Halle
Freiluftausstellung bei Franckes
Hier kam 1982 mein Sohn in die Schule. Dort saßen die Kinder in der ersten Etage bei Regenwetter mit Eimern in ihrer Klasse!“, erinnert sich Pastorin Christel Riemann-Hanewinckel. Dieser punktuelle Rückblick macht deutlich, wie es überall in den 1980er-Jahren in den Franckeschen Stiftungen zu Halle aussah.
Das Jahr 2020 haben die Stiftungen unter das kraftvolle Motto „Berge versetzen. Über Tatkraft in Geschichte und Gegenwart“ gestellt. Die Wiederbelebung der Stiftungen nach der Wende ist ein deutliches Beispiel dafür. Im Frühsommer 1990 gründeten engagierte Bürger den Freundeskreis der Franckeschen Stiftungen und hatten sich das damals schier unmöglich scheinende Ziel gesetzt, das historisch einzigartige Gebäudeensemble aus seinem ruinösen Zustand herauszuholen und zu neuem Leben zu erwecken. Ein bürgerschaftliches Engagement, das seinesgleichen sucht.
Auch wenn Gottesdienste, Theater, Museen und Ausstellungen derzeit aufgrund der Corona-Pandemie nicht besucht werden können, warten die Stiftungen mit einer Freiluftausstellung auf, die zeigt, wie sich die baulich imposante barocke Anlage in den vergangenen 30 Jahren entwickelt hat.
„Mit Tatkraft und Gottvertrauen. Vom Wandel der Franckeschen Stiftungen seit 1990“ ist die Schau betitelt, die – auch ohne Coronavirus – als Freiluftausstellung konzipiert war und – so der Plan – bis in den September zu sehen sein soll. 40 beeindruckende Motive von verschiedenen Fotografen aus dem Stiftungsarchiv und sieben monumentale Fahnen an einzelnen Gebäuden und Durchgängen lassen noch einmal den Zustand aus den Jahren 1984 bis 1990 aufleben. In Korrespondenz zum heutigen Aussehen verweisen sie in sehr beeindruckender Wiese auf die Vernachlässigung.
„In der Erinnerung verschwimmt, wie renovierungsbedürftig die Stadt, aber auch die Franckeschen Stiftungen waren“, erklärt Stiftungsdirektor Thomas Müller-Bahlke, der das, was in den Stiftungen geschehen ist, als „Vorzeigebeispiel für den Wiederaufbau Ost“ bezeichnet. Er betont: „Ohne den Freundeskreis der Franckeschen Stiftungen wäre die Rettung der Gebäude nicht möglich geworden.“
Ein Rundgang durch das Gelände führt den Besucher zu kleinen Ausstellungsstationen rund um den Lindenhof, die mit Details bekannt machen. Heruntergefallener Putz, Schutthaufen, desolate Fachwerkhäuser, deren morsche Balken am Zusammenbrechen waren, zeigen den erschütternden Zustand, beweisen mit dem Blick auf das Heute aber, was mit Tatkraft und Gottvertrauen möglich wurde. Seit September 2019 liefen die Vorbereitungen zur Ausstellung, so deren Kuratorin Kerstin Heldt. Die Schau will als künstlerische Intervention das Ensemble in Szene setzen und nutzt dabei das Thema Baustelle als künstlerisches Element. Ausstellungsmacher Gregor Müller von der Berliner Agentur „Anschlaege.de“ hat für die Ausstellungspunkte Gerüste aus Bauplanken und -planen verwendet.
Interessant sind allemal auch die Zitate von ehemaligen Bewohnern der Stiftungen. „Bei der Rückkehr vom Wochenendbesuch bei meinen Eltern hatte ich in meinem Rucksack statt sauberer Wäsche Holzscheite zum Anheizen des Kachelofens in meinem Konviktszimmer“, so beispielsweise Ilka Reckmann. Hans Dieter Wöllenweber erinnert sich daran, dass die Fachwerk-Langhäuser Abenteuer pur waren: „Ein Ritt auf dem Rücken des ausgelagerten Krokodils der Naturalien-kammer ließ uns nach einem Knacken angstvoll davonstieben.“ Und der Theologieprofessor Helmut Obst, einer der für die Stiftungen engagiertesten und bedeutendsten Personen der letzten Jahrzehnte, macht deutlich: „Das Francke-Denkmal war mir stets ein Symbol der Hoffnung und Zuversicht.“
Der Freundeskreis der Franckeschen Stiftungen hat heute übrigens mehr als 1 000 Mitglieder.
Claudia Crodel
Autor:Claudia Crodel |
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