Sprechstunde
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Im Zuge der Corona-Krise rücken Angebote, die einen digitalen Arztbesuch versprechen, immer mehr in den Fokus der Aufmerksamkeit. Allerdings hat Telemedizin auch Schwachstellen, sagen Kritiker.
Von Sebastian Stoll
Es könnte ganz einfach sein: Man fühlt sich nicht richtig gut und will die Meinung eines Arztes dazu hören. Anstatt dafür das Haus zu verlassen, lädt man sich einfach eine App aufs Handy. Auf dieser beantwortet man zunächst ein paar Fragen – etwa, ob es um eine Allergie geht, eine Erkältung oder Akne, und bekommt dann automatisch einen passenden Mediziner zugewiesen sowie einen Termin für eine Videosprechstunde. Zu dieser ruft der Arzt dann an, führt ein Beratungsgespräch, wie er es in seiner Praxis führen würde, gibt Tipps oder Überweisungen, verschreibt Rezepte. «Seit Corona können wir feststellen, dass bei den Patienten der Wille zum digitalen Arztbesuch gestiegen ist», sagt Daniel Schneider, dessen App «Kry» all das verspricht.
Digitale Angebote versuchen schon länger, auf dem deutschen Medizinmarkt Fuß zu fassen. Durch die Pandemie haben sie einen Schub bekommen. Sie versprechen etwas, das in diesen Zeiten durchaus nützlich ist, nämlich eine medizinische Dienstleistung ohne direkten menschlichen Kontakt. Allerdings haben Telemedizinanbieter vielfach noch «Kinderkrankheiten». Zudem warnen Mediziner vor Risiken beim Datenschutz und einer Veränderung des Arzt-Patienten-Verhältnisses.
Der Telemedizinanbieter «Clickdoc» verspricht etwa dasselbe wie "Kry", wählt aber den Weg über die Ärzte, nicht den über die Patienten. Auch auf Fachdisziplinen spezialisierte Angebote gibt es, wie etwa «Online Hautarzt». Der Markt ist groß. Viele Angebote haben allerdings das Problem, dass die Beratung für die Patienten zwar kostenlos ist, ein Rezept aber privat bezahlt werden müsste. «Wir hoffen hier auf das E-Rezept», sagt Schneider. Sobald es verfügbar sei, wäre ein kostenfreies Rezept möglich.
Das Problem dabei und bei vielen anderen angebotenen Dienstleistungen: Sie sind nur dann gewinnbringend einsetzbar, wenn der Telemedizin-Anbieter Zugriff auf Patientendaten hat. Das kann ganz banale Gründe haben: Um etwa jemandem einen Ohrenarzt zu vermitteln, muss man erst einmal wissen, dass er Ohrenschmerzen hat.
Der Zugang zu diesem Wissen beherberge allerdings ein erhebliches Missbrauchsrisiko, sagt Eckhard Nagel, Professor für Medizinmanagement und Gesundheitswissenschaften an der Universität Bayreuth. Nagel leitet das vom Bundesgesundheitsministerium geförderte Projekt «Medizin 4.0», das ethische Fragen der Digitalisierung untersucht. «Eine Vermittlung ist eine organisatorische Hilfestellung, die in Krankheitsfällen einen existenziellen Charakter bekommt.» Deswegen dürfe es eine Weitergabe von Krankheitsdaten an einen privaten Vermittler generell nicht geben.
Hinzu kommt, dass nach Nagels Ansicht eine rein digitale Beratung nicht genügt, um einen Patienten kennenzulernen: «Gibt es eine Schwellung? Gibt es eine Überwärmung der Haut? Gibt es eine Verspannung? Einen Tumor, den man tasten kann?» All das sei telemedizinisch nicht zu klären. «Ein Arzt muss seinen Patienten im wahrsten Sinne des Wortes begreifen.» Nagels Einschätzung: «Wir stellen vor allem fest, dass Telekonsultation sehr gut funktioniert, wenn der Patient bekannt ist – wenn es also vorher einen realen Patientenkontakt gegeben hat. Ein erster digitaler Kontakt wird hingegen von vielen Ärzten als schwierig angesehen, weil er das komplexe Bild eines Menschen nur unzureichend wiedergibt.»
Die Erfolgsaussichten der neuen telemedizinischen Angebote sind unklar. Zwar freut sich "Kry" über ein großes Interesse. Auch ein Angebot wie das Arzt-Patienten-Portal "jameda.de" vermeldete im Juli eine im Vergleich zur Vorkrisenzeit um 400 Prozent gestiegene Nachfrage. Nagel gibt aber zu bedenken, dass zum Erfolg solcher Angebote nicht nur die Patientenseite gehöre, sondern auch Ärzte überzeugt werden müssten. Nach Nagels Überzeugung können Videosprechstunden nur eine Ergänzung sein.
(epd)
Autor:Online-Redaktion |
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