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Geschichte
Wittenbergs Mauerfall

Drohnenaufnahme der Lutherstadt Wittenberg: Die Industrialisierung ging zunächst an Wittenberg vorbei. Vor der Stadtmauer durften keine festen Häuser gebaut werden. Vor 150 Jahren zog mit der sogenannten Entfestigung das Zeitalter der Industrieproduktion in die Lutherstadt ein.


 | Foto: epd-bild/imageBROKER/Frank Ludwig
  • Drohnenaufnahme der Lutherstadt Wittenberg: Die Industrialisierung ging zunächst an Wittenberg vorbei. Vor der Stadtmauer durften keine festen Häuser gebaut werden. Vor 150 Jahren zog mit der sogenannten Entfestigung das Zeitalter der Industrieproduktion in die Lutherstadt ein.


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Die Industrialisierung ging zunächst an Wittenberg vorbei. Vor der Stadtmauer durften keine festen Häuser gebaut werden. Vor 150 Jahren zog mit der sogenannten Entfestigung das Zeitalter der Industrieproduktion in die Lutherstadt ein.

Von Bettina Gabbe (epd)

Zwischen hohen Bäumen steht im Stadtpark von Wittenberg bis heute ein unscheinbares Denkmal für Kaiser Wilhelm I. (1797-1888). Es wurde auch zu DDR-Zeiten nicht abgebaut. Eine Inschrift auf dem schlichten Sockel erinnert an den Mann, der in seiner Eigenschaft als preußischer König  vor 150 Jahren den Befehl zur Entfestigung der Stadt gab. Damit konnte die Industrialisierung auch in Wittenberg mit einem halben Jahrhundert Verspätung beginnen. In diesen Tagen begeht die Lutherstadt das Jubiläum als wichtigen Schritt für ihre Entwicklung mit einem Konzert und Sonderführungen.

Unmittelbar nach dem Befehl zur Entfestigung wurde damit begonnen, das Festungsrecht aufzulösen und die Stadtmauer niederzulegen. Gleichzeitig entstand auf den Wallanlagen ein Park. Der Leiter des Museums Wittenberg, Andreas Wurda, betont, die Grünanlagen hätten keine wirtschaftliche Bedeutung gehabt, sondern allein der Erholung gedient: «Das erstarkende Bürgertum brauchte Flaniermeilen, man wollte Natur erleben», sagt Wurda, der für die städtischen Sammlungen und das Ratsarchiv zuständig ist.

Wenn Martin Luther (1483-1546) und andere Reformatoren von ihren vor den Toren der Stadt gelegenen Lusthäusern mit Garten abends zurück in die Stadt wollten, mussten sie vom Festungsrecht vorgesehene Sondergenehmigungen vorweisen. Denn die Tore wurden abends geschlossen. Unter den Beschränkungen habe auch das Leben an der Wittenberger Universität gelitten, sagt Wurda.

Die Vorstädte außerhalb der Mauern seien überdies bei jeder kriegerischen Handlung verbrannt worden, teilweise von den Menschen, die die Festung verteidigten. Wenn genügend Zeit war, wurden die Häuser abgetragen, um das Baumaterial zu sichern. Vorstädte wurden abgetragen, damit die Angreifenden sich dort nicht verbergen konnten.

Eine seit 1323 nachgewiesene mittelalterliche Stadtmauer wurde im 16. Jahrhundert abgerissen, weil sie Angriffen mit modernen Kanonen nicht mehr widerstand. Stattdessen wurden Wallanlagen und in ihrem Innern eine neue Mauer errichtet. Vor dem Wall verlief ein Wassergraben, der durch ein Schleusensystem mit Wasser aus der Elbe gespeist wurde. «Die innere Mauer wurde durch den Wall geschützt, wer mit Kanonen hineinschoss, erreichte nicht mehr, dass die Mauer einstürzte», erklärt Wurda.

Festung zweiter Klasse

Nachdem die ehemals sächsische Stadt mit dem Wiener Kongress von 1815 preußisch wurde, wurde Wittenberg zur Festung zweiter Klasse aufgewertet. In der Folge durften im Umfeld von mehreren Hundert Metern keine Siedlungen errichtet werden. «Es durften keine festen Häuser entstehen, das heißt, die Industrialisierung ging an Wittenberg vorbei», stellt der Leiter der städtischen Sammlungen fest. Der auf die Gründung des Deutschen Kaiserreichs von 1871 und den anschließenden Wirtschaftsboom folgende Börsenkrach von 1873, der sogenannte Gründerkrach, wirkte sich nicht auf die Stadt aus. Die Industrialisierung begann dort erst später.

Nach der Entfestigung siedelten sich vor allem im Westen der Stadt Fabriken für Steingut, Ziegel, chemische Produkte und eine Eisengießerei an. Das dortige Sprengstoffwerk war bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs ein Zentrum der deutschen Rüstungsindustrie. Heute erinnert ein Museum im ehemaligen Pförtnerhaus an die Westfälisch-Anhaltische Sprengstoff-Actien-Gesellschaft (WASAG).

Im Zuge der Industrialisierung wuchs nicht nur die Bevölkerung. Im sogenannten Gründerzeitviertel entstanden in der Zeit vor und nach 1900 auch Prachtbauten und Villen auf der nördlich von der Altstadt gelegenen heutigen Lutherstraße. Einige zeugen noch heute mit Turmhauben sowie aufwendig gestalteten Giebeln und Erkern vom damaligen Reichtum.

Die Tourist-Information bietet am Pfingstsonntag um 14 Uhr für zwölf Euro pro Person eine Stadtführung zum Jubiläum an. Um Anmeldung wird gebeten auf der Internetseite >>hier klicken<<

Autor:

Katja Schmidtke

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