die Taten des Lichts
Kurt Globnich

Kurt Globnich war Lehrer für Staatsbürgerkunde in der Deutschen Demokratischen Republik. Er trug seine Krawatte wie ein Abzeichen der Vernunft und seine Schläfen waren so streng wie die offizielle Weltanschauung der Honeckerzeit. Religion war für Globnich: Opium,  Altlast und Aberglaube. In der achten Klasse der Polytechnischen Oberschule von S. war Globnich bekannt für seine trocken glänzende Stirn und die feuchte Aussprache. Globnich war der Typ, der im Unterricht Wörter wie „dialektischer Materialismus“ und "Klassengegensatz" mit der Zärtlichkeit eines Fallbeils aussprach.

Für den Vormittag des 21. März des Jahres 1988 hatte Glonich den Entschluss gefasst, mit seiner Klasse die Dorfkirche zu besuchen – wissenschaftlicher Anschauungszwecke wegen, wie er sagte. „Genossinnen und Genossen“, begann er die Stunde - und das war natürlich hoch übertrieben, so weit übertreiben darf noch nicht einmal Gott selbst - „heute sehen wir uns ein kulturelles Relikt aus der Zeit ideologischer Umnachtung an.“ Niemand widersprach. Es war erst 10.55 Uhr.

Die Sonne schien - was in S. dieses Jahr ein fast metaphysisches Ereignis war, denn der März des Jahres 1988 hatte sich bisher nur düster, kalt und ungemütlich aufgespielt. Globnich führte seine Klasse mit pedantischer Genauigkeit in das Kirchenschiff hinein. Er wollte die jungen Leute vor das Grablegungsbild führen, um dann laut und deutlich sagen zu können: „Hier seht ihr’s: Tot. Am Grabe schon. Keine Auferstehung. Ende der Debatten.“

Doch eben gerade als sie eintraten, geschah etwas Seltsames. Die Sonne, Hauptklassenfeindin des Dialektischen Materialismus, fiel schräg durch das Seitenfenster auf das Bild – und das Bild brannte! Die Christusfigur wurde nämlich direkt angeleuchtet - schien selber zu leuchten. Was sage ich da - nicht nur zu leuchten, sondern aufzuerstehen. Arme ausgestreckt, wie vor dem Tor zum Himmel, der Leib entrückt, das Gesicht voller Glorie. Golden flackerte es auf dem bemalten Tuch wie am ersten Schöpfungstag.

Kurt Globnich blieb wie angewurzelt stehen. „Nein“, stammelte er. „Da … das ist falsch. Das ist doch… das ist doch nicht die Grablegung?“ Er blinzelte. Wischte sich über die Augen. „Das ist doch die Auferstehung?!“

Stille. Keiner sagte etwas. Denn das Sonnenlicht predigte prangend. In diesem Augenblick trat ein kleiner Junge vor – der Konfirmand Martin Gottlieb, Hornbrille, karierter Schal, Kind aus dem Ort S. Und sagte, so einfach, wie nur Kinder lügenlos sagen können: „Nee, das is schon die Grablegung, Herr Globnich. Aber wenn die Sonne drauf scheint, sieht’s aus, als ob er lebt.“

Globnich starrte den Zeugen des Morgenlichts an wie das Kaninchen die Schlange. Dann sagte er leise: „Ach du Scheiße.“ Und fiel um. Ein dumpfes Geräusch auf dem Steinboden. Einige Mädchen schrien. Einer der Jungs rannte los. Der Küster kam von irgendwoher gelaufen. Und der Pfarrer, welcher hinten in der Sakristei hantierte, rief schließlich den Notarzt. Sanitäter kamen, legten den Lehrer Globnich auf eine Trage und rollten ihn aus der Kirche ins Licht.

Im Krankenhaus angekommen fragte ihn eine hübsche Ärztin: „Was ist denn passiert, Herr Globnich?“ Der antwortete:„Ich habe gesehen, dass das Licht lügt. Und wie es dabei die Wahrheit sagt.“ Zwei Wochen später reichte er seine Kündigung ein. Wegen plötzlicher metaphysischer Unverträglichkeit mit dem Dienst in einer sozialistischen Schule. So zumindest wurde es in der Schule treppauf, treppab kolportiert.

Manche wollen heute wissen, Globnich wäre nach der Wende Kustos im Heimatmuseum von Z. geworden. Dort, sagt man, hätte er oft stundenlang vor einer Vitrine mit Bruchstücken farbiger Kirchenfenster gestanden und auf das Licht gewartet. Auf  den Anbruch des Morgenlichts, das seine Strahlen in den Glaskasten sandte - und dort Wunder erzeugte, denen Globnich sich nicht mehr entziehen wollte. Und auf das Abendlicht, wenn derTag zur Neige gegangen. Globnich stand und stand. Dann und wann flüstert er: „Seht doch, wie das Licht lügt. Und wie es dabei die untrügliche Wahrheit sagt.“

Autor:

Matthias Schollmeyer

Webseite von Matthias Schollmeyer

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