Die Gottesdienste werden mir fehlen
Bilanz: Die Debatte um den Moscheebau in Marbach hat ihn über die Grenzen Erfurts bekannt gemacht. Pfarrer Ricklef Münnich engagiert sich seit Langem auch für die christlich-jüdische Zusammenarbeit. Nun geht er in den Ruhestand.
Hat Ihnen der Ärger um den Moscheebau in Marbach das Ende Ihrer Zeit als Pfarrer vergällt?
Münnich: Unser ganzes Land ist derzeit zerrissen. Das zeigen die Ergebnisse der Bundestagswahl deutlich. Die Gemeinde Marbach ist wie ein Brennglas; hier wird manches noch ein bisschen deutlicher als sonst. Als Pfarrer habe ich ganz gut das »Ohr am Volk«. Viele fühlen sich von der Politik »ausgegrenzt«, oder mindestens zu wenig gesehen. Im Grunde gibt es diese Empfindung seit 1990. Jetzt explodiert sie sichtbar in den Wahlergebnissen.
Was bedeutet das mit Blick auf die Moschee?
Münnich: Viele sagen, Politik und Verwaltung reden nicht mit uns und lassen es zu, dass uns ein islamisches Gotteshaus direkt an den Ortseingang gesetzt wird – das wir nicht gewollt haben. In den Diskussionen bestehe ich selbst auf der grundgesetzlichen Religionsfreiheit. Die nehme ich für die evangelische Kirchengemeinde in Anspruch, will und muss sie aber auch Juden und Muslimen zugestehen. Solche Debatten müssen geführt werden.
Sie verärgern Sie nicht?
Münnich: Nein. Was ich jedoch nicht mehr erleben möchte, ist, wenn extremistische Gruppen wie die Identitären erneut von außerhalb anrücken würden, vielleicht anlässlich einer Grundsteinlegung des Gotteshauses. Und dann vielleicht auch Gewalt geübt würde.
Die Ökumene und das Verhältnis zu den Juden sind wichtige Anliegen für Sie. Was hat sich in den letzten drei Jahrzehnten getan?
Münnich: Es freut mich sehr, dass die Arbeitsgemeinschaft Kirche und Judentum in Thüringen nun schon über 30 Jahre besteht. Hier ist ein Vertrauensverhältnis gewachsen, das sich zuletzt beim Erfurter Kirchentag auf dem Weg gezeigt hat. Dort konnten wir für das Themenzentrum Juden und Christen eine wunderbare Gastfreundschaft der jüdischen Gemeinde in ihrem Kultur- und Bildungszentrum erleben.
Teilt man dort Ihre Sicht?
Münnich: Man nimmt sehr aufmerksam wahr, dass die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland im Reformationsgedenken auch dem problematischen Verhältnis von Martin Luther zu den Juden nicht ausgewichen ist, sondern die Landessynode ein bedeutsames Wort dazu verabschiedet hat. Gleichwohl gibt es noch viel zu tun. Antisemitismus zeigt sich heute im Gewand eines »Antiisraelismus«.
Bleiben Sie dem Thema auch im Ruhestand treu?
Münnich: An der Aufgabe, hier aufzuklären, bleibe ich dran.
Was werden Sie vermissen?
Münnich: Im Ruhestand sehr fehlen wird mir die tiefe und echte Gemeinschaft von evangelischen und katholischen Christen in den Gottesdiensten in Marbach und Salomonsborn. Dass beide Konfessionen sich in Marbach die Kirche für ihre eigenen Gottesdienste teilen, ist ebenfalls für mich ein schönes Zeichen.
Sie waren Studentenpfarrer, Landesjugendpfarrer und zuletzt Gemeindepfarrer. Was hat Ihnen den meisten Spaß bereitet?
Münnich: Mein Glaube zeigt sich auch darin, dass ich zutiefst gewiss bin: Gott hat mich dahin gesendet, wo er mich brauchte. Wo sich Wege verschlossen hatten, da brauchte er mich nicht. Meine Antwort war, zu versuchen, das zu tun, was mir mit meinen Gaben möglich ist. Am Ende des beruflichen Weges in einer Ortsgemeinde gewesen zu sein, macht mich sehr froh. Am schönsten freilich war doch die Zeit mit den Studierenden in Weimar.
Warum?
Münnich: Jungen Menschen steht die Welt offen und sie wollen etwas verändern und bewegen. Das hat die Kraft der Evangelischen Studentengemeinde ausgemacht. Der damaligen Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen bin ich dankbar, dass sie der ESG dafür alle Freiheit geschenkt hat. Das hat bei manchen Studenten die Biografie bleibend geprägt.
Thüringen ist eine der »entchristlichsten« Regionen der Welt. Sehen Sie Chancen, dass die Zahl der Kirchenmitglieder wieder zunimmt?
Münnich: Gerade habe ich noch einmal in der alten Marbacher Kirchenchronik geblättert. Vor genau 50 Jahren gab es hier 1 200 Gemeindemitglieder. Heute ist es nur noch die Hälfte, obwohl der Ort dreimal so viel Einwohner hat. Was muss geschehen, damit Menschen nicht nur für sich glauben, sondern ihren christlichen Glauben leben und bekennen? Dass das als »schwierig« empfunden wird, hängt auch damit zusammen, dass ein solches öffentliches Bekenntnis immer eine politische Bedeutung hat.
Und jenseits aller Politik?
Münnich: Die vergangenen zehn Jahre waren für mich auch deshalb schön, weil unser Kirchspiel wächst, zahlenmäßig durch Zuzüge, Taufen und Wiedereintritte, aber wichtiger noch, auch im Inneren, im Glauben und Selbstbewusstsein.
Der Chef der Diakonie Mitteldeutschlands ist jüngst mit dem Eintritt in den Ruhestand nach Assisi gepilgert. Wohin machen Sie sich auf den Weg?
Münnich: Im November fahre ich mit einer Reisegruppe nach Israel. Diesen Pilgerweg will ich künftig noch öfter wiederholen. Die Lebenswirklichkeit der Menschen in Israel und in den palästinensischen Gebieten kennenzulernen, verändert bei den Teilnehmern vieles; und das nachhaltig. Christ zu sein ist für mich nicht vorstellbar ohne die Liebe zum jüdischen Volk, das heute zu großen Teilen in Israel lebt. Zu dieser Liebe will ich noch viele anstiften.
Die Fragen stellte Dirk Löhr (epd)..
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