Porträt
Wenn Polizisten im Stuhlkreis sitzen
Ich denke, nach 22 Jahren darf ich als alte, weiße Frau als Landespolizeipfarrerin abtreten. Damit schaffe ich doch auch Raum für unseren Nachwuchs.
Von Uwe Kraus
Unsere Polizei-Kollegen gehen mit 60 Jahren. Wie sieht das denn aus, wenn da Pfarrerinnen um die 70 rumspringen und sich um die Beamten kümmern? Die erleben doch eine ganz andere Lebenswirklichkeit.“
Thea Ilse lehnt sich zurück, nimmt einen Schluck Tee mit jordanischem Salbei und Zimt. „Ich bin im Gottesdienst liebevoll verabschiedet worden. Ich habe jetzt einen Strich drunter gemacht. Jetzt kommt die Kür!“ Man trifft die Pfarrerin künftig in der Klinikseelsorge im Krankenhaus Bergmannstrost. „Ich werde doch meine Gaben nicht versauern lassen,“ sagt die Pfarrerin, die immer wieder von Polizei-Kollegen und der Polizeifamilie spricht.
„Wir gehören nicht zur Polizei. Das ist ein großer Vorteil. Wenn ich in Aschersleben an der Fachhochschule der Polizei Berufsethik unterrichte, wissen die Frauen und Männer, ich bin dort nicht als missionierende Pfarrerin tätig. Das ist die Basis, auf der wir uns treffen.“ Der Beruf hat viel Energie gekostet, aber gleichzeitig Kraft geschenkt, bilanziert die Frau, die sich eigentlich nach zehn Jahren als Polizeipfarrerin beruflich verändern wollte. „Ist mir nicht gelungen“, fügt sie fast lakonisch hinzu. „Ich bin meiner Landeskirche unendlich dankbar, dass sie mir immer Raum für Projekte und eigene inhaltliche Schwerpunkte gab. Sonst wäre es langweilig geworden und ich gegangen.“
Als Landespolizeipfarrerin hatte sie die Fachaufsicht, ihre Kollegen waren bei den Kirchenkreisen angestellt. Die große Chefin wollte sie nicht sein. „Jeder weiß, ich bin eine Teamerin.“ Als Netzwerkerin könne sie prima koordinieren und Menschen zusammenbringen. Ihre Kollegin Katja Vesting, die bisher Polizeipfarrerin im Kirchenkreis Halle war, ist seit einigen Tagen ihre Nachfolgerin.
„Ich komme aus dem Stall ›Vertrauen wagen‹, sie aus der Abteilung Misstrauen“
Seit ihrem Start am 1. April 2002 hat sich viel geändert. Dass sie Stammgast bei den Studenten in Aschersleben war, schuf Vertrauen. Gleichzeitig lernte Thea Ilse Menschen kennen, denen sie heute als Polizei-Kollegen begegnet. „Als wir die Supervision für die Kollegen einführten, die sich mit Kinderpornografie befassen müssen, war das erstmal fremd für sie, im Stuhlkreis zu sitzen und zu reden.“ Das änderte sich im Laufe der Jahre und mit einer neuen Generation Polizisten. Mehr Frauen sind darunter. Gerade seit 2019 kommen verstärkt Studenten mit Migrationshintergrund.
Unterdessen bietet Thea Ilse eine Seminarreihe „Interkulturelle Kompetenz“ für 50 Multiplikatoren an. „In den sechs Wochen arbeiten wir an Haltungen, helfen die Perspektive zu verändern. Das hilft bei manchem kritischen Einsatz.“ Die Pfarrerin weiß, „ihre“ Polizisten haben es schwer. „Ich komme aus dem Stall ›Vertrauen wagen‹, sie aus der Abteilung Misstrauen.“ Die Beamten müssen manchmal Gewalt anwenden, werden unschuldig schuldig, müssen mitunter von der Schusswaffe gebrauch machen. "Da brauchen sie Menschen wie uns Polizeiseelsorger.“
Als Pfarrerin mit ihrer besonderer Beauftragung war Thea Ilse gleichzeitig für die unterdessen 400 Notfallseelsorger zuständig. „Ich verstehe uns als Notfallbegleiter, die entscheiden müssen, in welchem Tempo und aus welcher Perspektive das geschehen soll. Nur die Betroffenen wissen, welche Türen da zu öffnen sind, um rauszubekommen, was den Menschen gut tut. „Wir sind keine Rezept-Verteiler. Plötzlich wird von einem Moment zum nächsten die Welt ›verrückt‹, und wir sind da, um mit Betroffenen Wege zu finden.“
Kriseninterventionsteams bestehen aus einem ganz besonderen Menschenschlag, denkt Thea Ilse. „Sprachfähigkeit, gerade wenn es um Gestorbene geht, halte ich für wichtig. Es gibt in diesem Ehrenamt wohl keinen Beruf, den es nicht gibt; Handwerker und Ärzte, Hausfrauen und Sozialarbeiter. Unterdessen bin ich mir sicher: Gott schickt immer die Richtigen zum Einsatz.“
Die Frau, die nur mit Fahrrad und Zug unterwegs ist, sagt von sich, durch die Notfallseelsorge habe sie fast alle Posemuckel-Orte kennengelernt. Von Arendsee bis Zeitz sei sie bis 2009 durch die Landkreise getingelt, um die Notfallseelsorge aufzubauen und Träger für sie zu suchen. „Während dieser Touren festigte sich meine Meinung: Im ÖPNV lernt man das wahre Leben im Land kennen, was ziemlich gut für die Sozialkompetenz ist.“
Autor:Uwe Kraus |
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