Vorgestellt
Kirche für den Kiez
Auf dem Vordach der Berliner Genezarethkirche singen und tanzen die Musiker des Chorkollektivs „Heartchor Love“. Bei Stücken wie „I was born this way“ oder „My love ist your love“ swingen die Menschen vor der Kirche mit. Immer mehr Passanten bleiben stehen und blicken nach oben.
Von Silke Nora Kehl
Mit dieser Eröffnung ist dem Projekt „Startbahn“ ein wichtiges Anliegen gelungen: die unterschiedlichsten Menschen zu erreichen – zumindest für einen Moment. „Wir möchten die Genezarethkirche für den Kiez öffnen“, sagt Pfarrerin Jasmin El-Manhy. Da in Neukölln immer weniger Menschen traditionell christlich geprägt seien, wolle das „Startbahn“-Team neue Wege gehen, so die Pfarrerin.
Dazu wurde der Kirchenraum komplett umgestaltet: Wo Kirchenbänke standen, liegt nun ein großer runder Teppich mit Sitzkissen. Der Raum wird sowohl von Meditations- und Yogagruppen genutzt als auch für Besprechungsrunden in entspanntem Rahmen. Die in leuchtendem Sonnengelb, sattem Grün und kräftigem Rot gestrichenen Sitzflächen auf den Emporen stehen allen Anwohnern und Besuchern offen. Wer mag, kann sich hier zum Co-Working treffen – für Arbeitsgruppen stehen Tafeln und Whiteboards bereit. Große Blumenarrangements und Liegestühle unter Palmen schaffen eine einladende Atmosphäre.
„Unser Anliegen ist, dass die Menschen hier diese Kirche zu ihrer Kirche machen“, sagt Christian Nottmeier, Superintendent des Kirchenkreises Neukölln. Er ist zusammen mit den Kirchenkreisen Stadtmitte und Tempelhof-Schöneberg Träger des Projekts „Startbahn“. Nottmeier und die stellvertretende Superintendentin Anja Siebert-Bright haben es mit konzipiert und initiiert. Bespielt wird es nun von fünf Projektpartnern: Dem „Berliner Segensbüro“, wo die Pfarrerinnen Jasmin El-Manhy und Susann Kachel eine Anlaufstelle für Menschen sind, die sich in einschneidenden Lebenssituationen christliche Begleitung wünschen. Mit dem geistlichen StartUp „Spirit & Soul“ bieten die Pfarrerinnen Lioba Diez und Anja Siebert-Bright Meditationen auf dem Tempelhofer Feld und Gesprächsabende zu existenziellen Fragen an. Das Künstler-Kollektiv „pio_near“ vermittelt Kulturschaffenden die Kirche als temporäre Künstlerresidenz und Probemöglichkeit. Weitere Projektpartner der „Startbahn“ sind das Diakoniewerk Simeon sowie die Arbeitsstelle „Theologie der Stadt“.
Interaktive Formate für Gottesdienste
Soll es überhaupt noch Gottesdienste in der Genezarethkirche geben? Ja, sagt Jasmin El-Manhy. Allerdings möchte die Pfarrerin dafür neue Formate entwickeln. Sie sollen interaktiv entstehen und sich an den Bedürfnissen der Menschen orientieren. „Ganz viele sehnen sich danach, innere Ruhe zu finden, den Kontakt zu sich selbst zu spüren.“
Gerade bei existenziellen Themen wie Geburt, Tod, Eheschließungen, aber auch Scheidungen wünschten sich die Menschen spirituelle Begleitung. Zugleich möchte sie mit der „Startbahn“ auch „dem Rückzug ins Private etwas entgegensetzen“, so El-Manhy. „Wir sind froh, wenn wir politischen Akteuren wie Fridays for Future oder United for Rescue hier einen Raum geben können.“
Die Frage, ob das Konzept evangelisch geprägt sei, beantworten die „Startbahn“-Akteure mit einem klaren Ja: „Das evangelische Profil liegt in der Freiheit“, erklärt Superintendent Christian Nottmeier. Und Susann Kachel ergänzt: „Neue spirituelle Formate und evangelische Prägung schließen einander ja gar nicht aus. Die Gesellschaft hat sich verändert – und deswegen muss Kirche sich auch verändern.“ In Berlin wisse zum Beispiel kaum noch jemand etwas über parochiale Strukturen – also darüber, welcher Kirchengemeinde man formal angehöre, so Kachel.
Für die kommenden Jahre plane das Segensbüro daher, drei große Wegmarken des Lebens auf ganz neue Art zu feiern – ohne die christliche Tradition dabei aufzugeben. „Wir möchten alle jungen evangelischen Eltern anschreiben und sie zu einem großen Tauffest in ein Strandbad einladen“, erklärt Pfarrerin Kachel. Mit dem für das Jahr 2023 geplanten Angebot wolle man eben die Menschen erreichen, die keinen Bezug mehr zu einer Gemeinde hätten. Zuvor solle es, in Anlehnung an den mexikanischen „Dia de los Muertos“, im November 2022 ein Totenfest geben. „Keine Beerdigung, sondern ein Ritual, um der Toten zu gedenken.“ Und für den Mai 2022 ist ein „Hochzeits-Popup“ geplant, bei dem Heiratswillige sich spontan christlich trauen lassen und danach mit Sekt anstoßen können. Dabei gebe es allerdings ein Problem, erklärt Kachel: „Für eine kirchliche Trauung muss man in Deutschland standesamtlich verheiratet sein. Segnen hingegen ist immer möglich. Wir wollen die Menschen kirchlich verheiraten ohne Standesamt bei diesem besonderen Event. Und das ist ein bisschen kniffelig.“ Dem Team des Segensbüros fällt dazu aber sicher noch etwas ein.
Autor:Online-Redaktion |
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