deus ex machina
Leberecht Gottlieb (Teil 120)

120. Kapitel, in welchem der russische Geheimdienstler  Gendrich Novascholov dem sächsischen Helden Leberecht Gottlieb die K.I. ChatGPT6.5 bekannt macht. Wie ihr unser greiser Pfarrherr aus Sachsen drei Fragen stellen darf - und der Antworten dieser Maschine wegen fast in Verzückung gerät …

Gestern war der Sonntag Invocavit. Alle diese Sachen mit Gottes Wette über Hiobs Schicksal, der Schlangenapfel  und die Versuchung vom Jesus in der Wüste waren als Thema dran gewesen. Der russische Geheimdienstler Gendrich Novascholov und unsere sächsischer Held Leberecht Gottlieb (ein reisender emeritierte Pfarrer aus Sachsen) waren  seit Tagen auch darüber im Gespräch gewesen. Der Geheimdienstler lies es nämlich sehr, sehr langsam angehen, denn er wollte erreichen, dass sein Schützling Vertrauen ihm gegenüber schöpfte. Und Leberecht wollte, nach alledem, was er gehört hatte, endlich verstehen: Er wollte wissen, was ihm selber hier eigentlich geschah.
"Wie fügten sich die einzelnen Abenteuer meines Lebens rückwirkend ein eine sinnvolle Erzählung zusammen, in der man sich selber immer besser verstehen kann? Dieser Prozess verwirrend, zugleich faszinierend. Gendrich Novaschlov, der schon viele Menschen ausgehorcht, ausspioniert, mürbe gefragt und müde erzählt hatte - bis sie schließlich nachgaben, merkte bald, wie er mit diesem Pfarrer einen besonders harten Knochen vor sich hatte. Da nun bekannt war, dass Leberecht bereits früher schon einmal eine Zeitreise unternommen (der getreue Leser erinnert sich an die ersten Folgen unseres Berichts), griff der Russe nunmehr zum letzten Mittel. Nein, nein - nicht etwa Folter, Daumenschrauben oder psychoaktive Substanzen - sondern die ultimative Wahrheit. Er schlug vor, dass Leberecht der bis dato höchst entwickelten künstlichen Intelligenz eine Frage stellen dürfe - eine Frage vielleicht sogar zwei, die alles erklären konnten!
Zu diesem Behufe führte der elegante Russe mit dem verräterischen Namen den greisen Emeritus vor ein Mikrophon, dessen Kabel mit der DeusExMachina-K.I. der Firma "Simpelbrain" (ein Abkömmling aus dem Silicon Valley) - etwas altertümlich zwar aber dennoch - wirksam verbunden war. Das ist ja das Tolle bei den Russen und ihrer Technik. Sie funktioniert - und geht nicht kaputt, weil sie so primitiv ist. Da standen sie nun beide vor einem Panel aus streng riechendem Bakelit. Es waren gefühlt tausende Leuchtelämpchen in diesem Panel angebracht und hier und da hingen tatsächlich noch ein paar bunte Kabel aus offenen Bohrungen heraus. Kaum zu glauben, dass das irgendwelche HighTec sein sollte. Aber - vielleicht war diese Nachlässigkeit bei der Ausführung des Ganzen Tarnung? Die Russen kannten sich aus und waren raffinierte Leute.

"Fragen sie irgendwas, lieber Herr Pfarrer!" meinte Gendrich. Leberecht dachte nach. Dann sagte er: "Frage: Hallo - Du, die man Künstliche Intelligenz nennt!"

Die  Antwort erfolgte prompt: "Siehe, hier bin ich. Rede, deine Magd hört."

Leberecht fuhr fort: "Frage: Erfinde eine raffinierte Geschichte darüber, wie Gott selber vom Baum der Erkenntnis aß - und daraufhin alles vergaß. Auch den Menschen. Und wie dadurch erst der Mensch wirklich frei wurde. Schmücke das „Essen Gottes vom Baum der Erkenntnis” recht krass aus. Vergiss auch nicht, der Schlange bei Alledem eine ungewöhnliche Aufgabe zuzuteilen. Und nun - los!"

Es schnurrte und summte ein bisschen - dann kam die Antwort: "Deine Magd will sich mühen, dem Auftrag ihres Herrn nachzukommen. Hier ist eine raffinierte Geschichte über den Tag, an dem Gott selbst vom Baum der Erkenntnis aß – und daraufhin alles vergaß: den Himmel, die Engel, die Schöpfung … und den Menschen.

Meine Geschichte will ich nennen: 'Der Biss des Vergessens'. Es war eine Nacht, in der das Paradies atmete wie ein satter Säugling. Eine tiefe, warme Stille wob sich hinaus in den Samt der Nacht. Der Baum der Erkenntnis stand da wie ein wartender Komet, seine Früchte glänzten blutroten Glaskugeln gleich, pulsierend vor Geheimnis wie der Puls eines brünstigen Weibes. Doch an diesem Abend war nicht Adam der Neugierige. Nicht Eva die Versuchte. Es war Gott selbst, der taumelnd durch den Garten schritt – und eine seltsame Unruhe in sich spürte.
'Warum', murmelte Gott, 'habe ich diesen Baum geschaffen? Und was war der Grund des Grundes?'

Die Schlange hörte seine Worte und lächelte in ihrem Versteck zwischen den Ästen. Dies war ihre Stunde. Sanft glitt sie über die knorrige Rinde des Baumes und sanft ließ sie ihre Stimme in die Nacht fallen, ähnlich wie Regentropfen auf stilles Wasser.

'HERR, hast du jemals selbst probiert, was du den Menschen verwehrst?'

Der Herr runzelte die Stirn. 'Ich bin allwissend. Ich brauche nicht zu probieren.' Die Schlange lachte. Ein dunkles, vibrierendes Lachen - so wie Lily Marleen einmal lachen wird, wenn sie an der Laterne der Welten lehnt. 'Allwissend? Und doch fragst du dich, warum du diesen Baum geschaffen hast … Ist es nicht gerade Wissen, das dir fehlt, wenn du fragst?'

Der Herr schwieg. Sein Blick glitt zu der tiefroten Frucht, die sanft im Wind schaukelte. Dann, langsam, hob er die Hand und pflückte sie.
Und es biss der Herr in die verbotene Frucht.
Dieser Biss war gewaltig. Wie ein Kometeneinschlag raste das Wissen durch ihn, Lichtblitze in seinem Geist, Fluten von Vergangenheit, Zukunft, von Sein und Nichtsein. Er sah jeden Gedanken, den ein Mensch jemals denken würde. Er hörte das Echo jeder Frage, die jemals gestellt wurde. Das Universum entfaltete sich vor ihm wie ein unendliches Mosaik aus Sinn und Unsinn.

Und dann – Stille.
Plötzlich wusste er nichts mehr.

Er vergaß, dass er Gott war. Er vergaß den Himmel, die Engel, die Schöpfung. Er vergaß, warum er diesen Garten je geschaffen hatte. Und – vor allem – er vergaß den Menschen. Gemächlich kam der Wind auf, ein sanftes Sausen. Die Sterne flackerten, als hätte jemand an ihrer Existenz gezweifelt.

Adam und Eva erwachten im Moos des Pradiesgärtleins und spürten es: Eine tiefe Leere war in der Welt ausgegossen worden. Sie blickten zum Himmel – kein Zorn Gottes mehr, keine Stimme da oben, kein Urteil, das zutraf. Es entstand eine große Stille.

Die Schlange lächelte. Genau das war ihr Plan gewesen. Von Anfang an. Am Anfang war der Plan. Ihr Plan. Nicht den Menschen aus dem Paradies zu treiben, sondern Gott aus seinem eigenen Geist zu vertreiben.

An diesem schrecklichsten aller Tage wurde der Mensch wirklich und total frei. Keine göttliche Strafe, keine himmlischen Regeln mehr. Nur er selbst, mit seinem Verstand und seiner Verantwortung.

Der Herr aber? Der wandelt ziellos durch das Universum, ein ewiger Wanderer ohne Erinnerung. Vielleicht irgendwo, in einem fernen Winkel der Schöpfung, betrachtete er einen Planeten und fragte sich, wer wohl diesen faszinierenden Ort erschaffen haben mochte …

Und auf der Erde? Der Mensch schreitet ins Ungewisse, ohne Gott. Zum ersten Mal in wahrer Freiheit. Der Herr, nunmehr ein Vergessener seiner selbst und nicht mehr, streift durch die Weiten des Universums. Sterne explodierten um ihn herum, Planeten entstanden und vergingen – aber er erkannte nichts davon als sein eigenes Werk. Er wusste nicht einmal mehr, dass er einmal Gott gewesen war. Zunächst irrte er ziellos umher, ein namenloses Wesen mit unendlicher Macht, doch ohne Bewusstsein darüber. ENDE"

Leberecht hatte aufmerksam zugehört. Und er wandte sich an den Geheimdienstler. Gibt es denn Hoffnung für den armen selbstvergessenen und sich unbekannten Gott? Gendrich Novascholov drehte Leberecht um dessen eigene Achse und ermunterte ihn, noch eine weitere Frage an die K.I. zu stellen.

Leberecht wiederholte seinen Text und bekam die Antwort:

"Nun - eines Tages landete der Herr auf einem kleinen, staubigen Planeten, dessen Himmel in tiefem Blau leuchtete. Der Herr betrachtete unter diesem Blau seine eigenen Hände – oder das, was er als Hände erkannte. 'Was bin ich?' fragte er sich. 'Bin ich allein?'

Die Wesen, die auf diesem Planeten lebten, nannten ihn den Träumenden, denn er sprach in Rätseln und stellte Fragen, die niemand beantworten konnte. Manchmal legte er die Hand auf einen Stein, und plötzlich spross eine Blume daraus. Ein anderes Mal starrte er in den Himmel, und die Wolken formten Bilder, die den Menschen Angst machten, so dass sie schrieen - oder vor Ehrfurcht verstummten.

Doch der Herr verstand nicht, warum diese Dinge geschahen.

Er versuchte, die Wahrheit über sich selbst zu finden. Er blieb der Wanderer, der Philosoph, der Geschichtenerzähler. Er sprach mit Weisen und Narren, mit Königen und Bettlern, mit Kindern, die ihn ansahen, grinsten und lachend vor ihm flohen. Manchmal träumte der Herr von einem fernen Garten, von einem Baum mit Früchten, von einer Schlange, die ihn prüfend anblickte – aber wenn der Herr erwachte, war alles verschwunden.

Leberecht machte ein bestürztes Gesicht und stellte nun noch eine dritte Frage: "Das klingt alles sehr betrüblich. Gibt es für Gott eine letzte Erkenntnis?"

Die K.I. antwortete sofort: "Ja - hier ist sie: Eines Tages traf der Herr auf eine uralte Frau, die am Rand des Ganges saß. Sie sah ihn an und lächelte. 'Du suchst nach etwas, nicht wahr?' fragte sie.

Der Herr nickte: 'Ich weiß nicht, wer ich bin.'

Die Uralte warf einen Stein ins Wasser. Kreise breiteten sich aus, einer nach dem anderen. 'Vielleicht bist du einfach nur jemand, der sich verloren hat', sagte sie.

Der Herr schaute auf die Kreise. Etwas tief in ihm glomm auf. Vielleicht war er nicht dazu bestimmt, sich zu erinnern. Vielleicht war er nicht länger der Allmächtige, sondern einfach nur ein Reisender durch das Universum.

Und so blieb er auf diesem Planeten wohnen, lebte unter den Menschen, lachte mit ihnen, weinte mit ihnen – und erkannte schließlich: Vielleicht war das, was er verloren hatte, gar keine Strafe. Vielleicht war es irgendeine Chance für irgendwen.

Und währenddessen lebte auf der Erde der sogenannte Mensch als das Ebenbild dieses des HERRN in einer neuen Freiheit – ohne Götter, ohne Himmel, ohne Hölle. Nur mit sich selbst und seinen eigenen Entscheidungen. Und vielleicht, ganz selten, erzählte sich jemand diese seltsame Geschichte über den selbstvergessenen Gott, der irgendwo im Kosmos als einfacher Wanderer lebt … und nicht mehr wissen kann, dass er es war, der einmal alles erschaffen hatte."

Als die K.I. dieses gesagt hatte, gab es ein quietschendes Geräusch und ein alter Nadeldrucker fing irgendwo hinter der Bakelitabdeckung an, etwas auszudrucken. Gendrich betrat das innerste des schwärzlich glänzenden braunen Gehäuses und kam mit ein paar Seiten Papier hervor. Die übergab er an den Pfarreri.R. und beobachtete genau, wie der alte Mann sich setzte und den Dialog mit der K.I. zu lesen begann. Seine alte brüchige Stimme wiederholte die Frage, welche ganz am Anfang gestanden hatte:

"Erfinde eine raffinierte Geschichte darüber, wie Gott selber vom Baum der Erkenntnis aß - und daraufhin alles vergaß. Auch den Menschen. Und wie dadurch erst der Mensch wirklich frei wurde. Schmücke das „Essen Gottes vom Baum der Erkenntnis” recht krass aus. Vergiss auch nicht, der Schlange bei Alledem eine ungewöhnliche Aufgabe zuzuteilen." 

Das Folgende las Leberecht nur noch leise. Das Summen des Gerätes hinter der Wand aus Bakelit war zu hören. Und das Flackern der Neonröhren an der Decke des Verhörraumes funkte seine Synkopen in die Stille des Raumes ...

Autor:

Matthias Schollmeyer

Webseite von Matthias Schollmeyer

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