Inklusion ist mehr als ein Wort
100 Jahre Stiftung Finneck: Zu DDR-Zeiten waren die Einrichtungen eine »Insel« für Aussteiger. Heute sind sie zum Vorbild geworden in der Arbeit mit behinderten Menschen.
Von Katharina Hille
Die Häuser im Mühltal bei Rastenberg haben eine lange Geschichte: Die von der Lossa angetriebene Getreidemühle wurde erstmals 1505 erwähnt. Später entstand hier eine Fabrik für Metall- und Glasringe, bald darauf ein Sanatorium. Weil die dortigen Heilquellen jedoch versiegten und sich darum in Finneck kein Kur- und Badebetrieb entwickeln konnte, entschied sich der »Landesverein für Innere Mission in Sachsen, Weimar und Eisenach«, die Einrichtung in ein Heim für tuberkulosekranke Kinder umzuwandeln. Die ersten Patienten zogen am 1. Oktober 1918 in die »Villa Lossa« ein: es ist der offizielle Gründungstag der Heilstätte Finneck, die in den 1930er-Jahren in eine Stiftung bürgerlichen Rechts umgewandelt wurde.
Über die Jahrzehnte erlebte die Einrichtung zahlreiche Veränderungen: von der Heilstätte wurde sie zum Kinderkrankenhaus, von der staatlich anerkannten Sonderschule zur Einrichtung für Kinder und Jugendliche mit körperlicher und geistiger Behinderung. Weil geistig behinderte Schüler in der DDR als bildungsunfähig galten, wurde der Schulbetrieb 1979 eingestellt. Doch in all den Jahren sind die Beziehungen zur örtlichen Kirchengemeinde nicht versiegt. Im Gegenteil: Nach der Wiedervereinigung schloss sich die Stiftung dem Diakonischen Werk an.
Am 1. Oktober 1990 wurde der Förderschulbetrieb wieder aufgenommen. In den darauffolgenden knapp drei Jahrzehnten eröffnete die Stiftung Werkstätten, übernahm die Trägerschaft über Rehabilitations- und Fördereinrichtungen und Kindergärten, Kunst-, Wohn- und Schulprojekte, gründete Außenwohngruppen, schuf spezialisierte Angebote für Bewohner und Jugendliche mit Hilfebedarf und etablierte einen Pflegedienst. Heute betreuen über 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter etwa 1 200 kleine und große Menschen mit und ohne Behinderung.
»Wir konzentrieren uns auf die Bereiche Wohnen, Bildung und Arbeit«, sagt Stiftungsvorstand Joachim Stopp. Dazu zählen unter anderem auch Spezialangebote für Menschen mit Schwerst-Mehrfachbehinderung oder Autismus. Entscheidend seien, laut Stopp, nicht nur die Motivation und Erziehung zur Selbstständigkeit, sondern auch das Angebot ambulanter Dienste, um die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu unterstützen und Alternativen zu Behindertenwerkstätten zu bieten. So gibt es zum Beispiel eine Integrationsfirma, die sich nach einer Anschubfinanzierung unter arbeitsmarktnahen Verhältnissen behaupten muss. »Wir wollen für die leistungsstärkeren Beschäftigten interessante Arbeitsplätze schaffen«, sagt Stopp und verweist auf den Möbelbau in den Werkstätten und die Übernahme der Kantine im Landratsamt Sömmerda.
Zu DDR-Zeiten waren die Einrichtungen der Stiftung Finneck so etwas wie eine Insel für Aussteiger und Freigeister. Diese »Insel« ist längst zu einer Vorreiterin in der Arbeit mit behinderten Menschen geworden. In Finneck wird schon lange nicht mehr nur von der Inklusion gesprochen – zwischen Sömmerda und Artern, Rastenberg und Bad Frankenhausen wird sie täglich gelebt.
»Show der außergewöhnlichen Talente«, 17. April, ab 9.30 Uhr, Volkshaus Sömmerda
www.stiftung-finneck.de
Autor:Online-Redaktion |
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