Erich Kästner
Kinderdorf beherbergt Inventar seines Hauses
Das Erich-Kästner-Kinderdorf in Franken trägt nicht nur den Namen des berühmten Autors - dort lagert 50 Jahre nach seinem Tod auch das Inventar seines letzten Wohnhauses. Möbel, Lesebrille,
Schreibmaschine: ein Museum, das wie ein Wohnzimmer wirkt.
Von Daniel Staffen-Quandt (epd)
Vermutlich ist es eines der letzten Telegramme, die der schwer kranke Erich Kästner verschickt. Der Text vom 13. Mai 1974 ist kurz: «Bin mit Kinderdorfbenennung einverstanden.» Nur wenige Wochen später - am 29. Juli vor 50 Jahren - stirbt der Autor von Büchern wie «Emil und die Detektive», «Pünktchen und Anton» oder «Das fliegende Klassenzimmer» an Speiseröhrenkrebs. Seit fünf Jahrzehnten also gibt es das «Erich Kästner Kinderdorf» in Unterfranken mit verschiedenen Häusern. Es ist jedoch mehr als der Name, der die Einrichtung mit dem Schriftsteller verbindet: Im Haus Steinmühle bei Oberschwarzach lagert ein Großteil von Kästners Nachlass aus seinem Münchner Reihenhaus.
Als sie das Telegramm aus München erreichte, war die Gründerin des Kinderheims überglücklich: «Wir sind heute immer noch genauso stolz wie am Anfang», sagt Gunda Fleischhauer, inzwischen 82 Jahre alt. Sie war es, die dem damals 75-jährigen Kästner im April 1974 einen fünfseitigen handschriftlichen Brief geschrieben und um die Verwendung seines Namens gebeten hatte. «Ich bin ein Nachkriegskind, alles lag in Trümmern, kaum einer wollte über die Nazi-Zeit sprechen.
Kästners Texte haben mir Zuversicht gegeben - auch, weil er sich bewusst war, dass er nicht genug getan hatte, um die Machtergreifung der Nationalsozialisten zu verhindern.»
Kästner, 1899 in Dresden geboren, ist persönlich dabei, als die Nazis auch die meisten seiner Bücher am 10. Mai 1933 in Berlin als «undeutsche Literatur» öffentlich verbrennen. Sein Werk wird offiziell verboten, aber er emigriert nicht ins Ausland, sondern schreibt unter mehreren Pseudonymen weiter, unter anderem auch Drehbücher für Kinofilme. Nach 1945 engagiert sich Kästner für Frieden und Abrüstung.
Zurück nach Oberschwarzach: Mehr als 15 Jahre betreiben Gunda Fleischhauer und ihre Mitstreiter schon das Kinderdorf, in dem schwer traumatisierte Kinder und Jugendliche ein neues Zuhause finden. Dann erreicht sie 1991 ein Schreiben, das ihnen fast den Boden unter den Füßen wegzieht vor ungläubiger Freude: Die langjährige Lebensgefährtin Kästners, Luiselotte Enderle, vermacht dem Kinderdorf einen Großteil des Inventars aus dem Münchner Reihenhaus. Tausende Bücher, persönliche Gegenstände, Möbel und vieles mehr. Nur die Erstausgaben der Kästner-Werke, seine Briefe und handschriftliche Notizen und Manuskripte gehen ins Deutsche Literaturarchiv nach Marbach.
«Nie im Leben hatten wir mit so etwas gerechnet», erinnert sich Fleischhauer. Enderle verfügt in ihrem Testament, dass der Nachlass «zur Pflege des Namens Erich Kästners» sowie «der geistigen und körperlichen Pflege der Kinder» dienen solle. Der Freude des ersten Augenblicks folgt im Kinderdorf bald Betriebsamkeit. Denn: Kästners Haus in München muss schnell geräumt werden, das Gebäude soll verkauft werden. Für das Kinderdorf ist es eine logistische Herausforderung, das Erbe abzuholen und erst einmal einzulagern.
Drei Jahre wird dann in der ehemaligen Tenne der Steinmühle gearbeitet, vieles davon in Eigenleistung, um dem Nachlass Kästners einen würdigen Ort zu geben. «Wir wollten eine begehbare, lebendige Bibliothek gestalten», erklärt Fleischhauer. 1994 schließlich wird die «Erich-Kästner-Bibliothek» eröffnet.
Es ist kein steriles Museum, in dem man das Erbe eines toten Dichters aufbewahrt. In der alten Tenne leben Kästner und Enderle ein Stück weit weiter. Hier steht eine venezianische Eckbank, dort Kästners Schreibtisch mit Lesebrille und Schreibmaschine, daneben ein Stuhl mit seinem Koffer und Hut: alles original, nichts hinter dicken Absperrungen oder in Vitrinen.
«Das Kinderdorf trägt seinen Namen, weil er den Kindern zugewandt war. Man kann sagen: Sein lebendiger Geist ist hier zu Hause. Erich Kästner ist hier zu Hause», sagt Kinderdorf-Gründerin Fleischhauer.
Und zu Kästner gehört natürlich seine Privatbibliothek. Darin finden sich auch die jährlichen Buchgeschenke von Kästners Vater an seinen Sohn oder besondere Bücher, etwa eine uralte Schmuckausgabe von Sir James Matthew Barries «Peter Pan». Ganz nebenbei entdecke man auch zutiefst Menschliches, sagt Fleischhauer. Neben Notizen in den Büchern hat sie einen - vermutlich als Lesezeichen zweckentfremdeten
- Einkaufszettel gefunden.
Spannend ist die Bibliothek nicht nur für die Mitarbeitenden oder die Kinder und Jugendlichen im Kinderdorf. «Uns allen ist sehr bewusst, was für ein Schatz in unserer Mitte lagert», sagt Tanja Wehner, die heute im Kinderheim arbeitet und früher selbst dort gelebt hat. Immer wieder kommen Gäste vorbei, viele Jahre etwa ein Münchner Kellner aus Kästners einstigem Lieblingscafé, weil er seinem Stammgast nahe sein wollte. Ein Student aus den USA reiste zum Quellenstudium für seine Abschlussarbeit an. Die häufigsten Gäste aber sind die Kinderdorf-Kinder selbst. «Für sie ist die Bibliothek ein Stück Heimat», sagt Wehner.
Autor:Online-Redaktion |
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