»Jeder musste ringen, wie auch unsere Kirche«
Christen in der DDR: Wie sie ihr Verhältnis zum Staat gestalteten, war unterschiedlich und konnte entsprechende Konsequenzen haben. Hans-Christoph Maletz zählt sich zu jenen, die die Zeit ohne größere Blessuren überstanden haben.
Von Sabine Kuschel
»Ich hatte das Glück, in einem christlichen Elternhaus aufzuwachsen. Zweifel, dass es Gott nicht gibt, sind mir nie gekommen«, erzählt Dr. Hans-Christoph Maletz (Jahrgang 1957). »Das ist ein großes Geschenk.« Und eine gute Voraussetzung für sein kirchliches Engagement. Der Zahnarzt arbeitet in mehreren Gremien, ist Mitglied der Landessynode der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM), im Landeskirchenrat sowie Vorsitzender des Gemeindekirchenrates in Bleicherode (Kirchenkreis Südharz). Die Arbeit in der Synode macht ihm sehr viel Freude. Er schätzt die Begegnung mit vielen klugen Menschen. Die tiefgründige Diskussion über verschiedene Themen bedeutet ihm geistliche Stärkung und intellektuelle Herausforderung.
Christsein in der DDR hatte viele Facetten. Wie jemand sein Verhältnis zum Staat gestaltete, sah unterschiedlich aus und konnte dementsprechend verschiedene Konsequenzen nach sich ziehen. Die reichten von einer unbehelligten christlichen Existenz bis hin zur Verfolgung und Verhaftung.
Bei der Herbstsynode im November 2017 las Maletz das Bußwort der EKM vor. Mit diesem bittet die Kirche jene um Vergebung, die während der DDR-Diktatur von der evangelischen Kirche nicht ausreichend Unterstützung bekamen. Er selbst zählt sich zu jenen, die die DDR ohne größere Blessuren überstanden haben.
Allerdings achtet er darauf, nicht anzuecken. Seine Eltern leben ihm diese Haltung vor. »Sie waren – bedingt durch die Kriegserlebnisse – zurückhaltende Christen, haben die Konfrontation mit dem Staat vermieden.« In der Pubertät, »wenn man ungestümer wird«, hinterfragt Maletz diese Haltung kritisch. Mitgliedschaft bei den Pionieren war für die Eltern selbstverständlich, ebenso die Teilnahme an der Jugendweihe. Als Jugendlicher kann er das nicht ohne ein schlechtes Gewissen miteinander vereinbaren. »Ich habe die Jugendweihe als Sünde empfunden.« Als ein Jahr danach der Pfarrer bei der Konfirmation sagt: Jetzt sind alle deine Sünden vergeben«, fällt ihm ein Stein vom Herzen.
Seine Prägung erhält er im Jugendkreis der landeskirchlichen Gemeinschaft. Wie kann ich als Christ ein aufrechtes Leben führen? Wie verhalte ich mich, wenn ich in der Schule ein Gedicht aufsagen soll, in dem Gott verunglimpft wird? Diese Fragen belasten ihn ebenso wie die Teilnahme am Wehrkundeunterricht. Doch die Konfrontation bleibt während der Schulzeit aus.
Maletz will Zahnmedizin studieren, seine Frau Danila Pädagogik. Wegen einer Hepatitis wird er für den Wehrdienst als dienstuntauglich eingestuft. Er arbeitet zwei Jahre als Hilfspfleger im Krankenhaus. Die Zulassung zum Studium zieht sich hin. Wiederholt wird er gemustert. Um ihn als wehrtauglich einstufen zu können, werden ärztliche Befunde ignoriert. Eine Staatsratseingabe seines Vaters hilft endlich, dass seine Wehrdienstuntauglichkeit akzeptiert und er zum Studium zugelassen wird. Hier lautet seine Devise: Lernen, damit sie dir fachlich nichts anhaben können!
Nach dem Studium wird er anderthalb Jahre zum Wehrdienst eingezogen. Maletz und seine Frau pflegen engen Kontakt zum landeskirchlichen Jugendkreis. Probleme kommen in den 1980er-Jahren mit dem Aufnäher »Schwerter zu Pflugscharen«. Obwohl der Jugendkreis politisch harmlos ist, nicht einmal das Symbol Schwerter zu Pflugscharen nähen sich die jungen Leute auf die Jacken, dennoch wird er als staatsfeindlich verunglimpft.
Brenzlig ist die Situation an einem Sonnabendabend. Der ökumenische Ehepaarkreis, zu dem Maletz und seine Frau gehören, will am Sonntag gemeinsam zum Gottesdienst gehen. Am Abend zuvor ruft seine Mutter an und bittet ihn zu einem Gespräch. Sie berichtet von dem Besuch zweier Männer, die ihr mitgeteilt hätten, dass der Staat dieses sonntägliche Treffen als staatsfeindliche Zusammenrottung verstehe und mit Verhaftung drohe.
»Ich habe die ganze Nacht überlegt«, erinnert sich Maletz, wie er mit dieser Situation umgehen soll. »Ich habe mir einerseits gesagt, du kannst dich nicht beugen. Andererseits gilt es Rücksicht zu nehmen auf seine damals noch kleinen Kinder.« Das Ehepaar beschließt, nicht zu dem Gottesdienst zu gehen, stattdessen das Gespräch mit dem Superintendenten zu suchen. Dieser habe gemeinsam mit dem Ortspfarrer den Vorfall bei staatlicher Stelle zur Sprache gebracht. »Seitdem war Ruhe«, so Maletz. Unter Beobachtung fühlt er sich dennoch.
1988 steht die Facharztprüfung bevor. Wieder ist seine Devise: Lernen, lernen, lernen, um fachlich unangreifbar zu sein. Seine Frau verlässt mit den Kindern für eine Zeit das gemeinsame Zuhause, damit er sich in Ruhe auf die Prüfung vorbereiten kann. Die hat es in sich. Neben den Fachfragen werden ihm viele politische Fragen gestellt. Er muss passen. »Das wissen Sie nicht? Das müssen Sie aber als Arzt in unserer Gesellschaft wissen!«, kommentiert der Prüfer. Ein Blick in die Gesichter der übrigen Prüfer sagt ihm: Ich bin hier nicht allein. Nach dieser Tortur muss er lange auf das Ergebnis warten. Schließlich wird ihm mitgeteilt: »Sie haben bestanden. Ihre Prüfungsleistungen haben mir sehr gut gefallen.« Maletz empfindet diese Worte, die Art und Weise der Mitteilung als ermutigend.
Die Praxis seiner Mutter, die sich als Zahnärztin niedergelassen hatte, darf er nicht übernehmen. Doch lange währt die DDR nicht mehr. Die Wende naht. Bis er 1991 seine eigene Zahnarztpraxis eröffnen kann, arbeitet er in der Poliklinik.
In jenem Jahr 1988, als ihm vor besagtem Gottesdienst Verhaftung angedroht wird, kandidiert er für den Gemeindekirchenrat. »Ich wollte mitgestalten, die Liturgie umkrempeln, die ich heute liebe.« Er absolviert eine Prädikantenausbildung, »ein ganz wichtiger Lebensabschnitt.« Die Arbeit in Gemeinde, Kreis- und Landessynode, im Landeskirchenrat erlebt er aufbauend und stärkend. Die Zeit, die er beispielsweise in die Gottesdienstvorbereitung oder eine Andacht steckt, empfindet er nicht etwa als verloren, sondern als Gewinn.
Im Rückblick auf die Vergangenheit hält der Synodale fest: »Wir wollten als Christen ungestört in der DDR leben, wir haben uns nie staatsfeindlich engagiert. Jeder musste ringen, wie auch unsere Kirche.«
Autor:Online-Redaktion |
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