Nachruf Professor Reimund Blühm
Dem Menschen zugewandt
Reimund Blühm (1929-2023) – Professor für Praktische Theologie
Als ich im Sommer 1973 mit 18 Jahren, nach dem Abitur an einer Erweiterten Oberschule der DDR, am Katechetischen Oberseminar (KOS) Naumburg anklopfte, um Theologie zu studieren, führte mich die Sekretärin zu Dr. Blühm, der ab diesem Semester das Rektorenamt übernehmen würde. Das steigerte meine ohnehin vorhandene Aufregung noch mehr. Doch ich traf auf einen ruhigen, freundlichen Mann, der mit unverkennbar pommerscher Mundart Zuversicht ausstrahlte und mir eine erste Orientierung darüber gab, was mich nun erwartete. Es war der Seelsorger Reimund Blühm, dem ich dort begegnete. Nicht im Geringsten ahnte ich, dass er acht Jahre später mein Doktorvater sein und großen Anteil an meinem späteren Berufsweg haben würde.
Seelsorge und Katechetik (Religionspädagogik) waren die Schwerpunkte seiner Dozentur am KOS. Darüber hinaus bot er Lehrveranstaltungen zur Literatur an. Ein Thema, das er bereits mit seiner Dissertation über die Bedeutung von Thomas Mann für Christentum und Kirche bearbeitet hatte. Ein weiterer Blick über den Tellerrand der Theologie – die damals durchaus gern „im eigenen Saft schmorte“, zumal in der Abgeschiedenheit einer kirchlichen Hochschule – war die permanente Auseinandersetzung mit sog. Humanwissenschaften wie Psychologie, Psychotherapie, Kommunikationswissenschaft und empirischer Pädagogik. In einem Interview, das ich 2004 anlässlich seines 75. Geburtstages mit ihm führte, setzte er selbst folgende Schwerpunkte seines theologischen Schaffens, denen er besondere Bedeutung beimaß: Katechetik und Religionspädagogik, Seelsorge, zeitgeschichtliche Themen und hermeneutische Bedeutung der Kultur für den christlichen Glauben. Darin spiegelt sich nicht nur die Dozententätigkeit, sondern auch das schriftliche Werk der wissenschaftlichen Tätigkeit von Reimund Blühm. Brücken zu schlagen zwischen Theologie und „Nachbarwissenschaften“ war und ist zwar eine permanente Aufgabe der Praktischen Theologie, jedoch hat Reimund Blühm diese Herausforderung in ganz besonderer und intensiver Weise angenommen und zur Sprache gebracht.
Am Naumburger Oberseminar studierten damals ca. 80 Frauen und Männer. Es war sowohl in den Vorlesungen als auch in den Seminaren immer eine familiäre Atmosphäre, mit allen sich daraus ergebenden Vor- und Nachteilen. Insofern waren die Dozentinnen und Dozenten auch als Personen in die Lernprozesse involviert. Reimund Blühm war bei alledem immer authentisch: Nicht der Dozent/Professor, der anderen etwas lehrte, sondern der Mensch, der seine – auch auf biographischem Hintergrund erfahrene – theologische Existenz reflektierte und zusammen mit den Studierenden in einen Lernprozess einbrachte. Was „Erfahrung“ ist und im Hinblick auf die theologische Interpretation des Glaubens bedeutet, hat ihn übrigens intensiv beschäftigt. Das kann man in seinen Veröffentlichungen nachlesen, wie auch die schon genannten Themen zur Seelsorge und Gemeindepädagogik.
Reimund Blühm ist im hohen Alter von fast 94 Jahren in Gottes Ewigkeit eingegangen. Angesichts dessen, was er in seinem Leben an Krankheiten selbst erlitt und bei seiner ersten Frau mit trug, ist dieses Alter nicht selbstverständlich. Theologische Reflexion und persönlicher Glaube gehörten für ihn immer zusammen. Aber nie so, dass Glaube eine rein individuelle Angelegenheit ist. So schrieb er an mich 2004 in Bezug auf das, was er in der kirchlichen Gegenwart wahrnahm: „Der überwuchernde Subjektivismus sollte zurückgenommen werden. Mich interessiert wenig, wenn jemand dauernd seine Person in das hineinmengt, was er zu sagen hat, im Stil ‚Mir sagt dieser Text…‘ Damit bleibt die Botschaft im gläubigen Bewusstsein. Ich glaube, es ist an der Zeit zu sagen: ‚So ist es uns gesagt. Das ist vielfach verbürgt. Wir haben Grund, daran zu glauben‘.“ Im Hinblick auf das oft geringe Selbstbewusstsein der kleiner werdenden Gemeinden in der DDR zitierte er gern Lukas 12,32: „Fürchte dich nicht, du kleine Herde! Denn es hat eurem Vater wohlgefallen, euch das Reich zu geben.“
Diesen Trost konnte der Professor selbst gut vermitteln. Und nun tröstet er damit die Hinterbliebenen, sowohl Angehörige als auch ehemalige Studentinnen und Studenten.
Roland Biewald
Kurze Biografie Reimund Blühm
12. 7. 1929 geboren in Nordhausen.
1946 unter dem Eindruck der Kriegs- und Nachkriegszeit in Demmin/Vorpommern Entschluss, Theologie zu studieren.
1946 Erkrankung an Lungentuberkulose.
1948 - 1955 Studium der Theologie in Greifswald, mit krankheitsbedingter Unterbrechung.
1955 Examen.
1956 Eheschließung mit Anne; mit ihr hat er zwei Kinder Katharina und Thomas.
1956 - 1962 wissenschaftlicher Assistent an der Theologischen Fakultät der Universität Greifswald, zugleich im Auftrag der Greifswalder Kirchenleitung Gemeindearbeit in der Gemeinde Kemnitz bei Greifswald.
1962 Promotion und Ordination.
Pfarrer in Kemnitz von 1962 bis 1969. In der gleichen Zeit Lehrbeauftragter für Katechetik an der Theologischen Fakultät.
1969 - 1986 Dozent für Praktische Theologie mit Schwerpunkt Katechetik und Seelsorge am Katechetischen Oberseminar (KOS, später Kirchliche Hochschule) Naumburg.
1986 Übersiedlung nach Hannover zwecks Aufnahme der weitgehend gelähmten Ehefrau in ein Heim für Mutiple-Sklerose-Kranke.
1987 bis Mitte 1989 arbeitslos, während dieser Zeit Lehrauftrag der Kirchlichen Hochschule Wuppertal.
1989-1993 mit der Vertretung des Lehrstuhls für Praktische Theologie in Wuppertal beauftragt.
1991 Ernennung zum Professor.
1993 - 1995 Dozent am Pädagogisch-Theologischen Institut in Naumburg.
1995 -1996 mit der Vertretung des Lehrstuhls für Praktische Theologie an der Theologischen Fakultät der Universität Greifswald beauftragt.
2001 Tod der Ehefrau Anne; Krebserkrankung.
2014 Eheschließung mit Christa Merker, gemeinsame Wohnung in Bielefeld.
9. 3. 2023 verstorben in Bielefeld.
Autor:Roland Biewald |
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