Nachgefragt
Ehrenamtliche: Staat sollte Kirchenasyl als Ergänzung sehen
46 Kirchenasyle gibt es derzeit in Kirchengemeinden der EKM. Organisiert und betreut werden sie vielfach von Ehrenamtlichen. Rena S.* ist eine von ihnen. Seit 15 Jahren bietet ihre Kirchengemeinde in Thüringen Schutzsuchenden Asyl. Mit Beatrix Heinrichs hat sie über die Herausforderungen dieser besonderen Aufgabe gesprochen.
Warum sollten Kirchengemeinden Asylsuchenden Schutz gewähren?
Rena S.: Den meisten Menschen, die hier in Deutschland ankommen, droht ein Abschiebeverfahren. Und mit dem sind sie massiv überfordert. Wir hatten eine Familie aus Afghanistan im Kirchenasyl. Nach allem, was wir von ihrer Geschichte wussten, wäre sie in den sicheren Tod abgeschoben worden. Da kommen wir als Christen ins Spiel. Wenn wir von Menschenwürde und deren Schutz reden, dann können wir hier unsere Nächstenliebe konkret werden lassen.
Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit eine Gemeinde Asylsuchenden Schutz anbieten kann?
Zunächst muss der Gemeindekirchenrat wie auch Pfarrerin und Pfarrer dem Vorhaben aufgeschlossen gegenüberstehen. Das ist die formell-rechtliche Voraussetzung, die gegeben sein muss. Dann müssen auch die entsprechenden Räumlichkeiten zur Unterbringung der Menschen vorhanden sein. Das Minimum ist ein Zimmer. Auch Bad- und Küchennutzung muss möglich sein. Auch die finanziellen Mittel müssen aufgebracht werden, aber das hat sich meiner Erfahrung nach nie als Problem erwiesen. Am wichtigsten ist ein gut funktionierender Helferkreis, denn mit dem steht und fällt das Kirchenasyl.
Warum ist der so entscheidend?
Man darf nicht vergessen, dass die Menschen oft ein halbes Jahr und im schlechtesten Fall bis zu eineinhalb Jahre in der Isolation leben und das Kirchengebäude oder Pfarrhaus nicht verlassen dürfen. Auf diesen beschränkten Raum sind sie völlig zurückgeworfen. Ein Segen ist es da, wenn es noch einen Pfarrgarten gibt, der mit genutzt werden kann.
Sie haben in Ihrer Gemeinde bisher fünf Kirchenasyle begleitet. Wie haben Sie die Menschen praktisch unterstützen können?
Unser Helferkreis hat sich um die Behördengänge, die Kommunikation mit den Anwälten, Arztbesuche und Einkäufe gekümmert. Auch tägliche Besuche hat der Helferkreis organisiert. Zudem haben wir immer Deutschunterricht im Kirchenasyl angeboten. Es lässt sich ein engerer Kontakt herstellen, wenn die Sprachbarriere nicht so hoch ist. Wir haben auch oft zusammen gekocht und Gesellschaftsspiele gespielt. Aber diese Angebote sind nicht alles. Die Menschen wollen auch etwas zurückgeben.
Wie kann man das gewährleisten?
Im besten Fall durch Aufgaben, die die Menschen erledigen. Man darf das nicht unterschätzen. Sie bekommen ja von uns als Gemeinde vielfältige Unterstützung. Und da haben viele das Bedürfnis, etwas zurückgeben zu wollen. Manche brauchen das auch einfach. Der Tag muss sinnvoll gefüllt sein. Sonst drohen die Menschen in dieser Isolation in eine Depression abzugleiten.
Wie gehen Sie als Helferin mit Herausforderungen wie diesen um?
Darüber habe ich nie nachgedacht. Ich habe einfach getan. Mein Ziel war es immer, die Menschen stabil zu halten, die bei uns Schutz gesucht haben. Wer selbst psychisch gefestigt ist, kann diese Situationen gut aushalten. Wer das nicht ist, sollte vielleicht lieber den Einkauf organisieren, aber den persönlichen Kontakt nicht zu nah werden lassen. Es gibt persönliche Schicksale, die müssen ausgehalten werden. Aber das gehört für uns Christen zur Barmherzigkeit dazu, die Menschen und ihre Geschichten mit zu tragen.
Wo können sich Kirchengemeinden, die sich mit der Idee tragen, ein Kirchenasyl anzubieten, Beratung und Unterstützung suchen?
Für Kirchengemeinden gibt es viele Hilfestellungen, zum Beispiel von der Migrationsbeauftragten der EKM. In größeren Städten bestehen oft Helferkreise außerhalb der kirchlichen Strukturen, die gut vernetzt sind. Auch Juristen gibt es, die beratend zur Seite stehen. Fast noch viel wichtiger aber ist es, die Menschen vor Ort zu finden, die das Vorhaben mittragen. Das müssen gar nicht immer nur Christen oder Mitglieder der eigenen Kirchengemeinde sein. Das Thema beschäftigt ja weit über diesen Kreis hinaus. Und darin liegt auch eine Chance, sich als Kirchengemeinde positiv darzustellen.
Dennoch bleibt das Kirchenasyl umstritten. EKD-Ratsvorsitzende Kirsten Fehrs sagte kürzlich, es sei nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung. Wie sehen Sie das?
Ein Kirchenasyl ist nie eine Einbahnstraße. Es ist ein Vertrauensbeweis. Und es kann eine persönliche Bereicherung sein. Ich wünsche mir keine Verurteilung des Kirchenasyls, sondern, dass man es als eine Chance sieht, Menschen Schutz zu gewähren – und zwar da, wo es an staatlichen Möglichkeiten fehlt. Wenn der Staat unser christliches Engagement als Ergänzung zu sich sieht und nicht als kontraproduktiv empfindet, dann würde viel Angst genommen werden – bei Kirchengemeinden wie Asylsuchenden.
* Der Name der Gesprächspartnerin ist der Redaktion bekannt.
Autor:Beatrix Heinrichs |
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