Christhard Wagner aus dem Thüringer Landtag
Zwischen den Fronten
Aus dem Thüringer Landtag wird Christhard Wagner sich bald verabschieden. Nach zehn Jahren als Beauftragter der Evangelischen Kirchen geht der Theologe in den Ruhestand.
Von Paul-Philipp Braun
Im richtigen Moment die Zähne zusammenbeißen, dann sinkt das Risiko eines Kieferbruchs, falls du einen Schlag ins Gesicht bekommst." Das war einer der wichtigen Hinweise, die ein befreundeter Zahnarzt Christhard Wagner gab, bevor dieser sich als Landesjugendpfarrer mit jeweils zehn links- und rechtsradikalen Jugendlichen an einen runden Tisch setzte. "Die Befürchtungen waren nicht unbegründet. In Eisenach herrschte damals eine richtiger Krieg zwischen den Jugendlichen", erinnert sich Wagner.
Dass er mit einem Gesprächsangebot an beide Seiten, einem ausgefeilten Jugendclub-Konzept und Unterstützung durch öffentliche Einrichtungen und Behörden diese Fehde beilegen konnte, ist bis heute einer seiner großen beruflichen oder besser politischen Erfolge. Wagner spricht von einem "Waffenstillstandsabkommen", das dazu getroffen wurde. Einer, der ihn damals unterstützte, sei der Leiter der Eisenacher Polizeiinspektion Raymond Walk, heute CDU-Landtagsabgeordneter, gewesen.
Das alles ist inzwischen gut 25 Jahre her. Die Zeiten hätten sich seitdem verändert, sagt Wagner und blickt dabei durch den großen Plenarsaal des Thüringer Landtags. Allein sitzt er hier zwischen den Plätzen der rot-rot-grünen Regierung und der AfD. Denn obwohl die Volksvertreter des Landes sich gerade zum monatlichen Plenum treffen, ist der Saal in der Erfurter Jürgen-Fuchs-Straße leer. Die Parlamentarier treffen sich aus Corona-Schutzgründen im großen Saal des nahegelegenen Steigerwaldstadions.
Zehn Jahre lang vertrat der Pfarrer die Interessen der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) und der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck (EKKW) bei Landtag und Landesregierung. Er war als eine Art Diplomat in kirchlicher Mission unterwegs und hat sich in seiner Aufgabe als politischer Seelsorger zwischen den politischen Fronten bewegt. Das sei, sagt Wagner, nicht immer ganz einfach gewesen.
"Trotzdem sind unsere Anliegen als Kirche immer ernst genommen worden. Dies liegt aber auch daran, dass es eigentlich in jeder Partei Menschen in der ersten und zweiten Reihe gibt, bei denen man an etwas anknüpfen kann", erklärt Christhard Wagner und meint damit deren eigenen Kirchenbezug oder die menschliche Begegnung.
2014, mit dem Start der rot-rot-grünen Landesregierung, "als alle das Schlimmste befürchteten", und nicht wenige schon kirchliche Interessen ins Hintertreffen geraten sahen, obwohl mit Bodo Ramelow ein bekennender Protestant Ministerpräsident wurde, hatte Wagner eher die Chancen wahrgenommen. "Ich habe früh verstanden, dass es vor allem im sozialen Bereich wichtige Schnittmengen zwischen der Regierungskoalition und den Kirchen gibt. Und spätestens beim Umgang mit der Flüchtlingskrise zeigte sich das auch sehr deutlich."
"Ich habe früh verstanden, dass es vor allem im sozialen Bereich wichtige Schnittmengen zwischen der Regierungskoalition und den Kirchen gibt."
Ein Ansatz, den aber bei Weitem nicht alle Abgeordneten des Landtags teilen. Das weiß auch Wagner: "Als Beauftragte sind wir für die AfD die einzigen offiziellen Ansprechpartner der Kirche." Trotzdem gäbe es keinen engen Kontakt zur AfD. Aus Gründen, so Wagner: "Eine AfD, die unsere damalige Bischöfin in einem Positionspapier aufs Gröbste beleidigt hat, die hat den Faden zerrissen." Mehr ist es nicht, was der Pfarrer, der seit jeher gegen jegliche Form des Rechtsextremismus kämpft, dazu sagen möchte.
Viel lieber erinnert er sich hingegen an seine fast schon freundschaftlichen Beziehungen, die er zu einigen Abgeordneten, Ministern oder Staatssekretären pflegte. Besonders zu Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht habe Wagner immer einen kurzen und sehr guten Draht gehabt. Aber das sei auch nicht verwunderlich, schließlich komme das Ehepaar Lieberknecht wie er aus dem Pfarrdienst.
Solche Verbindungen sind es, die Wagners Zeit im Thüringer Landtag prägten. Verbindungen, die sich zum Teil schon während der DDR-Zeit ergaben. Da nämlich kam der Sohn eines Leipziger Theologieprofessors vom Vikariat im sächsischen Heidenau nach Thüringen; genauer gesagt nach Großenlupnitz bei Eisenach.
Er habe aus dem übermächtigen Schatten des Vaters heraustreten wollen, sagt Wagner. Durch den damaligen Superintendenten Hans Herbst erfuhr er von der Stellenvakanz in Großenlupnitz und ging zu den " freundlichen Heiden hinter dem Hörselberg", wie man im Landeskirchenamt hinter vorgehaltener Hand sagte.
Nur waren diese Heiden allerdings gar nicht so ungläubig: "Fast zwei Drittel der Großenlupnitzer waren damals Kirchenmitglieder. Für DDR-Zeiten eine unglaubliche Zahl. Das Dorf war eine kirchliche Welt, wie ich sie nie zuvor kennengelernt habe." Es sei, meint Wagner, seine wohl beste und prägendste Zeit im Verkündigungsdienst gewesen. Auch weil er, der vor dem Theologiestudium eine Lehre zum Baufacharbeiter gemacht hatte, im Ort mit anpacken konnte. Bis heute ist Großenlupnitz für den Theologen, der ab 1989 Landesjugendpfarrer, Superintendent und Dezernent für Zeugnis und Dienst im Landeskirchenamt wurde, ein Sehnsuchtsort. "Ich bin dem Dorf noch immer sehr herzlich verbunden und komme immer wieder gern zurück", sagt er und berichtet, dass er auch, wenn er ab März "Pfarrer i.R." ist, immer wieder mal dort sein will.
"Das Schöne am Ruhestand als Pfarrer ist ja, dass man weiterhin alles machen darf, aber es nicht machen muss", sagt Christhard Wagner, dessen Vorname sich mit "fest im Glauben" übersetzen lässt. Und so nimmt es denn auch nicht Wunder, dass er nach seiner Pensionierung zumindest hin und wieder nochmal predigen möchte.
Auch sein politisches Engagement will er sich in Zukunft nicht nehmen lassen. So kündigt Wagner an, sich weiterhin aktiv in einem Erfurter Netzwerk für die Bewahrung der Schöpfung einzusetzen. Auch seine Mitarbeit in der Härtefallkommission für Geflüchtete will er im Ruhestand fortführen.
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