ZAHL UND MYSTERIUM - 153
OSTERGESCHICHTEN (3)
Einer der wichtigsten Sätze innerhalb der gottesdienstlichen Liturgie: „Geheimnis des Glaubens. Deinen Tod verkünden wir und deine Auferstehung preisen wir - bis du kommst in Herrlichkeit.” Wahrscheinlich sogar der wichtigste Satz - denn er bezeichnet dasjenige, worum es dem Christentum als Erlösungsreligion geht: Um die Bekanntmachung des im Falle Jesu Christi gründlich schiefgegangenen Todes. Ideengeschichtlich vorbereitet wurden unsere seit ca. 2000 Jahren nunmehr stattfindenden gottesdienstlichen Feiern des exemplarisch „gescheiterten Todesversuchs” durch prophetisches Raunen grauer Vorzeit und durch aus Persien eingedrungene Großphantasien im Blick auf "Leben nach dem Tod irgendwie". Und auf diese Weise wurden hinsichtlich der Besiegbarkeit des Todes auch für den Kulturkreis Israels dauerhaft brennende Hoffnungsfeuerchen entzündet. Die Jesaiaapokalypse z.B. ist solch ein frühestes Zeugnis (Jes 26,19f). Dort heißt es zum ersten Mal: „Wachet auf und jubelt, die ihr im Staube lieget! Denn ein Tau des Lichtes ist dein Tau; und die Erde wird die Schatten auswerfen” (Elberfelder Übersetzung).
Schließlich - im Sog der Logostheologie seiner gnostisch hochaufgeladenen Zeit - entschließt sich der Evangelist Johannes, Jesu Auferstehung durch die Auferweckung eines Mannes namens Lazarus thematisch vorzubereiten (Joh 11). Und wenn Jesus in eigener Person seinen verblichenen Freund Lazarus aus dem Reich der Schatten ins Leben zurück führen kann, und der schon Gestorbene leiblich aus dem Zustand bereits begonnener Verwesung wieder zurückkehrt, dann liegt der Verdacht nahe, dass die Person Jesu selber (und in Folge dessen genauso auch wir) prinzipiell auferstehen können müssten. Über die Lazarus-Aktion Jesu staunen alle, die dabei waren - und von diesem denkwürdigen Tag an folgte man Jesus gern nach. Die Oberen des Volkes planen auch schon bald, den Erretteten und seinen Retter gemeinsam umbringen zu lassen, denn wirklicher Souverän ist derjenige, der die Kunst der Auferstehung/Auferweckung beherrscht, bzw. überzeugend von ihr erzählen kann. Genau das nun ist später zur Aufgabe der Kirche geworden und ist es auch geblieben: „Geheimnis des Glaubens. Deinen Tod verkünden wir und deine Auferstehung preisen wir - bis du kommst in Herrlichkeit.” Von der Auferstehung der Toten zu schweigen wäre Sünde. Man muss das so hart formulieren - wenn auch jenes kritische Problembewusstsein nicht fahren gelassen werden darf, welches zur Verleugnung des zentralen Wunders im Glaubensschatz der Kirche hie und da geführt hat.
Auf jeden Fall darf die Auferstehung nicht deshalb verschwiegen werden, weil der Normalbürger angeblich schon lange glauben gemacht worden ist, sie nicht mehr verstehen zu können. Es geht auch gar nicht darum, die Auferstehung zu verstehen. Es geht darum, von ihr zu hören. Und den Auferstandenen zu erfahren. Wie geht das?
Besonderes Augenmerk richten wir jedes Jahr auf die drei Ostererzählungen des Johannesevangeliums, in denen von der Auferstehung/Auferweckung explizit zwar (oder garade absichtlich!) nicht geredet wird, aber das, was die beiden nicht auftauchenden Begriffe Auferstehung/Auferweckung meinen, in den sonderbaren Verlauf dieser drei Begebenheiten erzählerisch aufgelöst wird. In den genannten Geschichten (Gärtnerverdacht / Wundenkontrolle / 153 Fische im Netz) spielt ein Umschwung vom Nicht-Erkennen zum Wieder-Erkennen eine tragende Rolle. Nicht-Erkennen wird im Laufe der jeweils erzählten Begebenheit in ein Wieder-Erkennen umgeformt. Maria erkennt in dem Gärtner den Meister Jesus, weil ihr Name ausgesprochen wird. Thomas erkennt in der Mitte der Freunde an seinem verwundeten Leib den geliebten Meister. Sieben Jünger erkennen vom Meer aus in jenem einzigartigen Fremden, der am Ufer steht, den ihnen vertraut gewesenen Herrn. Trotzdem bleibt in der Schwebe, ob der bekannte Leib der ehemaligen Person Jesu noch die Hauptsache blieb. Der Auferstandene ist nicht mehr (nur) der Noch-Nicht-Auferstandene.
Die Erkenntnis des Auferstandenen wird bei Johannes nicht abhängig gemacht von der Engelerscheinung am Grabe, wie wir solche Erscheinungen bei den Synoptikern finden. Das Gewahrnehmen der Gegenwart des Auferstandenen vollzieht sich nicht durch Engelerklärung sondern durch Ähnlichkeiten zwischen Ereignissen jetzt und Ereignissen damals. Der Glaube entzündet sich quasi anhand von Strukturanalogien, die zwischen damaligen und jetzigen Erlebnissen walten. Auch die Emmausgeschichte bei Lukas funktioniert ähnlich - die beiden traurigen Wanderer erkennen Jesus erst nicht. Er ist auch nicht zu erkennen, denn er ist ein anderer! Das ist wichtig. Der Auferstandene ist m e h r als der Nicht-Auferstandene gewesen sein konnte. Deshalb ist er nicht erkennbar! Aber seine Brot-Teil-Geste macht "überwahr" (bewahrheitet), was an seinem Antlitz unseren Augen offenbar nicht mehr begreifbar werden kann bzw. will.
Bei Johannes ist es nicht nötig, die Auferstehung oder Auferweckung „verkündet zu bekommen” um dann glauben oder eben nicht glauben zu können. Sondern es geschehen „unscheinbar große Dinge”, die sich selber deuten in dem Sinne, dass der HERR da ist. Jesus hat seine Auferstehungsplots ein ganzes Leben lang vorbereitet, so dass nun überall dort, wo einer Brot teilt, ER da ist. Überall dort, wo einer einen Menschennamen anrührend sagt, ist ER da. Überall dort, wo Wunden nicht schamhaft verschwiegen werden, ist der Sohn Gottes präsent. Diese Präsenz ist aber nicht mehr an die fleischliche Erscheinung des Zimmermanns Jesus gebunden. Die Präsenz Jesu hat sich nach dorthin enthoben, wo sie allein (nur) als dynamisierte Fortsetzung seines ehemaligen Mit-Uns-Lebens angenommen (geglaubt) werden kann.
Auf diese Art nimmt die Auferstehungskonzeption des Johannesevangeliums ganz behutsam einen gewissen Abstand zur Körperwelt ein. Der Evangelist führt die Botschaft ins Geistige hinaus, ohne dabei die Körperwelt zu missachten. Jesus verweigert zwar den leiblichen Kontakt Marias zu ihm, befiehlt aber selber einen solchen seinem Jünger Thomas. (Ähnlich auch bei den Synoptikern - Jesus lässt sich zwar am Tisch der Emmausjünger nicht greifen, aber das Matthäusevangelium erlaubt, dass die Frauen seine Füße umfangen). Es scheint so, als ob diese eigenartigen Widersprüchlichkeiten geradezu gewollt sind. Wir beugen uns kopfschüttelnd über solche Geschichten und glauben zu verstehen … Denn man kann dann, wenn sich etwas nicht beschreiben lässt, mit dem Versuch zu beschreiben aufhören - und verstummen. Man kann aber auch, wenn sich etwas nicht beschreiben lässt, dieses Unbeschreibliche mit Hilfe von Widersprüchen in Bewegung halten. Gemeint sind dabei nicht die bekannten Gegensatzpaare der alten via negativa theologiae - sondern das Ganze geschieht mit Hilfe in sich nichtkompatibler Erzählungen, welche als Stilmittel einer Kampfkunst ähnlich sind. Selbsterweiterung durch Selbstverwirrung! Asymetrische Kriegsführung gegen den eigenen Verstand, der nämlich nicht gewinnen darf. - Denn, sollte er gewinnen, würde er genau das besiegt haben, was er glauben zu können erhofft hatte. Durch intelligente Verwirrung von sich selbst als eigenen Gegner entsteht eine Zeit-Raum-Sphäre und ein imaginärer Ort für den Glauben an die Realität des Wunders.
Damit dieser Prozess weder auf der alltäglich erlebaren noch der literarischen Ebene in unsinnigem Widersinn versinkt, sind biblische Berichte nicht selten an unbestechliche Strukturen angelehnt worden. Das ist z.B. die Welt der Schrifttradition, die nicht selten zum „Beweis” herangezogen wird. Und es ist die Welt der Zahlen. Alles, was sich mit dem Gesetz der natürlichen Zahl verbündet, indem es irgendwie vor den Zeichen niederkniet, mit Hilfe derer der Ewige die Welt rufend erschuf (Genesis 1,1), scheint gerettet zu sein. Warum sonst sind es 153 Fische, die gefangen werden? 153 ist als Eckzahl die Summe der Zahlen von 1-17, wobei der Zahlenwert des hebräischen Wortes für gut/schön 17 (טֹ֑וב) ist, dessen Quersumme als Zahl 8 der Quersumme des Namens Gottes (Tetragramms) entspricht und auch den beiden ersten Schöpfungswerken Himmel (השּׁמים) und Erde (הארץ), wie sie in Genesis 1,1 mit dem jeweiligen Artikel fixiert worden sind. 153 als neue Schöpfung des Geistes Gottes über den Wassern? Am achten Tag (Joh 20,26) erkennt Thomas Jesus als den Gekreuzigten. Sozusagen auf der höheren Oktave einer kürzlich vergangenen Katastrophe. Warum sind es sieben Jünger, die fischen gingen (Joh 21,1ff), fünf kennen wir mit Namen und zwei sind unbekannt. Sieben Schöpfungstage und fünf Brote und zwei Fische - das spiegelt sich hier auf einer grundsätzlichen Basisstruktur wieder - die Zahlen. Warum steht Jesus als Einzelner am Ufer. Damit es wieder acht Personen sind? Petrus, der Zweifler Thomas und Nathanael (der nur im Johannesevangelium auftaucht). Dann noch Johannes mit Jakobus und zwei andere Jünger, deren Namen nicht genannt wird, machen sieben. Plus Jesus sind acht.
Von der Warte der in den Text hinein gewobenen Zahlen aus wird begreiflich, warum der erste (Joh 20,31) und der zweite (Joh 21,25) Schluss des Johannesevangeliums von sich selbst behaupten, es sei alles mit Worten nur deshalb geschrieben worden, damit man vermittels des Namens Jesu (ἐν τῷ ὀνόματι αὐτοῦ) zum Glauben finden wird . Und die Welt der Bücher jene unzählig vielen Wunder der Taten, die Jesus vollbrachte (Ἔστιν δὲ καὶ ἄλλα πολλὰ ἃ ἐποίησεν ὁ Ἰησοῦς), nicht wird fassen können … Wie denn auch - denn die Welt der Zahl reicht über Raum und Zeit weit hinaus ins Offene.
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