TOLLE, LEGE - TOLLE, LEGE
Thomas Manns 150. Geburtstag

- hochgeladen von Matthias Schollmeyer
Der Erzbaumeister deutscher Prosa, Paul Thomas Mann, wägender Wanderer zwischen Mythos und Moderne, zwischen hansestädtischen Speichern und den Boudoirs großbürgerlicher Villen, feiert in diesem Jahr seinen 150. Geburtstag. Vor siebzig Jahren unter die Sterne versetzt, gilt der Stil dieses Großen unter den Schriftstellern als die formgewordene literarische Brillanz überhaupt - und zeigt eine ganz besondere Intelligenz formulierender Feinsinnigkeit! Thomas Mann schuf dem gelungenen Wort an sich einen arkadischen Garten voll parenthetischer Prachtstücke, voller schwingender Perioden, welche sich winden und wälzen wie Schlangengottheiten, verführerisch, gefährlich - aber tief durchdacht von Anfang an. Lest, Leute, lest! Die „lesende Gemeinde“ - wäre das nicht etwas für schwächelnde Pfarrheime bzw. Gemeindehäuser landauf/landab?
Ja - denn in „Joseph und seine Brüder” senkte der gebürtige Lübecker sein Lot in den altorientalischen Mythenbrunnen und maß ihn spähend aus - vom Rand der Neuzeit hinab blickend. Da freut sich der Christ, dass er endlich, endlich das Alte Testament versteht und schätzen lernt. Und schöpft aus der Tiefe nicht nur Wasser, sondern lauteres Bewusstsein. Mann ließ die Bibel des Alten Testaments nämlich nicht im Staub moderner Achtlosigkeit verdürsten, sondern wandelte sie um in einen großen sprechenden Traum und in das Denkmal eines Verständnisses darüber, wie alles lebendig Menschliche längst im Alten bereits vorhanden gewesen – in Ägypten, in Charan, in Ur, im Vaterhaus des Patriarchen Abraham und seiner Kindeskinder. Wer je vom „göttlichen“ Joseph las, der weiß: Ironie ist kein Spott, sondern ein Altar aus klarem Geist gebaut, darauf der Opfernde das Geopferte verwandelt und aufsteigen lässt. Und die, die durch Lesen dieses Opfer vollziehen, lassen sich in fernste Höhen des Geistes mit erheben.
Und dann – Königliche Hoheit. Ein Roman zart wie Porzellan – und ebenso zerbrechlich. Ein Fürst, kein Held; ein Herzog in der Warteschleife der Geschichte, der an seiner eigenen Bedeutungslosigkeit einen fast metaphysischen Stolz entfaltet. Was bleibt dem Menschen, wenn seine gesellschaftliche Rolle nicht mehr gebraucht wird? Wenn die Welt der Orden, der Titel, der Würdeformen zu einem lächerlichen Stillleben mutiert ist? Claus Heinrich bleibt Hoheit – nicht aus Macht, sondern aus Stilgefühl. Und genau darin liegt die Größe: Dass Thomas Mann inmitten einer zusammenbrechenden Welt eine Form bewahrt, eine Haltung, ein leises, ironisch leuchtendes „Trotzdem“. Thomas Mann zeigt hier, wie man mit Würde verliert – und dabei gewinnt.
Und dann – Der Erwählte. Dieser Roman ist ein Spiel der Formen! Ein gotisch durchlichtetes Gelächter aus der Ewigkeit. Die Legende wurde unter der schreibenden Hand des Zauberers zum Paradox der reinen Naivität, zur Anspielung, zum geläuterten Witz, zum Zitat eines Zitats, liebevoll geflochten wie ein Choral aus glühendem Glas.
Doch auch den Abstieg kannte der Mann. Dr. Faustus – einer der dunkelsten Psalmlieder wurde hier zur Musik der großen Krankheit, Tonkunst ward zur Pest und der Teufel kam daher – als höflicher Intellektueller wie heute. Wie gewagt, wie groß, wie deutsch! Was die Juden Schönberg und Adorno grübelten und klagten, das fasste Thomas Mann jenseits des sich selbst zerberstenden Heimatlandes in Prosa – und schuf das Fanal einer Epoche, die Deutschland und seine Bewohner zur Spelunke aller Höllen hinabfahren ließ.
War Thomas Mann auch Bürger? Einer jener Buddenbrooks war er. Untergang in Seidentapete, Zerfall behäbiger Gediegenheit. Ein Kaufmannshaus, das sich in kleinen Schritten auflöste bis zum Konkurs. Das war einmal ein gelungenes Buch. Ein Familienepos, das in der Musik des begabten Hanno endete und das humanistische Gymnasium mit allein seinen skurrilen Lehrern auf’s Korn nahm. Die Mitschüler des armen Hanno, in Sonderheit Alfred Totenhaupt und der kleine Graf Mölln - sie sind uns besonders ans Herz gewachsen. Wo des Tages Geschäfte ersterben, da beginnt die Seele zu spielen. Und erfindet die Gestalten der Bankiers Kesselmeyer und Gosch, die Musiklehrer und Kantoren Jean Jacques Pfühl und den Herrn Brecht, die Doctores Grabow und Preetorius und viele andere köstliche Figuren, welche im Orchster der Handlung als einzelne Instrumente die Fülle des Wohllauts erklingen lassen.
Jetzt - der Zauberberg mit dem Schallplattenkapitel! Ein Hohelied auf das Denken in Höhenluft. Ein Sanatorium als Spiegel des Abendlandes, mit Settembrini und Naphta als konträre Pole, zwischen denen tausende Volt Spannung anliegen. Hier weht der Wind der Begriffe, hier tanzte die Zeit in Schneekristallen. Hier wurde Krankheit zum Erkenntnismittel, und das Gespräch zwischen den Liebenden Hans Castorp und Madame Clawdia Chauchat zum Hochamt der sehnsüchtiger Entsagung. Zum Schluss natürlich steht wieder der unausweichliche Tod - als Erlösung des Erzählfadens, der sich über sieben Jahre Sanatorium hinzieht.
Thomas Mann war ein ironischer Theologe des Wortes, ein katholischer Protestant, ein Dionysos im Gewande des Apoll. Seine Religiosität war keine Frömmigkeit uns bekannter Denominationen, sondern war das Experiment, dem Transzendenten die skeptische Stirn zu bieten - nicht ohne ihm damit ein neues Portal zu öffnen, vermittels seiner Durchdringung und Bewahrung im beschreibenden Daran-Gedacht-Zu-Haben. Thomas Mann dachte, was er nicht glauben konnte und schrieb es auf, als ob man daran glauben müsste. Das gelang zumeist - weil dieser Mann wusste, wie der Glaube immer die Kunst braucht und die Kunst durch den schaffenden Zweifel sich selbst in eine besondere Art Glaubensbekenntnis verwandelt. 1955 verließ er diese Welt achtzigjährig. Im Jahr 2025 wird er nicht bloß gefeiert, sondern fast wohl auch angerufen werden müssen? Denn in einer Zeit, die das Lange scheut und das Tiefe fürchtet, sind Thomas Mann und seine Bücher Hüterinnen von verborgenen Schätzen, versteckt im hartgefahrenen Acker eines hie und da tatsächlich völlig entarteten Kulturbetriebes …
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