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Achava: "Gleißendes Licht" verbindet
Musikalische Rituale sind treue Freunde

Komponist Marc Sinan | Foto: Graz Diez

In dem Projekt »Gleißendes Licht« trifft musikalische Schönheit auf die dunklen Abgründe menschlichen Handelns. Das Besondere: Gespielt, gesungen und gesprochen wird das Stück von Marc Sinan von einem heterogenen Ensemble – an vier Aufführungsorten gleichzeitig. Beatrix Heinrichs sprach mit dem Berliner Komponisten und Gitarristen über Hintergründe und Realisierung dieses musikgewordenen Gedenkens.

Herr Sinan, Wie entstand die Idee zu dieser Neukomposition?
Marc Sinan: Vor einiger Zeit fragte mich Jonas Zipf, der Werkleiter von Jenakultur, ob ich mir Gedanken machen könnte, wie man musikalisch 1700 Jahre jüdischen Lebens in Deutschland begehen könnte. Meine Großmutter war Überlebende des Völkermords an den Armeniern. Täter und Opfer sind in meiner Biografie zu vereint, das wirkt tief hinein in meine Wirklichkeit. Das habe ich in zahlreichen anderen Stücken verarbeitet. Mein Beitrag, als Enkel der Tätergeneration in Deutschland, konnte sich nur auf die Shoah beziehen. Sicher ist das für mich eines meiner zentralen Lebensthemen: Welche Kraft in uns Menschen ist verantwortlich für den Willen, andere systematisch zu vernichten? Wie ergreift die Bestie Besitz von uns?

Wie fließen diese Fragen ein in Ihre Komposition?
Ich wollte ein Stück machen über Schuld und die Gleichzeitigkeit von Notwendigkeit und Unmöglichkeit zur Vergebung. Grundlage ist der Psalm 58 und der offene Brief, den Batsheva Dagan, die Ausschwitz überlebte, 1945 an ihre Peiniger schrieb. Und der Gedanke Hannah Arendts, die in etwa sagt: Nichts ist wieder gut zu machen, wo Menschen wirklich handeln. Ich sage: Unsere Aufgabe ist es, es dennoch zu versuchen, denn in diesem unmöglichen Versuch entsteht die emphatische Gesellschaft.

Was hat es mit dem Titel auf sich?
Das hat sehr persönliche Gründe, die sich vielleicht dechiffrieren lassen im gleichnamigen Roman, der nächstes Jahr erscheinen wird. In jedem Fall ist gleißendes Licht sicher eine vieldeutige Metapher. Jede Lesart, die mir hierzu einfällt, erscheint mir treffend.

In einem gemeinsamen Konzert verbindet das Stück mit Buchenwald, Berlin, Jena und Jerusalem vier Aufführungsorte. Wie ist das "logistisch" möglich?
„Gleißendes Licht“ ist in gewisser Weise ein kleines Wunder der Digitalisierung und wäre in dieser von uns erhofften Synchronizität vor wenigen Jahren noch Milliardenkonzernen oder großen Fernsehanstalten vorbehalten gewesen. Zentral ist aber die Theatralität des Vorgangs. Die Symbolkraft zählt: Wir Menschen sind unsichtbar zu allen Zeiten miteinander verbunden: Eltern, Kinder, Jung, Alt, Täter, Opfer. Der digitale Raum ermöglicht, dass wir das auch sichtbar machen können, spielt aber im Grunde keine Rolle. Diesen Vorgang halte ich für eine Art Erwachsenwerdung von Digitalität, die oft vordergründig eingesetzt wird, so als würde man in Filmen immer rufen: Schaut mal, wir filmen!

Was vermag Musik, was andere Gedenkformate nicht leisten können?
Musik vermag wenig und alles zugleich. Wir dringen mit Musik in eine emotionale, seelische und intellektuelle Tiefe vor, die anderen Ausdrucksformen verschlossen bleibt. Sie ist die einzige zeitbasierte Kunstform, so wie die Welt, die wir Menschen wahrnehmen, unsere Wirklichkeit, unweigerlich verbunden ist mit der Kontinuität von fortschreitender Zeit. Deshalb sind musikalische Rituale auch unsere treuesten Freunde unter den Formen des Gedenkens, denn so, wie wir geboren werden, leben und sterben, entstehen und vergehen auch Klänge. Sie erreichen unsere Herzen besser als jede andere Form des von Menschen gemachten Ausdrucks. Musik ist der Beweis für die Existenz des Metaphysischen, denn genau das ist sie im Kern. Daran glaube ich zutiefst. Wieviel ärmer wäre die Welt ohne die Matthäus Passion! Wieviel mehr sagen uns Bachs Töne, als „nur“ der nackte Text! „Wer Ohren hat, der höre“, sagt Jesus irgendwo in der Bibel.

"Gleißendes Licht": 29. September, 20 Uhr, Volkshaus Jena (per Livestream zugeschaltet sind Programmteile aus Buchenwald, Berlin und Jerusalem)

Autor:

Online-Redaktion

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