Wenn aus einer Telefonzelle ein Andachtsraum wird
Gelobt sei Gott, der mein Gebet nicht verwirft noch seine Güte von mir wendet.
Psalm 66, Vers 20
Von Pastorin Sabine Wegner
Wo das Dorf steil in die Höhe wächst und auch die Kirche ihren Platz hat, wird ein Quadratmeter großes Rasenstück entfernt. Die schöne Idee, in Sichtnähe eine ehemalige Telefonzelle als »Offenen Bücherschrank« zu etablieren, steht vor der Vollendung. An der Straße soll die hübsche »Gelbe« mit den geschwollenen Ecken ihren Platz finden und die Einwohner einladen, ihre Bücher und vielleicht mit ihnen auch ihre Herzensangelegenheiten auszutauschen. Ein Umschlaghafen der individuellen Lesefracht, wie man sie besonders in größeren Städten wahrnehmen kann.
Aber erst muss noch das alte Münztelefon herausgenommen werden. Am Klappbügel stört das abgegriffene Telefonbuch. Eine lesbare Bibelausgabe wäre eine Alternative. Hochgeklappt und aufgeschlagen – eine gute Erfindung. Bliebe der Telefonhörer hängen, würde er womöglich zu einem Gespräch mit »ihm« einladen, in dem Sinne: »Wir müssen miteinander reden. Gott.«
In der kleinen Stadt Otsuchi im Nordosten Japans steht eine »Telefonzelle des Windes«. In einem Garten am Meer können die Hinterbliebenen der Tsunamiopfer mit ihren vermissten Angehörigen telefonieren. Ich bin mir sicher, dass die Worte nicht ungehört bleiben. Faszinosum »Telefonzelle«. Mitten auf öffentlichem Gelände, auf dem Weg vom Schulbus oder auf dem Spaziergang, kann ich eine Tür hinter mir zuziehen. »… schließ die Tür zu und bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist; und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir’s vergelten.« (Matthäus 6,6) Wer in eine Telefonzelle geht, verwandelt sie von einem öffentlichen in einen privaten Raum. Man ist unter sich. Vielleicht ist diese Art, dringlich aufgesuchte und beseelte, Telefonzelle eine fixe Idee, wer weiß? Vielleicht aber auch eine Möglichkeit oder auch nur ein Fingerzeig, einmal wieder anzurufen und das Gebet zu suchen. Wenn ich in der modernen Mönchszelle sagen kann: »Gelobt sei Gott, der mein Gebet nicht verwirft noch seine Güte von mir wendet«, hat sich die »Gelbe« auf jeden Fall gelohnt.
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