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Gesetzliche Betreuung
Unterstützen, nicht bevormunden

Teamarbeit: Saskia Gerecke (r.) wurde vom Amtsgericht als gesetzliche Betreuerin von Carolina bestimmt. Die junge Frau lebt in einer stationären Wohngemeinschaft. | Foto: Andreas Boueke
  • Teamarbeit: Saskia Gerecke (r.) wurde vom Amtsgericht als gesetzliche Betreuerin von Carolina bestimmt. Die junge Frau lebt in einer stationären Wohngemeinschaft.
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In Deutschland konnten voll betreute Menschen am vergangenen Wochenende erstmals wählen. Was bedeutet es, wenn Ämter hilfsbedürftigen Menschen einen Betreuer an die Seite stellen?

Von Andreas Boueke

Sozialpädagogin Saskia Gerecke sitzt hinter dem Steuer ihres Gebrauchtwagens. Vor fünf Jahren hat sie sich als gesetzliche Betreuerin selbstständig gemacht. „Wir fahren zu meiner Klientin Carolina“, sagt sie und biegt in eine ruhige Nebenstraße einer Wohnsiedlung ein. „Carolina freut sich schon auf uns. Sie hat eine geistige Einschränkung und lebt in einer Einrichtung für behinderte Menschen.“

Saskia Gerecke wurde vom Amtsgericht als gesetzliche Betreuerin der jungen Frau bestellt, die jetzt im Flur der stationären Wohngemeinschaft wartet. Carolina trägt ein braunes Stofftier auf dem Arm, eine Katze, die sie Lara nennt. „Miau, miau“, grüßt sie fröhlich. „Lass uns in die Küche gehen.“

Was passiert, wenn ein Mensch seine Angelegenheiten nicht selber regeln kann? Personen, die eine solche Notsituation beobachten, können bei der Betreuungsbehörde eine Bedarfsprüfung beantragen. Letztlich trifft ein Betreuungsrichter des Amtsgerichts die Entscheidung über eine gesetzliche Betreuung. Dabei geht es vor allem um bürokratische Tätigkeiten am Schreibtisch. Aber auch der persönliche Kontakt ist wichtig. So fährt Saskia Gerecke mindestens einmal im Jahr zu dem Wohnheim der von Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel, in dem Carolina untergebracht ist. „Am Anfang war es schon etwas komisch, Saskia an meiner Seite zu haben", erzählt Carolina. „Etwas Unterstützung brauche ich ja. Saskia gibt mir Rückendeckung.“

Reformen sichern Teilhabe

Das heutige Betreuungsrecht ist 1992 in Kraft getreten. Zuvor gab es das Vormundschafts- und Pflegschaftsrecht. Damals haben Mitarbeiter von Wohnheimen häufig die gesetzliche Betreuung für Bewohner übernommen. Das musste geändert werden, damit es nicht zu Interessenkonflikten kommt, erklärt Betreuerin und Diakonin Gundula Löhr. Sie arbeitet für einen Betreuungsverein in Bethel. Vereinsgeschäftsführer Wolfgang David sagt: „Der Begriff der Vormundschaft ist immer präsent in der Gesellschaft. Wenn eine Betreuung angeregt wird oder wenn der Richter eingeschaltet wird, sagen viele Menschen: ›Ich möchte nicht entmündigt werden.‹ Da gibt es oft Vorbehalte. Die wenigsten wissen über die Gesetzesänderung Bescheid.“

Seit der Bundestag 2009 die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen ratifiziert hat, wird kontrolliert, wie die Gesellschaft Menschen mit Einschränkungen behandelt. In naher Zukunft steht ein weiterer Schritt zur Sicherstellung der Eigenständigkeit Betroffener an: Die Gesetzesnovelle tritt zum 1. Januar 2023 in Kraft und setzt den Fokus auf Selbstbestimmung. „Bei Menschen, die mit schwerer Intelligenzminderung in Einrichtungen leben, ist es natürlich schwierig. Da muss man mit unterstützter Entscheidungsfindung versuchen herauszufinden, was die Menschen wollen. Sie können vielleicht kleinere Dinge entscheiden: Wohin möchte ich mit meinem Geld in Urlaub fahren? Man kann ihnen Bilder zeigen mit einem Meer oder mit Tieren auf einem Bauernhof. Dann können sie schon sagen, wo sie hinfahren wollen. Es geht um Respekt und Wertschätzung. Ich finde, das gehört zu einem christlichen Handeln dazu", sagt Diakonin Löhr.

Mehr Betreuungen

Seit der Gesetzesänderung 1992 hat sich die Zahl der gesetzlich betreuten Personen verdoppelt. Zur Zeit spricht der Verband der Berufsbetreuer von rund 1,3 Millionen Menschen in Deutschland, die von Angehörigen, Ehrenamtlichen oder Berufsbetreuern unterstützt werden. Bei gesundheitlichen Fragen ist es sehr hilfreich, wenn die Person eine Patientenverfügung ausgestellt hat, als sie noch eigenständig entscheiden konnte.

Für die Betreuer selbst gab es 14 Jahre lang keine Vergütungserhöhung, trotz zunehmender Belastung. Das hat eine Pleitewelle unter den rund 800 Betreuungsvereinen in Deutschland beschleunigt. In den vergangenen Jahren mussten zehn Prozent der Vereine schließen. Auch Kirchensteuern fließen in die Betreuungsarbeit. Caritas und Diakonie nutzen eigene Gelder, um ihre kirchlichen Betreuungsvereine abzusichern. Zudem gibt es nicht mehr genug Menschen, die diese verantwortungsvolle, aber schlecht bezahlte Arbeit übernehmen wollen.

Die für 2023 bevorstehende Gesetzesreform wird die Problematik verschärfen, auch weil sich die gesellschaftlichen Voraussetzungen ändern. Heute ist das einstmals selbstverständliche Modell der Großfamilie, deren Angehörige sich unterstützen, eine Ausnahme. Die Bevölkerung wird älter, viele Menschen brauchen länger Beistand. Immer mehr leiden unter psychischen Erkrankungen. Der Aufwand steigt – und damit die Kosten. Für die Betreuung eines mittellosen Menschen, der in einer Einrichtung wohnt, bekommt Gundula Löhr 102 Euro im Monat. Davon müssen die Arbeitszeit und alle Kosten finanziert werden.

Personen, die professionell als gesetzliche Betreuer arbeiten, kommen aus den unterschiedlichsten Berufen: Rechtsanwälte, Sozialwissenschaftlerinnen, Medizinerinnen, Betriebswirtschaftler, Psychologinnen, Pädagogen oder kirchliche Mitarbeiter. „Für mich ist das eine christliche Tätigkeit im klassischen Sinne“, meint Vereinsgeschäftsführer Wolfgang David. Diakonin Gundula Löhr bringt ihre christliche Motivation in die Betreuung mit ein: „Ich gehe davon aus, dass diese Aufgabe im Sinne der Nachfolge Jesu praktiziert wird. Jesus ist auf die Menschen zugegangen, die Hilfe brauchten. Auch wir gucken nicht: Wo kommen die Leute her, warum sind sie Alkoholiker oder nehmen Drogen? Sondern wir sagen: Okay, bei dir ist jetzt gerade nicht alles in Ordnung. Was können wir für dich tun?“

Christliche Motivation

Als Christin sieht Löhr ihre Aufgabe nicht unbedingt darin, Konflikte zu vermeiden oder harmonische Lösungen zu finden. Im Gegenteil. Die gesetzliche Betreuung brauche Menschen, die streitbar sind, die sich trauen, in Konfrontation mit Ämtern zu gehen. „Spaß macht die Arbeit vor allem, wenn man Detektiv spielen kann. Wir müssen kreative Lösungen finden oder auch mal was durchboxen. Ich überlege gerne, was ich tun kann, wenn der Sozialhilfeträger den Bescheid schickt, dass der Antrag abgelehnt wurde. Gibt es da doch eine Möglichkeit, irgendein Gerichtsurteil, auf das ich mich berufen kann? Dann lege ich Widerspruch ein, und zur Not klage ich.“

Autor:

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