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Soziales
Strompreiserhöhungen treiben Arme in die Schuldenfalle

Runterdrehen: Wegen der deutlich gestiegenen Energiepreise müssen viele Haushalte Nachzahlungen leisten un​d außerdem höhere Monatsraten entrichten. Für Menschen mit niedrigem Einkommen kann dies der direkte Weg in die Schuldenfalle sein.  | Foto: epd-bild/Heike Lyding
  • Runterdrehen: Wegen der deutlich gestiegenen Energiepreise müssen viele Haushalte Nachzahlungen leisten un​d außerdem höhere Monatsraten entrichten. Für Menschen mit niedrigem Einkommen kann dies der direkte Weg in die Schuldenfalle sein.
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Von Markus Jantzer 

In Kürze werden viele Bürgerinnen und Bürger ihre Jahresabrechnungen für Strom und Heizung erhalten - viele von ihnen werden nachzahlen müssen. Das trifft besonders einkommensarme Haushalte. Im schlimmsten Fall wird ihnen der Strom abgestellt.

Die Haushalte erhalten in den kommenden Tagen und Wochen die Jahresendabrechnungen der Energieunternehmen. Dann werden viele wegen der deutlich gestiegenen Energiepreise Nachzahlungen leisten und außerdem ab sofort höhere Monatsraten entrichten müssen. Für Menschen mit niedrigem Einkommen kann dies der direkte Weg in die Schuldenfalle sein.

«Haushalte müssen dann ihre Ausgaben zwangsweise umschichten - was für Menschen, die in Armut leben, allerdings faktisch kaum möglich ist», sagte Joachim Rock vom Paritätischen Wohlfahrtsverband dem Evangelischen Pressedienst (epd). Auf finanzielle Rücklagen könnten sie nicht zurückgreifen, denn «sie haben keine und können auch keine aufbauen». Diese Menschen würden dann Freunde und Familienangehörige anpumpen, erwartet der Abteilungsleiter für Arbeit, Soziales und Europa: «Ihre Verschuldung steigt.»

Und sie kommen zur Schuldnerberatung. «Die Nachfrage nach Schuldnerberatung nimmt nach unseren Rückmeldungen aus der Praxis zu, insbesondere durch Soloselbstständige», sagte Andreas Aust, Sozialexperte des Paritätischen. Gerade Soloselbstständige hätten in der Vergangenheit von öffentlichen Zuschüssen, aber auch von der Substanz gelebt. «Ihre Reserven sind nun erschöpft», erklärte Aust.

230.000 Mal den Strom abgedreht

Ralf Ritter, Schuldnerberater und Geschäftsführer des Caritasverbandes für die Landkreise Uelzen und Lüchow-Dannenberg, sagte dem epd: «Die Leute kommen erst in die Beratung, wenn sie gar keinen Ausweg mehr wissen. »Etwa wenn ihnen der Strom abgestellt wird, weil sie die Rechnungen nicht bezahlen. «Dann sind sie total verzweifelt und erkennen: Jetzt brauche ich sofort Hilfe», erklärte Ritter.

In der Vergangenheit gingen laut Aust viele Energieversorger «maßvoll mit Energiesperren» um. Nach dem jüngsten Monitoringbericht der Bundesnetzagentur verhängten Energieversorger im Jahr 2020 rund
230.000 Stromsperren. Das tatsächliche Ausmaß des Problems wurde aber dadurch überdeckt, dass sowohl die Politik als auch einige Energieversorger in den ersten Monaten der Corona-Pandemie auf eine strikte Umsetzung der Sanktionsmaßnahme verzichteten, wie aus dem Bericht hervorgeht.

Nun aber sähen sich die Energieversorger gezwungen, deutlich höhere Preise aufzurufen - «und diese auch geltend zu machen», sagte Aust. Daher würden diese zahlungsunfähigen Privathaushalten den Strom abstellen, erwartet er.

Stromsperren treffen oft Familien, die vor Monatsende kaum noch Geld haben, um einkaufen zu gehen. «Das ist das Schlimmste, was ein Mensch erleben kann», sagt Ritter. Dann reiche es nur noch für Brot und Nudeln. «Es wird alles gegessen, was den Bauch voll macht und halbwegs satt. Im Extremfall hören Leute ganz auf zu essen. Das habe ich alles schon erlebt in meinen 20 Jahren, in denen ich als Schuldnerberater rund 5.000 Menschen beraten habe.»

Ursula Richter, Geschäftsführerin der Sozial- und Lebensberatung der Diakonischen Bezirksstelle im württembergischen Weinsberg, erwartet in den kommenden Wochen eine vermehrte Androhung von Stromsperren. «Die betroffenen Menschen mit geringem Einkommen und geringem Vermögen und ohne freundliche und materiell unterstützende Angehörige werden sich noch weiter als bisher einschränken», sagt sie. «Sie werden sich schämen und deswegen noch mehr versuchen, sich zu verstecken», glaubt Richter.

Die Fachfrau der Diakonie ist sich mit dem Paritätischen Bundesverband darin einig, dass die Sozialämter bei Bezieherinnen und Beziehern der Grundsicherung die Kosten für Strom und Heizung in voller Höhe übernehmen sollten. Beim Wohngeld müsse die Heizkostenpauschale angehoben werden, fordert der Paritätische außerdem. 

(epd)

Autor:

Katja Schmidtke

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