situation nicht tabuisieren,« sagt die 31-Jährige. »Da war etwas in mir, das hat gesagt, das kann gar nicht sein. Ich wollte es mit meinen eigenen Augen sehen, dass es unser Kind nicht schafft, nicht leben will. Denn, was wäre die Alternative gewesen?«, fragt Maria Tomaszewski und gibt die Antwort selbst, mit einem qualvollen Entsetzen in der Stimme. »Unser Kind hätte eine Spritze direkt in sein Herz bekommen. Für mich ist das Mord.«
Mit einem Gefühl zwischen Nicht-wahrhaben-Wollen und kämpferischer Entschiedenheit im Gepäck holen die Tomaszewskis die Meinung anderer Spezialisten ein – und fällen ihre Entscheidung: Aktiv das Leben des Babys, für das sie schon den Namen Theodor (»Geschenk Gottes«) gefunden hatten, zu beenden, kommt für sie nicht infrage. »Dennoch stand für uns fest: Das Leben muss für Theo lebenswert sein. Darum hatten wir noch in der Schwangerschaft Absprachen getroffen, damit Theo im Ernstfall nach der Geburt palliativ betreut werden könnte.«
Und dann ist der kleine Theodor da. Am 10. September 2018 erblickt er in einer Bonner Klinik mit Erfahrung im Bereich Zwerchfellhernie das Licht der Welt. Das Loch im Zwerchfell wird noch dort operativ geschlossen. Mit der Geburt aber ist noch nichts überstanden, Bangen und Hoffen wechseln sich ab. »Ich habe auch einige Kinder in dieser Zeit in der Klinik sterben sehen. Und, obwohl ich kein spiritueller Mensch bin, habe ich gebetet: ›Bitte, lieber Gott, mach, dass Theo es schaft.‹«
Später geht es für den kleinen Mann ins Herzzentrum nach Leipzig. Die Operation dort habe Theo nach Aussage der Ärzte besser gemeistert als manches gesunde Kind, berichtet die fünffache Mutter nicht ohne Stolz. Vor der Herz-Operation kommt Theo nach Jena zum Stabilisieren. Dort finden die Mediziner ein »Wunder« vor, wie Maria Tomaszewski den Befund der Ärzte zitiert, die ihr Monate zuvor zu einem Schwangerschaftsabbruch geraten hatten. »Mit einer Lungenfunktion von etwa 54 Prozent hätte keiner gerechnet.«
Die Situation ist dennoch schwierig für die Familie, sagt Maria Tomaszewski, eine Zerreißprobe zwischen Krankenhausaufenthalten und der Sehnsucht, für ihre anderen vier Kinder da zu sein. Die nämlich mussten die Mama über ein halbes Jahr entbehren. »Unsere Familie hält zusammen. Wir haben die Großeltern und auch Unterstützung von der Arbeitsstelle meines Mannes, die ihn zeitweise freigestellt hat, damit er sich um alles zu Hause kümmern kann, während ich mit Theo im Krankenhaus bin.«
Und das Leben nach den Operationen und Krankenhausaufenthalten? »Das wird sich nach Theo richten«, so Tomaszewski, die ausgebildete Ergotherapeutin ist und einige Zeit in der Altenpflege tätig war, bevor sie in Rudolstadt einen eigenen Laden für Babyartikel eröffnete. Den hat sie nun Ende des letzten Jahres erstmal geschlossen.
Im Moment ist Theo stabil, er atmet selbstständig, auch die Verdauung funktioniert inzwischen ohne Katheter. Nur ein zentraler Zugang regelt noch die Nahrungsaufnahme, bis der Reflux behoben ist, Theo ohne Hilfsmittel essen und trinken kann – ganz wie ein gesunder Junge – und endlich nach Hause darf. »Dieses Krankheitsbild ist heute heilbar«, sagt Maria Tomaszewski. »Ich kann nur jeder schwangeren Frau raten, ihre eigene Entscheidung zu treffen.«
Beatrix Heinrichs
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Autor:Online-Redaktion |
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