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Die Königin aus den Kisten: Eingelagerte Beckendorfer Kirchenorgel wird restauriert
Wie das Gerippe eines kleinen Sauriers steht auf der Empore von St. Georg in Beckendorf das Grundgerüst einer Orgel. Die Rippen leicht aus dem Lot, das Innenleben sorgsam in Kisten und unter Decken gelagert. Nur Kenner wissen um die Bedeutsamkeit dieses schlafenden Kleinods. Nun wartet dieses jahrhundertealte Fossil auf seine Wiederbelebung - nicht so spektakulär wie bei Jurassic Park, aber ebenso spannend.
Zu verdanken ist die anstehende Wiederbelebung dem Einsatz der Beckendorfer Kirchengemeinde, allen voran Prof. Dr. Dr. Reinhard Nehring. Planvoll wurde hier in den letzten Jahren erst der Turm und das Kirchenschiff stabilisiert, risssaniert und umgebaut, dann Expertisen von Restaurierungs- und Orgelfachleuten wie Dr. Bettina Seyderhelm, Frau Dr. Karolin Danz, Dr. Hoger Brülls und Orgelreferenten der Landes Kirche, Christoph Zimmermann, eingeholt. Sie alle sind sich einig: Die Orgel von Beckendorf ist ein Denkmal, dessen Strahlkraft nach der Restaurierung weit über den Mitteldeutschen Raum wirken wird. So heißt es in einem Schreiben von Brülls vom April 2021, dass die Orgelsanierung als “... ein vordringliches Erfordernis der Orgeldenkmalpflege im Bundesland eingeschätzt wird“, in einem Zuge mit den bedeutsamen Scherer-Orgeln in Tangermünde und Stendal, der Reichel-Orgel in Halles Marktkirche und der Fritzsche-Treutmann-Orgel von Harbke zu nennen ist, und „...die Beckendorfer Kirche zu einer attraktiven Konzert- und Kulturstätte von überregionaler Bedeutung ...“ macht. Darauf baut auch das Nutzungskonzept der Gemeinde für ihre Kirche. Sie möchte das die Orgel für vielfältige Konzertreihen, aber auch dem Orgelkompetenzzentrum des Kirchenkreises Egeln und der Musikschule „Kurt Masur“ Oschersleben als Schulungsorgel zur Verfügung stellen. Außerdem ist geplant, das Instrument in das Verzeichnis der historischen Orgeln Sachsen-Anhalts aufzunehmen, um auch überregional um Touristen werben zu können. Seit 2016 wird die angestrebte Restaurierung der Orgel fachlich durch den Orgelsachverständigen des Kirchenkreises Egeln, Herrn Kantor Werner Jankowski gemeinsam mit dem Herrn Christoph Zimmerman begleitet.
Das laut Kirchenrechnung 1672 erbaute Instrument wird dem Quedlinburger Orgelbaumeister Johann Decker (1639-95) zugeschrieben. Damit stammt die Orgel aus der Barock-Zeit: Die Region erholte sich von den Folgen des Dreißigjährigen Krieges, im Gebiet des heutigen Sachsen-Anhalt wurden die letzten vermeintlichen Hexen verbrannt, in Europa und Amerika florierte der Handel mit afrikanischen Sklaven... In eben diese Zeit wurden aber auch musikalische Genies wie Georg Friedrich Händel und Johann Sebastian Bach geboren. Die Orgel soll bei ihrer Restaurierung in Stimmung und Stimmhöhe wieder in diese Zeit, also in den Originalklang zurückversetzt werden. Damit sich dieser Klang vorteilhaft ausbreiten kann, wird die Orgel an die Brüstung der 2017 verlängerten Empore gerückt. Auch innenarchitektonisch ist dies eine gute Entscheidung, denn so rückt das Instrument optisch in eine Sichtachse zum gegenüberliegenden hölzernen Altar von 1684. Die eingelagerte originale Prospektfront der Orgel ist weitestgehend erhalten, wenn auch in desolatem Zustand. Nach der Restaurierung werden die originalen Prospektpfeifen im Wechsel in „Spitztürmen“, „Flachfeldern“ und „Rundtürmen“ präsentiert und, genau wie der Altar, mit Schleierwerk eingefasst. Weiterhin sind eine hölzerne Kanzel von 1682, ein großes geschnitztes Kruzifix von 1667 und ein Taufengel von 1740 als besondere Ausstattungselemente des Langhauses von St. Georg zu nennen. Die aus dem 13. Jahrhundert stammende ehemalige Weinbergskapelle des Klosters Hamersleben wurde im 17. Jahrhundert zu der heute bestehenden Form umgebaut. Lediglich der romanische Kirchturm wurde 1851 durch einen neuen ersetzt. Die dort befindliche historische Balganlage wird zukünftig auf der Orgelempore hinter dem vorgerückten Orgelwerk aufgestellt sein.
Die einmanualige Orgel mit 13 Registern und seitlich angebauter Spielanlage wurde in den Jahren 1794/95 von der Orgelbauwerkstatt Johann Daniel Boden und 1852 von dem Orgelbauer Christian Braune repariert. Eine letzte Generalinstandsetzung erfuhr sie 1936 durch die Firma Rühlmann. Dabei wurde unter anderem das Manualklavier zur Gänze erneuert. In den Zeiten der DDR-Mangelwirtschaft geriet das Instrument wartungstechnisch derart in Rückstand, dass es ab den 1960er Jahren nicht mehr nutzbar war. Erst 1984 wurde es auf Initiative von Orgelforscher Michael Behrens wieder spielbar gemacht. Schlussendlich wurde die Orgel bei Restaurierungs- und Umbauarbeiten des Kirchenschiffs in den 1990er Jahren fachgerecht eingelagert. Bei der Bestandsaufnahme verzeichnete Orgelbauer Reinhard Hüfken 13 klingende Register. Davon sind fünf Originale, fünf Register wurden 1936 ersetzt und drei sind nicht mehr besetzt.
Wenn die jetzt anstehende Restaurierung nach Plan läuft, wird der ebenfalls im Original erhaltene Zimbelstern an Heiligabend 2022 in der Gemeinde nicht nur Kinderaugen leuchten lassen. Noch vor Ende dieses Jahres 2021 wurden die Arbeiten an der Orgel durch die Firma Orgelbau Reinhard Hüfken Halberstadt, unter der fachlichen Leitung von Johannes Hüfken, aufgenommen. Die Beckendorfer Gemeinde wird in der Finanzierung der Restaurierung zu einem hohen Anteil von der LEADER/CLLD Aktionsgruppe Börde unterstützt. Finanzielle Zuwendungen kommen auch vom Evangelischen Kirchenkeis Egeln. Weitere Anträge zur Unterstützung liegen der Kunst- und Kulturstiftung und dem Orgelfond der Landeskirche vor.
Gern können auch Sie die Aktion "Der Countdown läuft: 7000 Euro für 703 Pfeifen" unterstützen:
Empfänger: Ev. Kirchenkreis Egeln | Salzlandsparkasse IBAN: DE06 8005 5500 3034 1061 99 | Verwendungszweck: Decker-Orgel Beckendorf
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Autor:Annett Bohse-Sonntag |
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