Soziales
«Mein Schlafplatz wurde fortgeschwemmt»
Das Hochwasser in Niedersachsen hat den Schlafplatz des wohnungslosen Jay Jay weggespült. Der 46-Jährige gehört zu den Menschen, die regelmäßig den Kontaktladen «Mecki» in Hannover besuchen. Er schläft lieber im Freien als in einer Notunterkunft.
Von Sonja Scheller (epd)
«Jay Jay», wie er sich nennt, hat Erfahrungen damit, bei Minusgraden draußen in einem Zelt zu nächtigen. Seit 24 Jahren lebt er buchstäblich auf der Straße. «Ich habe es bisher gemeistert», sagt er. Um sich am Vormittag aufzuwärmen, ist er wie an beinahe jedem Tag in den Kontaktladen «Mecki» in Hannover gekommen, einer niedrigschwelligen Anlaufstelle für wohnungslose Menschen. In dem schlicht eingerichteten Raum in Bahnhofsnähe bietet das Diakonische Werk warme und kalte Getränke und ein tägliches Frühstück an, an diesem Vormittag sind es Milchhörnchen und Eier.
Rund zwei Dutzend Menschen sitzen an Tischen oder holen sich an der Theke ein Getränk. Es herrscht ein Kommen und Gehen. «Mir gefällt das herzliche Chaos», sagt Jay Jay. «Hier treffe ich Freunde, Bekannte und Sozialarbeiter, die mir helfen.» Eine davon ist Lea Coners, die seit zweieinhalb Jahren im «Mecki» arbeitet. «Auf der Straße sind extreme Wetterbedingungen wie Regen, Schnee oder Hitze eine Bedrohung für die Existenz der Menschen», erklärt sie. «So zu leben, hat katastrophale Auswirkungen auf die Gesundheit.» Bei den Schlafplätzen im Freien sei es besonders wichtig, dass die Plätze zumindest überdacht und windgeschützt sind.
Jay Jay hatte sich zuletzt unter einer Brücke am Fluss Ihme eingerichtet. Mehrere Decken, Schlafsäcke und Isomatten helfen dem 46-jährigen Deutschen, die Nächte zu überstehen. Mit Stövchen und Brennpaste erwärmt er sich das Essen. Als im Dezember das Hochwasser kam und die Ihme über die Ufer trat, hat es ihn besonders hart getroffen. «Alles wurde fortgeschwemmt», sagt Jay Jay: Handy, Kleidung, Zelt, Kochtöpfe und sogar Weihnachtsgeschenke, die er für Freunde besorgt hatte.
Verschiedene Träger in Hannover bieten neben Tages- und Nachttreffs auch Übernachtungsmöglichkeiten in mehreren Notschlafstellen an. Aber nicht alle Betroffenen möchten in solchen Notunterkünften schlafen. Sie fürchteten gewaltsame Übergriffe oder Diebstahl, sagt Lea Coners. «Dort schlafen mehrere Personen in einem Zimmer, oft ist es überfüllt.»
Hilfsorganisationen wie die Diakonie oder die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe mit Sitz in Berlin fordern deshalb viel mehr menschenwürdige Unterkünfte. «Es braucht
Ein- und Zweibettzimmer und keine Mattenquartiere, wo man sich das Zimmer mit acht Personen teilen muss», sagt Geschäftsführerin Sabine Bösing.
Um Wohnungslosigkeit grundsätzlich zu überwinden, müsse es mehr bezahlbaren Wohnraum geben. «Von den 100.000 neuen Wohnungen jährlich, die uns die Regierung versprochen hat, sind wir leider weit entfernt», sagt Bösing. Die Bundesarbeitsgemeinschaft wünsche sich eine Quotierung für wohnungslose Menschen. Das bedeutet, dass eine Anzahl von Wohnungen extra für sie zur Verfügung gestellt wird. Denn ein sicherer Wohnraum sei der Wunsch der betroffenen Menschen. So geht es auch Jay Jay. Doch er stellt klar: «In eine Wohnung möchte ich nur, wenn ich weiß, dass es mein Zuhause ist, wo ich mich wohlfühle.»
Lea Coners und ihre Kolleginnen und Kollegen müssen im Umgang mit wohnungslosen Menschen viel Beziehungsarbeit leisten, wie sie erzählt. Unter anderem sind sie in den Straßen unterwegs, um Kontakte zu den Menschen zu knüpfen. «Viele haben das Vertrauen ins Hilfesystem verloren und erfahren Rückstöße in der Gesellschaft.» Zu häufig würden Wohnungslose noch ausgegrenzt und stigmatisiert.
Doch jeder könne auf der Straße landen, «von heute auf morgen», erläutert die Sozialarbeiterin: «Wohnungslose Menschen bilden einen Querschnitt der Gesellschaft ab.» Darunter seien sowohl Akademiker als auch Menschen, die bereits als Jugendliche auf der Straße landeten. Die Gründe reichten von Trennung über Krankheit bis zum Jobverlust.
Jay Jay hat seine Wohnung vor Jahrzehnten durch eine Trennung verloren, wie er berichtet. Mittlerweile hat er übergangsweise einen neuen Platz für sein Zelt gefunden. «Aber dort werde ich von der Stadt manchmal verscheucht.» Was Jay Jay sich wünscht? «Das kann mir keiner geben», sagt er. «Ein neues Leben.»
Autor:Online-Redaktion |
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