Sucht
Mehr Glücksspiel in der Pandemie
Für die einen ein harmloser Spaß, für andere zerstörerische Sucht: Rund 30 Prozent der Bevölkerung haben laut Glücksspiel-Survey 2021 in den zwölf Monaten davor um Geld gespielt. Daniel Krause (45) ist Suchtberater bei der Schwerpunktberatung pathologisches Glücksspiel, die an die Beratungsstelle der Diakonie Jerichower Land - Magdeburg angegliedert ist. Im Gespräch mit Lisa Konstantinidis vom Evangelischen Pressedienst (epd) spricht er darüber, warum die Pandemie die Situation vieler Glücksspielsüchtiger verschärft hat, der 2021 geänderte Glücksspielvertrag zu kurz greift und die nächste Generation Süchtiger schon in den Startlöchern steht.
epd: Die Pandemie hat die Welt seit gut zwei Jahren fest im Griff. Wie hat Corona Menschen mit einem Hang zum Glücksspiel beeinflusst?
Daniel Krause: Wir sehen in der Suchtberatung eine deutliche Beeinträchtigung durch die Corona-Krise auf mehreren Ebenen. Zum einen sind die Betroffenen außerordentlichem Stress ausgesetzt durch berufliche Belastungen, Kinderbetreuung und Homeschooling. Dazu kommt eine außergewöhnliche Langeweile, weil viele Freizeitmöglichkeiten zeitweise weggefallen sind, aber auch Dinge zur Stressbewältigung wie Fitnessstudios und Sportvereine. Dass übliche Schutzfaktoren, die über Jahre bestanden haben, auf einen Schlag wegfielen, hat zu einer Zunahme des Spielens geführt.
Glücklicherweise hatten Spielhallen teilweise ebenfalls geschlossen. Allerdings ist davon auszugehen, dass es eine massive Verlagerung des Spielverhaltens in den Onlinebereich gegeben hat. Noch liegen dazu keine Zahlen vor, aber Fachkollegen bestätigen diese Beobachtung.
Seit dem 1. Juli 2021 gilt ein neuer Glücksspielvertrag, der das Online-Glücksspiel in Deutschland legalisiert hat. Wie beurteilen Sie nach gut acht Monaten die Auswirkungen?
Ich persönlich stehe dem noch immer skeptisch gegenüber. Zwar ist das Online-Glücksspiel legalisiert worden, aber vor allem Anbieter im Bereich Online-Casino haben sich immer noch nicht bei den zuständigen Behörden registrieren lassen. Damit sind ihre Spielangebote faktisch weiter illegal.
Wir haben in der Suchtberatungsstelle daher auch das Problem, dass eigentlich für das Glücksspiel gesperrte Klienten trotzdem bei solchen Anbietern spielen können. Dabei ist die Sperrdatei eine der guten Entwicklungen des erneuerten Glücksspielvertrages. Früher mussten sich Spieler für jede Spielstätte einzeln sperren lassen. Ein riesiger Aufwand, schließlich gibt es alleine in Magdeburg 45 Spielhallen.
Inzwischen kann man sich mit einem Antrag bundesweit sperren lassen. Gleichzeitig erhalten wir aber Rückmeldungen, dass Klienten in diversen Spielhallen trotz Eintrag in der Sperrdatei spielen können. Es erfolgt dort also teilweise immer noch kein Abgleich mit der Sperrdatei. Das Ordnungsamt hat scheinbar nicht genug Personal, um das flächendeckend überprüfen zu können. Das ist aber unbedingt notwendig, damit sich die Anbieter an die für sie verbindlichen Gesetze halten. Wenn das nicht geschieht, müsste man mit drastischen Strafen oder mit Lizenzentzug drohen.
Neben dieser Sperrdatei gilt mit dem geänderten Glücksspielvertrag auch eine Begrenzung der Geldeinsätze. Hat sich das in der Praxis als wirksames Kontrollinstrument erwiesen?
Der maximale Spieleinsatz von 1.000 Euro im Monat gilt nur für den Onlinebereich. Laut Statistischem Bundesamt geben Haushalte mit einem durchschnittlichen Einkommen von 3.400 Euro im Monat circa 250 Euro für Freizeit, Unterhaltung und Kultur aus. Nun kann man mit viel Fantasie auch Glücksspiel als Freizeitgestaltung ansehen, aber 1.000 Euro... Wer hat 1.000 Euro im Monat für ein Hobby übrig? Total utopisch und viel zu hoch angesetzt. Diese Kontrollauflagen haben sich meiner Meinung nach definitiv nicht als ausreichend erweisen.
Wie müsste denn ein effizientes Kontrollsystem aussehen, das Menschen vor der Spielsucht schützt oder eben Spieler beim Kampf gegen die Sucht?
Erstmal müssten die bestehenden Gesetze auch konsequent umgesetzt werden. Bei den Ordnungsämtern muss dafür auch personell aufgestockt werden, um entsprechend kontrollieren zu können. Zwingend notwendig ist auch, von internationalen Partnern zu lernen: In anderen europäischen Ländern gibt es beispielsweise wesentlich gravierendere Werberegulierungen als bei uns. Das jüngste Beispiel, das mich vom Glauben abfallen ließ: Dass „Tipico“ jetzt bei der Sportschau als Mitsponsor auftritt. Wir ziehen uns über so eine freizügige Werbung die nächste Generation von süchtigen Spielern heran. Da sehe ich dringenden Handlungsbedarf.
Ein Argument für eine Änderung des Glücksspielvertrages im vergangenen Jahr war auch die Bekämpfung illegaler Spielangebote. Was hat sich in der Richtung getan?
Gar nichts. Zuvor war das Online-Glücksspielangebot auch schon illegal, wurde aber in keiner Weise strafrechtlich verfolgt. Dieser Bereich wurde in der Hoffnung legalisiert, an den Steuereinnahmen zu verdienen. Wir sehen aber jährliche Kosten von über 350 Millionen Euro an gesellschaftlichem Schaden im Zusammenhang mit dem pathologischen Spielen. Das heißt Schäden durch Kosten für stationäre und ambulante Behandlung von Spielsüchtigen, Beschaffungskriminalität, Gerichts- und Strafverfolgungskosten, Verluste von Arbeitsplätzen und krankheitsbedingte Fehlkosten, das wird alles von der Gemeinschaft bezahlt. Die Gewinne werden privatisiert und die Gemeinschaft muss für die negativen Folgen aufkommen. Das ist ein sehr schiefes Verhältnis.
Das Glücksspielangebot ist von Sportwetten bis zum Online-Casino breit gefächert: Lassen sich denn Bereiche ausmachen, die eine besondere Suchtgefahr bergen?
Ja, das sehen wir schon. Wegen Lotto-Problematiken kommen Klienten nicht zu uns. Aktivitäten, die keine hohe Spielfrequenz haben, sind weniger dramatisch. Aber gerade im Bereich Sportwetten, Automatenspielen und Online-Casinos stellen wir in der Beratung fest, dass das ausufernd ist. Bei kostenlosen Spielen etwa, wo im Spiel echtes Geld ausgegeben werden kann, ist die Schnittstelle zum Glücksspiel sehr dünn. Wenn man in einem solchen Spiel mit Slotmaschinen Gewinne machen kann, dann ist das schon darauf angelegt, irgendwann in Glücksspiel überzugehen.
Aktuell ist die Beratungsstelle der Diakonie Jerichower Land - Magdeburg für pathologisches Glücksspiel ein „Einhorn“ in Sachsen-Anhalt mit einer einzigen Personalstelle...
Es braucht unbedingt einen Ausbau der Beratungslandschaft in Sachsen--Anhalt. Die Landesregierung hatte uns das eigentlich zugesichert. Wir haben Klienten, die weite Anreisewege in Kauf nehmen, um zu uns zu kommen. Um diesen Menschen zu helfen, haben wir jetzt auch eine Videoberatung geschaffen. Was es aber braucht, ist eine kontinuierliche Begleitung. In Magdeburg haben wir die Möglichkeit von Gruppenangeboten, mit Blick auf das gesamte Bundesland ist das aber viel zu wenig. Es hieß, dass es in Sachsen-Anhalt vier bis fünf Beratungsstellen geben soll, darauf warten wir immer noch. Bis zum Sommer sind auch keine Veränderungen zu erwarten oder dass die Landesregierung Gelder dafür freigibt. Wir fühlen uns in dieser Hinsicht im Stich gelassen und auf verlorenem Posten.
Autor:Katja Schmidtke |
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