Landesbischof Kramer
"Christentum und Fremdenfeindlichkeit schließen sich aus"
Der Bischof der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM), Friedrich Kramer, warnt vor einem zunehmenden Alltagsrassismus in Deutschland. Die Gesellschaft müsse aufpassen, dass sie ihre Gastfreundschaft nicht verliere, sagte Kramer im Gespräch mit Matthias Thüsing. 1989 hätten sich die Menschen in der damaligen DDR eine weltoffene Gesellschaft mühsam erkämpft. Wer nun Mitbürger wegen ihrer Hautfarbe ablehne, missachte nicht nur die zentrale Botschaft der Bibel. Er schade auch dem Wohlstand des Landes.
Herr Landesbischof, die Politik überbietet sich derzeit mit Ideen, wie der Zuwanderung nach Deutschland Einhalt geboten werden kann. Ich habe den Eindruck, dass die Kirchen zu diesem Thema derzeit schweigen. Woran liegt das?
Friedrich Kramer: Grundsätzlich müssen wir als Kirche nicht jeden einzelnen tagespolitischen Vorschlag kommentieren. Zumal gerade im Bereich der Migrationspolitik derzeit vieles und leider ernsthaft debattiert wird, was menschenrechtlich nicht vertretbar und umsetzbar ist. Aus Sicht der evangelischen und auch der anderen christlichen Kirchen ist unsere Grundhaltung, dass jeder Fremde das Gesicht Christi ist. Das heißt, dass jeder Mensch, der in Not ist, Hilfe und Schutz erhalten muss. Und hier sind viele unserer Mitglieder sehr engagiert, aber auch vielerorts an ihre Grenzen gekommen.
Also ist die Debatte über die Steuerung der Migration grundsätzlich richtig, sagen Sie?
Ja. Es ist ja ein politisches Thema, das die Menschen bewegt. Es braucht auch Lösungen. Aber wir müssen diese Debatte führen, ohne dass unsere Gesellschaft in einen diffusen Rassismus verfällt. Wir dürfen den Hilfesuchenden nicht nach seinem Aussehen bewerten und davon unsere Hilfe abhängig machen. Was wir niemals in diesen Debatten verlieren dürfen, ist unsere Gastfreundschaft.
Haben wir das nicht schon?
Wenn wir aufhören, gastfreundlich zu sein, verlieren wir all das, was wir uns gerade hier in Osten Deutschlands vor 30 Jahren so mühsam erkämpft haben.
Inwiefern?
Unser Wohlstand beruht zu einem wesentlichen Teil auf Weltoffenheit. Wir müssen daher die Diskussion nicht nur in Bezug auf die Bedürftigen von außerhalb führen, sondern auch im Bereich der Arbeitsmigration. Wir brauchen ausländische Arbeitskräfte. Beispielsweise benötigen wir sie in den sozialen Diensten. Aber wer wird denn bei uns arbeiten wollen, wenn wir uns ihnen gegenüber als ungastliche oder sogar rassistische Gesellschaft zeigen.
Inwieweit belasten solche Debatten das Zusammenleben auch in Ihren kirchlichen Gemeinden?
Die Kirche ist von der Welt nicht weit entfernt, aber wir sind in der Botschaft sehr klar. Christentum und Fremdenfeindlichkeit schließen sich aus. Und doch wissen wir, dass einige Kirchenmitglieder gegenüber neurechtem Gedankengut nicht vollständig immun sind. Warum sollen wir den Ukrainern helfen, wo wir doch selbst sparen müssen, wird dann gefragt. Müssen wir uns noch mehr islamische Bürger ins Land holen?
Was antworten Sie?
In Bezug auf die Religion verweise ich auf die Bibel: Eine zentrale kirchliche Botschaft ist die Nächstenliebe und der Schutz des Fremden. Alles andere ist Überzeugungsarbeit. Aber nicht immer gibt es eindeutige Antworten. Denn natürlich kann und sollte die Frage nach Waffenlieferungen für die Ukraine diskutiert werden. Wenn nach zwei Jahren trotz zehntausenden Toten alle Waffen keinen Frieden haben schaffen können, dann müssen wir verstärkt nach Wegen für einen Frieden suchen, der aber die Ukraine nicht Russland ausliefern darf. Zugleich dürfen wir die Frage nach weiteren Waffenlieferungen nicht vermischen mit unserer Bereitschaft, den Opfern dieses Krieges zu helfen.
Man sollte doch meinen, gerade in einer solch schwierigen, vielfach krisengeplagten Weltlage sollte sich eine Hinwendung zu einer Halt gebenden, tröstenden Kirche vollziehen. Stattdessen verliert auch die EKM weiter Mitglieder.
Für die meisten unserer Kirchenmitglieder ist gerade das Erlebnis dieser Gemeinschaft tröstend und wichtig. Aber es gibt unbestreitbar diesen Mega-Trend der Vereinzelung, der Singularisierung, in unserer Gesellschaft. Nur die eigene Meinung zählt. Alle anderen sind im Unrecht. In dieser völligen Vereinzelung finden viele den Weg zur Kirche nicht mehr.
Mangelnde Gastfreundschaft, Egoismen, Rassismus. Sie zeichnen kein gutes Bild von der ostdeutschen Gesellschaft.
Das sind gesamtdeutsche Phänomene, und nein, ich zeichne kein durchweg schlechtes Bild. Sondern es gibt viele gute Beispiele für hervorragendes gesellschaftliches Engagement. Menschen sorgen sich um das Weltklima, arbeiten in sozialen Projekten mit. Oder auch die Forderung an Deutschland, dem Atomwaffenverbotsvertrag beizutreten, ist eine immens wichtige Initiative, die vor allem von jungen Menschen ausgeht. Aber es gibt eben auch Kräfte in diesem Land, die betreiben eine bewusste Spaltung unserer Gesellschaft. Das beginnt bei der Wortwahl. Bin ich ein „Biodeutscher“, wenn ich eine mexikanische Mutter habe? Und was soll diese Bewertung eines Menschen aufgrund seiner Herkunft überhaupt? Innerhalb und außerhalb der Kirche muss unsere Gesellschaft wachsam sein, dem Alltagsrassismus keine Chance zu geben.
Autor:Katja Schmidtke |
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