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Nachgefragt
Bislang zu wenig im Blick: Reli ist für alle da

Michael Domsgen | Foto: epd-bild/Jens Schulze

In Sachsen-Anhalt und Thüringen hat das neue Schuljahr begonnen. Vor welchen Herausforderungen der Religionsunterricht jetzt und in Zukunft steht, darüber sprach Katja Schmidtke mit dem Religionspädagogen Professor Michael Domsgen von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Die Hochschule war im Frühjahr Ausrichterin einer Tagung anlässlich des 30-jährigen Bestehens von Religionsunterricht in sachsen-anhaltischen Schulen.

Die rechtlichen Regelungen zu kooperativem, also konfessionsübergreifendem Religionsunterricht in Sachsen-Anhalt besitzen viel Potenzial. Sie sagen, dieses sei noch nicht ausgeschöpft. Was verschenken wir da-mit? Wo konkret sehen Sie Potenzial?
Michael Domsgen: Das Potenzial der rechtlichen Regelung sehe ich darin, dass der Religionsunterricht als Angebot für die gesamte Schülerschaft gesehen wird. Die Schüler nehmen entweder am Ethik- oder am Religionsunterricht teil, so heißt es. Damit ist Religion wie auch Ethik nicht nur für eine bestimmte Schülerklientel konzipiert, etwa für die Evangelischen unter ihnen, sondern für alle. Das ist meines Erachtens strukturell und didaktisch bisher zu wenig im Blick.

Auch christliche Eltern entscheiden sich gegen Reli und für Ethik. Warum? Muss Kirche da gegensteuern?
In Deutschland herrscht Schulpflicht, anders zum Beispiel als in den USA. Um die darin liegenden Zumutungen für die Eltern zu lindern, wird dem Elternrecht eine hohe Bedeutung eingeräumt. Dazu gehört auch, dass sie frei entscheiden, welches Fach ihr Kind besucht.
Hier sollte Kirche auf keinen Fall gegensteuern. Aber Kirche sollte offensiv werben für den Religionsunterricht und deutlich markieren, dass sie ihn nicht als Beheimatungsinstanz für sich sieht, sondern als Angebot, um Religion aus erster Hand kennenzulernen. Welche Schlüsse daraus gezogen werden, also ob die Kinder sich selbst religiös verorten wollen, ist aus gutem Grund freigegeben.

Sollte der Religionsunterricht in Zukunft nur kooperativ zwischen Protestanten und Katholiken unterrichtet werden? Welche Chancen liegen darin? Wo sind Nachteile?
Das Ziel eines kooperativen Religionsunterrichts liegt zum einen darin, den Heranwachsenden Religion zu zeigen, ihnen also das Feld der Religionen in ihrer Vielfalt und den darin liegenden Möglichkeiten zur Lebensgestaltung vor Augen zu stellen. Dadurch erhalten sie idealerweise Impulse, die Möglichkeiten zu erweitern, ihr Leben zu leben. Ob sie davon dann Gebrauch machen wollen, ist ganz allein ihre Sache.
Andererseits geht es mir darum, dass Kinder und Jugendliche lernen, mit unterschiedlichen religiösen und weltanschaulichen Positionen umzugehen, indem sie sie kennenlernen und dann Mittel und Wege erleben, wie diese Vielfalt ausgehalten, also toleriert werden kann. Oft ist auch weit mehr möglich. Da zeigt sich das Potenzial der Vielfalt, die meinen Horizont weitet und mir meine eigene Position auch klarer vor Augen führt.
Aber wir sollten hier nicht zu schnell vom Optimum sprechen. Toleranz im Sinne der gegenseitigen Duldung ist ein hohes Gut. Anders ausgedrückt: Wenn der Religionsunterricht zum Religionsfrieden beiträgt, ist sehr viel erreicht.


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Autor:

Katja Schmidtke

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