sie bauten
die Kirche

Dorfkirche Johannes Evangeliste in Zallmsdorf (Kirchenkreis Wittenberg)
  • Dorfkirche Johannes Evangeliste in Zallmsdorf (Kirchenkreis Wittenberg)
  • hochgeladen von Matthias Schollmeyer

Es war zur Zeit der ersten großen Rodungen, als man in dem Lande, das sich heute Fläming nennt – ein sanftwelliges, sandfarbenes Gebirge von fast lächerlicher Bescheidenheit – unter dem Schutz der sich ausdehnenden christlichen Ordnung zu siedeln anfing. Der alte heidnische Wald war bereits hie und da respektabel zurückgewichen, nicht durch Gewalt, sondern durch die Emsigkeit und Geduld der von Westen her eingedrungenen Flamen. Es war die Zeit, da das fromme Sachsenland, mit Wittenberg noch als dürftigem Pfahlhüttenkluster, begann, seine Schollen an fremde Hände zu verteilen. Hände, die noch nichts weiter forderten als das Recht zum Bleiben. Diese Hände gehörten tapferen Leuten aus den Niederlanden und das Jahr, welches auf dem Kalender geschrieben stand, war das 1250. nach Christi Geburt.

Sie kamen, barfüßig bis in den Mai, mit einer sonderbaren Sprache auf der Zunge, die hier keiner noch nicht kannte, doch die Seele drückte diesen Ankömmlingen nicht schwer hinterm Brustbein, sondern saß neugierig oben auf ihren Stirnen. Männer, Weiber, Kinder, mit spitzen Nasen, breiten Schultern, Löffeln aus geschnitztem Holze, so war der Anfang gemacht. Sie kamen mit der Frömmigkeit einer urtümlichen Armut, die sich über das Brot freut, auch wenn es noch nach Borke und Holzkohle schmeckt.

Das Land, das sie betraten, war nicht leer. Es war angefüllt mit jenen Bewohnern, die man später Wenden nannte, Leute mit dichtem filzigen Haarschopf, kleinen, blitzenden Zähnen und einem Lachen, das sich über Jahrhunderte noch erhalten sollte – so, als sei keine Zeit von damals auf heute vergangen. Diese Menschen lebten nicht von Schrift, sondern von Liedern, nicht von Regeln, sondern von Rhythmen. Wenn sie beteten, dann war es ein Torkeln und Grölen in der Nacht vor irgendeinem Stock, den der Zufall seltsam knorrig gebildet mit einem Stein obendrauf, oder einem Tierkopf im Baum – man nannte das Gott.

Dort, an einer sanften Anhöhe nahe einer Teichmulde und einem steinübersäten Rinnsal, das die Ureinwohner „die ale Bache” nannten, sollte nun ein Gotteshaus entstehen. Kein Prunkbau, keine Kathedrale, kein stolzer Dom. Eine Dorfkirche. Winzig, steinern und hölzern im Plan. Ein längliches Viereck mit Apsis und Turmstumpf, krumm gemessen mit dem Maß der Geduld. Der ganze Fläming wurde so oder so besiedelt – nicht mit Übermut, sondern mit Hunger nach etwas, das an die Ewigkeit zu erinnern vermochte. Ja - und diese Fremden waren gekommen, fremd, müde, doch hoffend. Und die Slawen waren geblieben, argwöhnisch, freiheitsverliebt, noch taumelnd zwischen Baumkult und Bluttrank. Letztere nannten die Ankömmlinge Heiden. Und mit Recht. Keiner von denen wusste, wie man aus den Trümmern der Vorzeit ein Haus Gottes bauen sollte. Und doch – es wurde befohlen. Nicht mit Peitsche. Aber mit Schrift. Mit Siegel. Mit Kirchensatzung und einem Spruch, den niemand verstand, außer dem, der ihn verkündete: Bruder Adelhard.

Hand wurde angelegt. Nicht von hunderttausenden wie beim Pyramidenbau der ägyptischen Pharaonenreiche, sondern von acht Männern, einem Esel und einer Frau mit breiten Hüften, die die Verpflegung rührte. Man hustete. Man schwieg. Und man trug Steine. Nicht einmal groß waren diese – doch wer täglich zehn Stunden Feldsteine schleppt und abends das Knie in den Dreck senkt, beginnt zu glauben. Stein – das war das Material, das sie suchten, auf den Wiesen und an Waldrändern zusammenklaubten und sich ersahen. Nicht Gold. Aber auch nicht nur Lehm. Sondern Stein, in zahlloser Gestalt, in dumpfer Last, von grau bis blauschwarz, gefurcht und zerschunden von einer Zeit, die älter war als der Name Gottes auf menschlicher Zunge. Man nannte diese Steine Findlinge, die Gesandten der Letzten Kälte, welche sich lange geweigert hatten, Grundlage einer Himmelswohnung zu sein.

Der Pfarrer, der hierher befohlen ward, hieß nicht Augustin oder Hieronymus, sondern schlicht Bruder Adelhard – ein Mann aus dem im Flug errichteten Kloster in der Nähe von Magdeburg. Derselbe verstand von Schafhaltung mehr als von Theologie, mehr von Brot als vom Dogma. Sein Latein war mehr als mangelhaft, doch das Herz dieses Mannes war sauber. Und sein Wille – das war Liebe.

Als die Kirche, so klein und unfertig sie noch war, geweiht wurde – und das heißt in Wahrheit: als man das erste Mal einen Stuhl hineinstellte, einen Kelch aus Holz gedrechselt hatte, und ein Dach darüber war – hielt Bruder Adelhard für die Bauleute eine einfache Predigt:

„Wir bauten eine Kirche aus Stein“, sagte er. „‚Der Stein gehorcht uns nicht‘, zweifeltet ihr? ‚Der Stein ist kalt. Er springt. Er lacht uns aus!’ meintet ihr? Die ersten Wochen waren Leiden. Die Feldsteine rieben uns die Haut wund, die Hände bluteten, das Mörtelmaß war euch fremd, und die Schubkarre ein Instrument der Qual. Es war, als sträube sich der Boden selbst gegen den Aufbruch des Heiligen. Einer von euch sagte: ‚Man kann keinen Ort der Gnade bauen mit dem Zeug, das einst unter den Füßen von Mammuts lag.‘“

So begann die Predigt von Bruder Adelhard. Und begann das Schweigen. Als der Chorraum - erst noch roh gemauert - stand und die Apsis gebildet war wie eine Wölbung im Mutterleib, da verstummte der Spott. Die Kirche stand zwar noch nicht ganz fertig vollendet. Aber sie erhob sich bereits in Richtung der Baumwipfel, die in den Himmel zeigten. Wie ein Traum folgte ihnen das zum Haus geordnete Geröll.

Nicht von Trinität sprach Bruder Adelhard. Nicht vom Gottmenschen. Nicht von Transsubstantiation. Sondern – und das war ein Wunder – von einem Hirten.

„Ein Hirte,“ sagte er und streckte die Arme aus, so dass die Slawen und Flamen gleich sahen: Das ist kein Redner, das ist ein Mann. „Ein Hirte, der geht den Weg. Auch, wenn der Weg dumm ist. Wenn der Weg steinig ist. Wenn es regnet. Wenn es dunkel ist. Wenn ein Dorn ihn kratzt. Der Hirte sagt nicht: Ich warte, bis das Schaf zurückkommt. Der Hirte sagt: Ich gehe. Ich gehe – auch, wenn ich selbst dabei verloren gehe. Das ist Liebe. Und das ist Gott.”

Und, da der Heilige Geist ihn wohl ergriffen haben musste, fuhr Adelhard fort:

„Ihr kennt doch den Thomas? Nicht den von Flandern, sondern den aus Galiläa. Der sagte: ‚Ich glaube nicht. Ich glaube nur, wenn ich die Wunde sehe. Und die Hand hineinlege.‘“

Ein Murmeln ging durch die Runde.

„Und Jesus sagte nicht: ‚Du Dummkopf.‘ Er sagte: ‚Komm. Leg die Hand. Prüf mich. Sieh selbst.‘“

Adelhard schwieg - denn die Pausen sind wichtig in der Predigt. Sehr wichtig. Dann fuhr er fort:

„Ihr habt den Steinen nicht geglaubt. Aber ihr habt sie getragen. Ihr habt gesagt: ‚Das wird nie was.‘ Und doch habt ihr es getan. Das ist Glaube. Das ist das Evangelium vom Zweifel: Trotzdem bauen.“

Und er hob die wunden Hände, die eigenen, rau, mit Schrunden, Rissen, alten Brandblasen von Kalk und Seilzug.

„Schaut. Das sind meine Wunden. Und auch sie sind der Ort des Glaubens.“

In dieser Nacht meinte ein Slawischer, der vorher nur gebrüllt hatte: „Wenn der Gott, von dem du sprichst, solche Häuser will, dann ist er stark.“ Und ein Flämischer, der vorher nie ein Wort herausgebracht: „Ich habe gezweifelt. Aber der Zweifel ist mein Hammer gewesen.“

So wurde die Kirche nicht nur aus Feldstein gebaut. Sie wurde auch aus Zweifel gebaut. Die Slawen mit den Heiden, die noch den Glanz ihrer eigenen Geister auf der Haut spürten, saßen – zum ersten Mal in einer Hütte ohne beißenden Rauch in den Augen – auf dem Boden und hörten. Es war ihnen nicht fremd, dass sie hörten. Das war nicht neu. Aber dieses heute war – entwaffnend einfach. Kein Lärm. Kein Tanz. Kein Blut. Aber ein Bild aus wirklichen Gedanken: Ein Mann. Ein Schaf. Und ein Weg. Dann ein Zweifler, der diesen Mann erkennt und ihm folgt.

So begann dort in dem kleinen Flecken im Fläming – nicht das Christentum, das schon hundert Male erklärt worden war – sondern etwas anderes: Das Zuhören. Und das ist immer der Anfang. Nicht des Glaubens, aber des Wandels.

Wer heute dorthin geht, sieht nicht mehr die Blutspuren auf dem Gestein. Aber wer ganz still ist, der spürt: Die Kirche glaubt immer noch nicht ganz. Aber sie steht. Und das ist schon einmal viel wert und war bis jetzt fast genug.

Autor:

Matthias Schollmeyer

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