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Bewusst und aktiv im Ruhestand

Im Atelier: Bärbel von der Gönna malt ihre Erinnerungen | Foto: Barbara Aichroth/Christophoruswerk Erfurt

Jeder Mensch hat ganz unterschiedliche Erwartungen an den Ruhestand. Auch Menschen mit Behinderungen. Sie freuen sich darauf, etwas kürzer zu treten, und wollen doch weiterhin aktiv sein. Und da ist bei allen Senioren die Frage: Was mache ich mit dieser Zeit?

Von Diana Steinbauer

Heinz Haubenschild wird gebraucht. Das weiß er genau. Wenn in der Seniorentagesstätte des Christophoruswerks Erfurt am Freitag gebacken wird, ist sein Know-how gefragt. Denn er arbeitete jahrelang im Bereich Hauswirtschaft des Christophoruswerks in Erfurt. Haubenschild hat sich auf den Ruhestand gefreut, aber nur ausschlafen, das ist nicht sein Ding. Der 74-Jährige ist froh, dass es die Seniorentagesstätte gibt, die ihm und den anderen Gästen zahlreiche Angebote macht und hilft, das Rentenalter bewusst und aktiv zu gestalten.
»Mit dieser Zeit des Ruhestands soll jeder achtsam umgehen«, empfiehlt Nicole Oberländer, Leiterin des Fachbereichs Wohnen im Christophoruswerk. Darum haben sie und ihre Mitstreiter das Konzept der Seniorentagesstätte in der Spittelgartenstraße entwickelt.
»Ein besonderes Angebot«, beschreibt Oberländer die Einrichtung, die seit Februar 2015 besteht. »Die Bewohner verlassen ihre Wohnstätte und haben ein Tagesziel. Dort sind nicht nur räumlich andere Gegebenheiten als in ihrem persönlichen Wohnumfeld«, so Oberländer. Jeder Mensch habe das Anrecht auf Angebote, die den Tag strukturieren und in die er seine ganz individuellen Bedürfnisse und Talente einbringen kann. »Wir schauen, was der Einzelne an Lebensbiografie mitbringt, was ihm Spaß macht und Aktivität bedeutet. Auch bei Menschen mit Behinderung steht die Frage im Raum, was kann ich tun, um lange mobil zu bleiben«, so Oberländer.
13 Senioren besuchen derzeit die Einrichtung. Gemeinsam mit zwei Therapeuten wird jede Woche individuell besprochen, was man unternehmen möchte: Backen und Basteln, Ausflüge in die Umgebung und vieles mehr stehen auf dem Wochenplan. »Wir fragen die Besucher nach ihren Wünschen und Bedürfnissen und schauen dann, was nach den gesundheitlichen Gegebenheiten machbar ist«, erläutert Marcel Bürger, Leiter des Wohnheims in der Spittelgartenstraße. »Wichtig ist uns die Teilhabe unserer Gäste am Leben hier und auch im Stadtteil zu ermöglichen.« Dabei, betont Bürger, gehe es vor allem darum, die Gäste zu unterstützen, nicht aber, alles zu übernehmen.
Derzeit geht sozusagen die erste Generation von Menschen mit Behinderungen in den Ruhestand. Nach dem früheren Stand der Medizin wurden viele Menschen mit Behinderungen nicht sehr alt und auch das Euthanasieprogramm der Nationalsozialisten ist Schuld daran, dass nur wenige Menschen mit Behinderungen bisher das Seniorenalter erlebten. Nun, da auch viele Bewohner des Wohnheims des Christophoruswerks von den Werkstätten und anderen Arbeitsbereichen in den Ruhestand wechselten, sah man, dass an einer Freizeitgestaltung für die Senioren großer Bedarf besteht.
»Das Arbeitsleben ist immer wieder Thema hier vor Ort«, erklärt Marcel Bürger. Viele Gäste der Tagesstätte haben eine ähnliche Biografie, haben Gemeinsamkeiten aus dem Berufsleben, viele treffen sich hier wieder. »Erzählen schafft Nähe, Zugehörigkeit, Vertrauen. Das ist ganz wichtig für das Klima hier«, so Bürger. Die Menschen, die schon einen Großteil des Lebens hinter sich haben, finden hier Ansprache und Förderung. Ihre ehemalige Arbeit ist Thema, aber hier geht es zuallererst um ihre Lebensgeschichte, ihre Wünsche, ihre ganz eigene Persönlichkeit. Darum ist die Biografiearbeit derzeit ein großer Schwerpunkt in der Seniorentagesstätte.
»Wer bin ich?« und »Wo komme ich her?« – diesen und anderen Fragen stellen sich die Senioren auf verschiedene Weise, zum Beispiel in einem Kunstprojekt. Dieses Angebot einmal in der Woche, in der die Senioren ein Atelier in der benachbarten Christophorusschule nutzen und dort mit einer Kunsttherapeutin auf künstlerische Spurensuche gehen, ist sehr gefragt. Nicht nur, weil es im Rückblick wichtige Stationen im Leben wieder hervorholt und lebendig macht, die Senioren entdecken hier Neues, schulen vergessene oder bisher verborgene Talente und steigern somit ihr Selbstwertgefühl. Von »Ruhestand« also keine Spur.

Autor:

Kirchenzeitungsredaktion EKM Süd

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