Resilienz
Verletzlich, aber unbesiegbar
Wie gelingt es manchen Menschen, nicht krank zu werden, nicht in die Knie zu gehen, obwohl sie doch massiven Stress erfahren? Die Forschung versucht zu ergründen, was Menschen krisenfester macht – und ganze Gesellschaften.
Von Stefanie Walter
Wie ich 108 Jahre alt wurde» heißt ein Film des Bayerischen Rundfunks, der noch auf Youtube zu sehen ist. Er zeichnet das Leben der Augsburgerin Anna Lang nach, ein Leben mit vielen Tiefen: Der Stiefvater lässt sie spüren, dass sie nicht sein Kind ist, sie muss überaus hart in der Weberei arbeiten, führt eine unglückliche Ehe. Aber der Zuschauer sieht eine glückliche Frau, heiter und gelassen.
Anna Lang ist wohl das, was Wissenschaftler «resilient» nennen: Gemeint ist die Fähigkeit, nach widrigen Lebensumständen seine psychische Gesundheit zu behalten. An einigen Menschen scheinen Stress und Schicksalsschläge einfach abzuperlen. «Wie gelingt es manchen Menschen, nicht krank zu werden, nicht in die Knie zu gehen, obwohl sie doch massiven Stress erfahren?», fragt der Mainzer Hirnforscher Raffael Kalisch in seinem Buch «Der resiliente Mensch».
Die Wissenschaftler des Leibniz-Instituts für Resilienzforschung in Mainz – dessen Gründungsmitglied Kalisch ist – gehen davon aus, dass Resilienz ein aktiver Prozess ist, dass man auch durch Training resilient werden kann. Resilienz, schreibt Kalisch, sei kein Schicksal, sondern jeder könne den «Prozess des Gesundbleibens» selbst in die Hand nehmen.
Kalisch nimmt Jürgen Vietor als Beispiel, den Piloten der 1977 entführten Lufthansa-Maschine «Landshut»: Sechs Wochen nach den traumatisierenden Ereignissen saß er wieder im Cockpit eines Flugzeugs. 22 weitere Jahre flog er, bis zu seiner Pensionierung. Er sei über das Trauma der «Landshut»-Entführung hinweggekommen, indem er sich mit seinen Ängsten konfrontiert habe.
Experten sprechen von «Selbstwirksamkeitserwartung»: Resiliente Menschen vertrauen darauf, Krisen aus eigener Kraft meistern zu können. Schmerz und traumatische Erlebnisse lähmen sie nicht. Jana Strahler ist Neuropsychologin an der Universität Gießen und interessiert sich für die biologischen Grundlagen von Resilienz. Was macht uns widerstandsfähig? Strahler machte beispielsweise Stresstests im Labor mit Menschen, die regelmäßig Sport treiben: «Sie produzierten weniger Stresshormone und erholten sich nach stressigen Situationen schneller.» Ihr Fazit: «Fit zu sein macht uns resistent und fördert die Erholung.» Denn Resilienz ist auch die gelungene Abwehr von Stress.
Auch positive soziale Kontakte tragen zur Resilienz bei, sagt Strahler. Die genaue Zahl der Freunde sei unwichtig, es gehe um wenige Leute, die in schwierigen Situationen tatsächlich helfen: «Da reichen zwei.» Strahler fragte in einer Studie junge Erwachsene, ob sie sich respektiert fühlen, als Maß für positive soziale Kontakte. An Tagen, an denen sie Respekt erfuhren, war der Spiegel des Stresshormons Cortisol niedriger, sie fühlten sich wohler und entspannter.
Ursprünglich stammt der Begriff Resilienz aus der Physik und meint die Fähigkeit eines Stoffes, sich verformen zu lassen und trotzdem wieder in die alte Form zurückzukommen. Als Pionierin der psychologischen Resilienzforschung gilt die US-Amerikanerin Emmy Werner, die rund 700 im Jahr 1955 geborene Kinder aus schwierigen Verhältnissen auf der Hawaii-Insel Kaua’i begleitete. Trotz schwerer Umstände wuchs ein Teil dieser Kinder zu gesunden Erwachsenen heran. Ihnen war gemeinsam, dass sie eine liebevolle Bezugsperson hatten, die sie unterstützte. «Verletzlich, aber unbesiegbar», so beschrieb sie diese Menschen.
Resiliente Menschen fänden sich auch in alten Legenden und Erzählungen, schreibt Kalisch in seinem Buch. In der Bibel sei der «klagende und anklagende Hiob» der «Prototyp des vom Leben Geschlagenen». Die alten Geschichten beschrieben eine «heilsame Umkehr», den «inneren Entwicklungsprozess», durch den die Geplagten die Krise meisterten und gestärkt hervorkämen.
Die Erkenntnisse aus Hirnforschung und Psychologie werden auch auf andere Bereiche übertragen. Die «Systemische Resilienzforschung» etwa fragt danach, wie Institutionen und Gesellschaften Krisen besser verarbeiten können. Es gehe darum, Systeme vorzubereiten, damit sie bei großen Veränderungen nicht «hinweggefegt» würden, erläutert der katholische Münchner Theologe Martin Schneider, der Mitglied einer Forschergruppe zur Resilienz war.
Beispiel Corona: Zwar gab es schon lange Pandemie-Pläne und einzelne Virologen, die warnten, die aber niemand ernst nahm, weil man nicht mit einem solchen Szenario rechnete. Ein resilientes System hingegen sei vorbereitet, «obwohl man die Krise nicht erwartet».
Nicht blind in die Krise rennen, sondern sich wappnen: Die Bibel liefert eine passende Erzählung. «Wir haben bei den Propheten und in der Apokalypse eine starke religiöse Tradition, auf Gefahren hinzuweisen», sagt Schneider. Die biblische Offenbarung des Johannes beschreibt in schrecklichen Bildern eine endzeitliche Katastrophe. Sie rüttelt die Menschen auf und warnt sie mit drastischen Worten, damit sie neue Wege gehen.
«Die Apokalypse schildert den Weltuntergang, um zur Umkehr zu bewegen. Dahinter steht: Eine andere Welt ist möglich» – Worte, wie sie auch die Klimaaktivistin Greta Thunberg wählt. (epd)
Tipp
Kalisch, Raffael: Der resiliente Mensch. Wie wir Krisen erleben und bewältigen, Piper Verlag, 240 S., ISBN 978-3-492-24263-9, 12 Euro
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Autor:Online-Redaktion |
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