Nachgefragt
«Wir brauchen mehr Fachärzte auf der Straße»
Dieter Puhl arbeitet seit 29 Jahren in der Obdachlosenhilfe und war langjähriger Leiter der Bahnhofsmission am Berliner Zoo. Im epd-Gespräch mit Lena Högemann erklärt der Leiter der Stabsstelle «Christliche und gesellschaftliche Verantwortung» bei der Stadtmission, was die Pandemie für Auswirkungen auf das Leben von obdachlosen Menschen hat und wie jede und jeder Einzelne helfen kann.
Wie hat sich das Leben der Obdachlosen in Berlin durch die Pandemie verändert?
Dieter Puhl: Es ging ganz finster los mit der Pandemie für Obdachlose. Die Situation stellte sich äußerst schwierig dar, als Impfen noch kein Thema war und ganz viel geregelt werden musste. Man riet den Menschen: Begeben Sie sich in Ihre Wohnung und ziehen sich zurück. Wohin sollen sich denn Obdachlose zurückziehen? Wachsen Sie sich die Hände, halten Sie Hygienestandards ein, sagte man.
Worauf wir in Berlin wirklich stolz sein können, ist, dass die Politik unheimlich schnell reagiert hat. Deshalb sage ich auch: Die Obdachlosen sind in Berlin die heimlichen Gewinner der Pandemie. Es gibt viele Hilfen, die installiert worden sind, die es ohne Covid-19 nicht gegeben hätte. Das sind zum Beispiel die 24/7-Einrichtung, in denen Obdachlose Tag und Nacht verbringen können, und die Sicherung und der Ausbau der Housing-First-Projekte.
Was brauchen obdachlose Menschen in Berlin am meisten?
Ich glaube, dass der Bereich Soziales in Berlin ziemlich gut aufgestellt ist. Es gibt eine gesamtstädtische Strategie. Die große Herausforderung ist die Gesundheit der Menschen auf der Straße, auch die psychische Gesundheit. Das war ein Quantensprung, als hier investiert wurde: Wir sind sehr froh etwa über die fachpsychologischen Hilfen, die wir im Zentrum der Berliner Stadtmission am Bahnhof Zoo anbieten können. Aber wir brauchen mehr Fachärzte auf der Straße. Hier müssen die Bezirke ihren sozialpsychologischen Dienst ausbauen.
Wie kann jeder und jede Obdachlosen helfen?
Ich rate jeder und jedem, in sich zu gehen und sich zu fragen: Was kann ich tun? Und nicht zehn Gründe zu suchen, warum es nicht Sinn macht, zu helfen. Denkt mehr über eure Herzen nach, weniger über den Kopf. Im Dezember gibt es eine riesige Woge der Hilfe, aber obdachlose Menschen brauchen das ganze Jahr über Hilfe. Im Laufe des Januars und spätestens im Februar sind die Lager wieder leer und wir brauchen Spenden.
Autor:Katja Schmidtke |
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