Im Lockdown
Den Astronauten entdecken
Durchhalten mit Fantasie: In der zweiten Welle der Corona-Pandemie verspüren viele gerade eine Pandemiemüdigkeit. Doch das Ende der Krise ist noch nicht in Sicht. Wie hält man durch, wenn fehlt, was sonst guttut: Nähe, Berührung, Begegnung, Bewegung?
Von Franziska Hein
Niemand hat es gerade leicht, aber manche haben es besonders schwer: Alleinerziehende in einer Ein-Zimmer-Wohnung in München etwa, die sich selbst und ein Kind durch eine zweiwöchige Quarantäne bringen müssen, oder alleinlebende Singles, die sich eine eigene Familie wünschen, Senioren, die auf Pflege angewiesen sind, Jugendliche, die ihre Freunde nicht treffen dürfen. «So viele Menschen sind der Pandemie müde geworden und fühlen sich hilflos», sagt der Eichstätter Theologe und Familientherapeut Peter Wendl. Und das liegt neben den Ängsten und der Unsicherheit oft entweder an zu viel und erzwungener Nähe oder an fehlender Nähe zu anderen Menschen.
Zum einen entsteht durch verordnete Kontaktbeschränkungen und Quarantäne ein hohes Maß an Isolation. «Astronauten oder Seeleute beispielsweise werden eigens dafür geschult, das Aushalten zu lernen», sagt Wendl, der eine Broschüre zum Thema «Durchhalten in der Corona-Krise» herausgegeben hat. Zum anderen spüre man gerade, wie sehr man von anderen Menschen abhängig sei. «Wir empfinden Einsamkeit und Sehnsucht, in dieser Spannung leben wir gerade», sagt der Paar- und Familientherapeut, der am Zentralinstitut für Ehe und Familie in der Gesellschaft (ZFG) an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt unter anderem zum Thema Fernbeziehung forscht.
Aus den Erkenntnissen über Fernbeziehungen lasse sich einiges ableiten für den Umgang mit der Pandemie, sagt Wendl. Derzeit befinde man sich vielfach in einer Art Fernbeziehung: mit Familienmitgliedern, Freunden oder sogar im Homeoffice mit den Kollegen. Um damit besser zurechtzukommen, müsse man sich erstens bewusstmachen, was der Grund für die Fernbeziehung sei. Ein Job in einer anderen Stadt – oder wie derzeit die Pandemie. Die Motivation, jetzt die Kontaktbeschränkungen durchzuhalten, sei zwar durch die Bedrohungssituation einigermaßen vorhanden, sagt Wendl, dennoch falle es einigen immer schwerer, die Maßnahmen zu akzeptieren.
Zweitens ist laut Wendl eine zeitliche Perspektive wichtig. Aus der Resilienzforschung wisse man, dass Menschen sehr belastbar seien und auch über ihre Grenzen hinauswachsen könnten, wenn sie wüssten, wie lange sie durchhalten müssen. Daher gelte es, die momentanen Herausforderungen in überschaubaren Etappen anzugehen. Derzeit gehe zudem vieles verloren, was für ein besseres Durchhalten wichtig sei, wie die Vorfreude auf eine Reise oder auf Treffen mit Freunden.
Drittens komme es darauf an, auch alleine einen erfüllenden Alltag zu kultivieren. «Wir müssen lernen, diese Zeit jetzt für uns zu nutzen», sagt Wendl. Auch das habe Grenzen, wenn Menschen existenzielle Ängste und Sorgen hätten.
Laut dem Berliner Psychologen und Achtsamkeitstrainer Boris Bornemann kann jetzt auch eine gute Zeit sein, das eigene Leben zu entrümpeln. Hinter einer initialen Panik durch abgesagte Treffen lauere oft ein wohltuender innerer Friede. «Wir sollten Vertrauen und Mut haben, die Leere auszuhalten», sagt Bornemann.
Entscheidend sei schließlich, in welcher Lebensphase man sich gerade befinde, sagt Wendl. Jugendliche würden gerade auf ihr Schüler-Dasein reduziert. Für sie seien Kontaktbeschränkungen besonders schmerzhaft, weil die Peergroup sogar wichtiger sein könne als die eigenen Eltern. Auch Senioren, Alleinlebende und Singles gehörten zu denjenigen, die besondere Belastungen aushalten müssten.
Doch es gibt auch Orientierungen, die in der Krise helfen: Zunächst müsse man sich klarmachen, dass Gefühlsschwankungen jetzt ganz normal seien, rät Wendl. Es sei zudem wichtig, neben der eigenen Not auch die Not der anderen wahrzunehmen und lindern zu helfen. Viele seien derzeit dünnhäutiger und aggressiver, die Kehrseite sei Sensibilität. Es sei daher hilfreich, nachsichtiger als sonst zu sein, nicht jedes Wort auf die Goldwaa-ge zu legen und seinen Lieben ein Zeichen der Verbundenheit zu schicken. Die eigene Bedürftigkeit zu zeigen, sich anderen zuzumuten, dadurch entstehe auch Verbundenheit. Listen mit Vorhaben für die Post-Corona-Zeit seien hilfreich, denn sie seien nichts anderes als Hoffnung, so Wendl. (epd)
Autor:Online-Redaktion |
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