Wir sind »intensiv evangelisch«
Die 122. Allianzkonferenz in Bad Blankenburg ist die erste für Ekkehart Vetter als Vorsitzender der Deutschen Evangelischen Allianz (DEA). Willi Wild sprach mit ihm über Einheit, Konflikte, Reformation und Thüringer Bratwurst.
Herr Vetter, Sie stehen einem Verband vor, der als Mitbegründer der Pfingstbewegung in Deutschland gilt, und man bezeichnet den Mülheimer Verband auch als einen Zusammenschluss evangelikal-charismatischer Gemeinden, was bedeutet das?
Vetter: Der Begriff »evangelikal« ist umstritten, je nachdem, was man damit verbindet. »Evangelikal« kommt von Evangelium. Die Bundeskanzlerin hat einmal gesagt, das seien Menschen, die intensiv evangelisch sind. Das ist zwar keine theologische Definition, aber durchaus zutreffend. Also Menschen, denen es um das Evangelium geht, um das Wort Gottes.
Charismatisch kommt vom griechischen Charisma und meint Gnadengabe. Da geht es um Menschen, die besonders nach dem Heiligen Geist fragen und um geistliche Erlebnisse mit dem Heiligen Geist bitten. Beides zusammen ergibt dann diese evangelikal-charismatische Mischung. Der Mülheimer Verband ist übrigens eine Freikirche, die anderen Freikirchen evangelischen Bekenntnisses sehr ähnlich ist.
Bislang war die Allianzkonferenz in Bad Blankenburg keine charismatisch geprägte Veranstaltung, sondern ein klassisches Glaubensfest. Wollen Sie das ändern?
Vetter: Wir sind als Evangelische Allianz zusammen unterwegs und haben gemeinsame geistliche Ziele. Die unterschiedliche Prägung und Glaubensstile stehen nicht im Vordergrund. Als Konferenzgemeinde sollten wir nicht auf vielleicht unterschiedliche Prägungen schauen, sondern wo wir gemeinsam hinwollen.
Wer oder was ist die Evangelische Allianz überhaupt?
Vetter: Sie ist 1846 in England gegründet worden, und die deutschen Teilnehmer an dieser Gründungskonferenz haben sich darauf verständigt, diese Bewegung auch nach Deutschland zu bringen. Heute handelt es sich um eine globale Bewegung. Früher nannte man das einen Bruder- oder Geschwisterbund von evangelischen Christen. Heute sprechen wir von einem Netzwerk evangelisch gesinnter, dem Evangelium verpflichteter Christen.
»Evangelisch« in unserem Namen ist eben keine konfessionelle, sondern eine inhaltliche Aussage. Darum sind wir natürlich auch ökumenisch. Auch katholische Christen fühlen sich hier und da der Allianz zugehörig. Wir haben eine gemeinsame Glaubensbasis.
Wozu braucht es diese Allianz, wenn im Prinzip unter Christen Glaubenskonsens herrscht?
Vetter: Die Evangelische Allianz hat fünf Ziele: Wir wollen die Einheit unter Christen fördern. Wir wollen Bibelbewegung und Gebetsbewegung sein. Wir wollen Mission und Evangelisation in unserem Land fördern. Und wir wollen gesellschaftspolitische Verantwortung wahrnehmen und öffentlich für die biblische Ethik einstehen, von der wir überzeugt sind, dass sie nicht nur für Christen verbindlich ist, sondern auch für das Miteinander in einer Gesellschaft hervorragende Grundsätze liefert.
Um die Einheit innerhalb der Leitung der Evangelischen Allianz stand es in der jüngeren Vergangenheit nicht zum Besten. Bei den Themen Umgang mit Homosexualität oder Bibeltreue gab es deutlich Dissens und sogar eine Abspaltung. Wie wollen Sie hier wieder die Einheit herstellen?
Vetter: Sie haben noch ein paar andere kontroverse Themen vergessen: Der Klassiker ist das Thema Taufe, überhaupt das Sakramentsverständnis, das Gemeindeverständnis.
Wir sind uns in der Allianz längst nicht in allen Fragen einig. Darum geht es aber auch gar nicht. Wir wollen gemeinsame Ziele fördern. Über strittige Fragen diskutieren wir miteinander und suchen nach gemeinsamen Positionen.
Die Evangelische Allianz ist keine Kirche. Wir wollen Gemeinsamkeiten betonen, ohne die unterschiedlichen Prägungen zu verleugnen. Abspaltungen von der Allianz gab es übrigens keine.
Die Allianz-Gebetswoche ist die zentrale Veranstaltung, zu der unterschiedliche Gruppen, Gemeinden und Kirchen zusammenkommen. Welche Bedeutung hat das Gebet in unserer aufgeklärten Welt?
Vetter: Ich weiß, dass ganz viele Menschen beten. Oft fehlt der Zugang zu den kirchlichen Formen. Hier brauchen wir größere Flexibilität. Es gibt in der Bevölkerung eine Sehnsucht nach Kontakt mit Gott. Ich habe mal eine Anhalterin mitgenommen. Als ich sie fragte, ob sie bete, sagte sie: Na klar, jeden Morgen und jeden Abend. Zu Kirche hatte sie praktisch keinen Bezug.
Wir sollten uns um Formen bemühen, die für Menschen zugänglich sind. Das Gebet ist eine Lebensäußerung von uns Christen. Auch Skeptiker und Zweifler wenden sich an Gott mit ihren Fragen.
Ist Meditation die attraktivere Alternative zum Gebet?
Vetter: Es gibt sicher Schnittmengen. Man kann gut biblische Texte, Psalmen meditieren. Psalmen sind uralte Gebete. Gebete können auch gesungen werden. Ich denke an Taizé-Gesänge oder die Lieder der charismatischen Bewegung.
Gebete in den unterschiedlichen Formen sind eine Herzensangelegenheit. Nehmen Sie die Gospelmusik. Da wird zigmal die gleiche Liedzeile wiederholt. Aber viele freuen sich, wenn der Chor vorne steht. Wir brauchen mehr Emotionen im Glauben. In anderen Ländern scheint das den Menschen schon in die Wiege gelegt.
In Kirche und Medien werden die Evangelikalen oft in eine politisch rechte Ecke gesteckt. Wie gehen Sie damit um?
Vetter: Ich denke, da muss man differenzieren. Rechtspopulistische oder gar rechtsradikale, fremdenfeindliche Äußerung passen nicht zu einer wertkonservativen, evangelikalen Lebenshaltung. Beispielsweise haben wir bereits vor der großen Flüchtlingswelle die Schrift »Fremde willkommen« verabschiedet. Wir orientieren uns an der Bibel und dort ist eindeutig die Rede von Fremdenliebe und nicht Fremdenhass. Das ist unser Maßstab.
Wie stehen Sie zur AfD?
Vetter: Die Evangelische Allianz ist ein Netzwerk. Wir fragen keine politische Gesinnung ab und sind nicht dazu da, politische Parteien als Ganzes zu werten. Wer sich auf der Basis des Evangeliums bewegt, ist herzlich willkommen. Wer Werte außerhalb biblischer Normen vertritt, wird von uns Widerspruch, aber gern auch Dialog angeboten bekommen, unabhängig von Parteienzugehörigkeit.
Meine Stimme bekommt die AfD nicht. Es gibt aus dem AfD-Kontext viel zu viele hochproblematische Äußerungen zu unterschiedlichen Themen.
Welches Verhältnis haben Sie als Vertreter einer Freikirche zur Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD)?
Vetter: Die Evangelische Allianz ist seit jeher eine Gemeinschaft von Christen, die verschiedenen Kirchen und Werken angehören. Aber das ist für uns nicht entscheidend. Maßgeblich ist die Bereitschaft, gemeinsam geistliche Anliegen zu bewegen.
Ihr Vorgänger Michael Diener hatte es als Mitglied des Rates der EKD sicher leichter.
Vetter: Er gehört ja nach wie vor zum Hauptvorstand der Evangelischen Allianz und hat nach wie vor viele Möglichkeiten, unsere Themen und Inhalte an verschiedenen Stellen einzubringen. Er war ja nicht Mitglied des Rates der EKD und hat dann die ehrenamtliche Leitungsaufgabe bei uns angenommen, sondern es war umgekehrt. Und wegen der damit verbundenen Fülle von Aufgaben hat er dann bei uns sein Leitungsamt niedergelegt.
Ich glaube, dass das Miteinander der Christen unabhängig von den Funktionen klappen muss.
Das Thema der Allianzkonferenz ist »reform.aktion«, in Anlehnung an 500 Jahre Reformation. Was haben Sie als Freikirchler mit Luther am Hut?
Vetter: Na, wir sind auf dem Boden der Reformation. Wir sind Kinder und Enkelkinder der Reformation. Dabei bitte ich auch zu bedenken: Bei aller Wertschätzung von Martin Luther – er war ja nicht der einzige Reformator. Reformatorisch ist nicht einfach gleich lutherisch. Da gab es und gibt es eine viel größere konfessionelle reformatorische Breite.
Freikirchler gestalten ihre Theologie und Praxis oft eher in einer reformierten Tradition. Aber die vier Soli der Reformation – solus Christus, sola scriptura, sola gratia, sola fide – sind in den Freikirchen ebenso bestimmend und prägend. Es geht uns an der Stelle weniger um Reformation, sondern um die geistlichen Inhalte.
Bei der Allianzkonferenz geht es inhaltlich um Texte aus dem Römerbrief. Was ist Ihnen dabei wichtig?
Vetter: Das Motto »reform.aktion« klingt vielleicht etwas gewöhnungsbedürftig, aber es umschreibt den Schwerpunkt: Was wird denn konkret aus den in Römer 1–8 aufgezeigten theologischen Grundlagen in unserem persönlichen Leben, aber auch in der Haltung zu Israel, in der Einstellung zu unserem Staat oder im Blick auf das Miteinander der Christen?
Ist die Evangelische Allianz reformbedürftig?
Vetter: Sicher. Wir sind alle immer reformationsbedürftig. Wir müssen uns mehr um junge Leute bemühen. Das gilt sicher für die Konferenz, aber auch weit darüber hinaus, nämlich für die circa 1 000 Orte in Deutschland, wo sich Christen unter der Überschrift »Evangelische Allianz« treffen. Wir müssen uns auch über die Zukunft der Allianzkonferenz und ihre Ausrichtung Gedanken machen. Geistliches Leben lässt sich nicht einfach vererben.
Hundert Jahre lang ist das Konzept aufgegangen. Ist die Allianzkonferenz ein Auslaufmodell?
Vetter: Das intensive Arbeiten an und mit der Bibel ist und bleibt ein wesentliches Markenzeichen der Allianz. Es kann nicht zur Debatte stehen. Aber das befreit uns natürlich nicht davon, immer wieder neu zu überlegen, wie und in welcher Form wir das in Zukunft tun wollen und können und Menschen damit angesteckt werden.
Inwieweit kennen Sie sich als gebürtiger Norddeutscher mit den Gepflogenheiten im Thüringer Wald in Bad Blankenburg aus?
Vetter: Thüringer Bratwurst ist ein Muss. Ich habe familiäre Bindungen in den Osten, allerdings eher nach Sachsen. Bereits zu DDR-Zeiten war ich regelmäßig im Großraum Chemnitz, damals noch Karl-Marx-Stadt. Durch meine häufigen Aufenthalte im Evangelischen Allianzhaus bin ich mit den regionalen Besonderheiten im Thüringer Wald vertraut.
Gehört im Reformationsjahr dazu: Ihr Lieblings-Luther-Zitat?
Vetter: »Das Wort Gottes ist wie ein Kräutlein, je mehr du es reibst, desto mehr duftet es.«
Was haben Sie sich für Ihre Amtszeit vorgenommen?
Vetter: Ich will meinen Beitrag leisten, die Einheit der Christen voranzutreiben, aus mindestens zwei Gründen: Erstens hat Jesus dafür gebetet! Wenn es ihm ein so starkes Anliegen war, dann muss es für mich auch ein sehr wichtiges sein. Und zum Zweiten können wir Christen die Herausforderungen in unserer Zeit nur gemeinsam schultern.
Autor:Adrienne Uebbing |
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