Serie »Buga, Bibel und Botanik« (24)
Dankbar auch für Brennnesseln
Bis Anfang des 20. Jahrhunderts lebten in Mitteleuropa zirka 80 Prozent der Menschen auf dem Lande. Von daher kann man ermessen, wie wichtig die Ernte über Jahrhunderte hinweg für die Menschen war. Sie markierte den Höhepunkt des Jahres. Denn von der Ernte hing damals das nackte Überleben ab. Heute ist es anders, und es arbeiten nur noch wenige Menschen in der Landwirtschaft.
Schon der Dichter und Zeitungsmann Matthias Claudius ahnte wohl im ausgehenden 18. Jahrhundert etwas von dieser Entwicklung. Er wollte die Menschen wieder stärker an die Natur binden. Sein Erntedanklied „Wir pflügen und wir streuen“ erzählt davon. Die ursprüngliche erste Strophe heißt: „Am Anfang war’s auf Erden noch finster, wüst und leer; und sollt was sein und werden, musst es woanders her. So ist es zugegangen im Anfang, als Gott sprach; und wie es angefangen, so geht’s noch diesen Tag.“ Hier wird deutlich auf die ersten Verse der Bibel angespielt. Wichtig ist zu erkennen, was wir in den Händen halten, und was außerhalb unseres Könnens liegt. Bei Matthias Claudius folgt deshalb auf jeden Vers der Refrain: „Alle gute Gabe kommt her von Gott dem Herrn, drum dankt ihm, dankt, drum dankt ihm, dankt und hofft auf ihn.“
Das Erntedankfest will uns die Augen für die Gaben, aber auch für die Ehrfurcht vor der Natur öffnen. Und auch dafür, dass wir es uns zu leicht machen, wenn wir die Natur einfach in Nutzpflanzen und Unkraut einteilen. Nehmen Sie beispielsweise die Brennnessel. Ohne sie gäbe es keine Schmetterlinge, denn sie ist eine der wichtigsten Futterpflanzen für deren Raupenlarven. Oder den Löwenzahn. Jeder Gartenbesitzer ist eifrig bemüht, ihn von seinem Grundstück fernzuhalten. Der Löwenzahn ist jedoch auch eine unentbehrliche Heilpflanze, die unsere Leberfunktion anregt. Er kann es schaffen, dass wir uns wacher und motivierter fühlen. Und wenn aus den verwelkten Blüten wie ein neues Geschöpf die Pusteblume aufsteigt, wird er sogar zu einem heute noch gut verständlichen Bild für die christliche Auferstehungshoffnung.
Sie fragen, was das alles mit Erntedank zu tun hat? Nun, Matthias Claudius gibt Ihnen die Antwort: „Alle gute Gabe kommt her von Gott dem Herrn, drum dankt ihm dankt, drum dankt ihm, dankt und hofft auf ihn.“
Gartenpfarrer Johannes Schmidt
Autor:Online-Redaktion |
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