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Ukraine
«Unsere Lieder sind der Aufschrei unserer Seelen»

Millionen Menschen weltweit haben die Youtube-Videos des Kinderchors der ukrainischen Chorleiterin Olena Pertykova gesehen. Im Maerz floh sie vor dem Krieg und hat in Braunschweig eine neue Aufgabe gefunden. | Foto: epd-bild/Andreas Greiner-Napp
  • Millionen Menschen weltweit haben die Youtube-Videos des Kinderchors der ukrainischen Chorleiterin Olena Pertykova gesehen. Im Maerz floh sie vor dem Krieg und hat in Braunschweig eine neue Aufgabe gefunden.
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Chorleiterin Olena Pertykova wurde mit ihrem Kinderchor international berühmt. Dann kamen vor einem Jahr der Krieg und die Flucht. Die 43-jährige Musikerin ist eine von rund einer Million Ukrainerinnen und Ukrainern, die nach Deutschland kamen.

Von Charlotte Morgenthal (epd)

Als Coldplay-Sänger Chris Martin den ukrainischen Kinderchor ankündigte, brachen mehr als 70.000 Menschen im ausverkauften Berliner Olympiastadion in Jubel aus. «Die Kinder weinten vor Glück, sie umarmten sich und hüpften gleichzeitig vor Freude», erinnert sich Chorleiterin Olena Pertykova. Nach Wochen voller Angst und Schmerz sahen sich die über weite Teile Europas verstreuten jungen Sängerinnen und Sänger erstmals wieder.

Mit der britischen Rock-Pop-Band sangen sie den Song «Something Just Like This» gemeinsam auf der großen Bühne, ihre fröhlichen Gesichter wurden auf riesengroße Leinwände projiziert. «Diese Emotionen lassen sich nicht in Worte fassen», sagt Pertykova. Ein Jahr nach Kriegsbeginn zählt dieser Auftritt im Juli vergangenen Jahres für die nach Braunschweig geflohene Musikerin zu den Höhepunkten ihrer Zeit in Deutschland.

Das Ankommen falle ihr nach wie vor schwer, sagt die 43-Jährige. Während ihr Mann in der Heimatstadt Dnipro blieb, flüchtete sie vor fast einem Jahr mit den beiden gemeinsamen Söhnen in das rund 2.000 Kilometer entfernte Braunschweig. «Als Raketen auf unsere Stadt flogen, war für uns klar, dass es für unsere Kinder nicht sicher war, in der Ukraine zu bleiben.» Pertykova ist damit eine von mehr als einer Million Ukrainerinnen und Ukrainern, die nach Angaben des Bundesinnenministeriums seit Kriegsbeginn nach Deutschland kamen.

«Wir bereiten uns jetzt auf ein schreckliches Datum vor»

Die schlanke Frau mit dem Flechtzopf hat vor ihrer Flucht selbst erfolgreich Chöre in der Ukraine geleitet. Die dazu auf Youtube verbreiteten Videos mit Cover-Versionen bekannter Popsongs wurden weltweit millionenfach abgerufen. Seit dem vergangenen Sommer leitet sie ehrenamtlich einen Chor für geflüchtete Kinder an der Braunschweiger Domsingschule. Inzwischen sei dieser auf 60 Mitglieder angewachsen, darunter auch Kinder, die schon lange in Deutschland lebten.

«Wir bereiten uns jetzt auf ein schreckliches Datum vor», sagt Pertykova. Zum Jahrestag des Angriffs auf die Ukraine am 24. Februar wollen sie auf einer Kundgebung in Braunschweig sprechen und vor allem laut singen. «Unsere Lieder sind der Aufschrei unserer Seelen über die Schrecken des Krieges.»

Ihre Schützlinge kamen alle im vergangenen Jahr aus Orten des Krieges: Odessa, Charkiw, Kiew und Dnipro. In Dnipro hat Pertykova mit ihrem Mann vor etwa 15 Jahren ein Tonstudio gegründet, in dem Kinder «wie echte Popstars» Lieder singen und aufnehmen konnten. Irgendwann entstand daraus der berühmte «Color Music Children's Choir».

Durch Zufall fand sie in Braunschweig ihren Weg zur Domsingschule. Wenn Pertykova bei den Proben ihre Hände zum Einsatz hebt, sind die Kinderaugen gebannt auf die Chorleiterin gerichtet. Energisch und mit schwungvollen Armbewegungen und ausgestreckten Zeigefingern führt Pertykova durch die Lieder. Pop-Bässe untermalen den Gesang.

Bei Benefizkonzerten stimmen die Kinder häufig das Lied vom «Roten Schneeball» («Oj, u lusi tscherwona kalyna») an. Eigentlich ein patriotischer Marsch aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, wurde das Lied seit Kriegsbeginn zu einer Art neuen Nationalhymne. Es handelt von einer gebeugten Pflanze, dem roten Schneeball, die wieder aufgerichtet werden soll, ähnlich wie die Ukraine. Zum Schlussakkord recken alle Kinder die Arme in die Höhe.

Während ihre Söhne in der Schule sind, besucht Pertykova Deutschkurse. «Mit dem Überqueren der Grenze wurde ich gleichzeitig aus meinem Job entlassen», sagt die Pädagogin traurig. Aber sie wolle nicht aufgeben, endlich eine Arbeit finden, um weiter in Deutschland leben zu können.

Mit dem Mann und Vater telefoniert die Familie täglich. Er leitet nach wie vor das Tonstudio in der Ukraine und gibt den Söhnen online Gitarrenunterricht. Pertykovas größter Wunsch ist es, gemeinsam mit ihrem Mann ein Tonstudio in Deutschland aufzubauen: «Um den Traum der Kinder wahr werden zu lassen, professionelle Sänger zu werden.»

Autor:

Katja Schmidtke

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