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DDR-KIRCHENVERLUSTE # 57
Die verlorene Markuskirche Reudnitz in Leipzig

Markuskirche Reudnitz in Leipzig, Ansicht um 1900 | Foto: Gemeinfrei, CC0, https://de.wikipedia.org/w/index.php?curid=3441689
  • Markuskirche Reudnitz in Leipzig, Ansicht um 1900
  • Foto: Gemeinfrei, CC0, https://de.wikipedia.org/w/index.php?curid=3441689
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In der DDR wurden bis 1988 rund 60 Kirchen auf staatlichen Druck gesprengt. Die wohl bekannteste von ihnen war die Paulinerkirche Leipzig – auch Universitätskirche St. Pauli genannt – im Jahr 1968. Die Serie erinnert an verlorene Sakralbauten in Mitteldeutschland und darüber hinaus.

Wer heutzutage durch Leipzigs Stadtteil Reudnitz streift, hält vergeblich nach einer Kirche Ausschau. Nichts erinnert daran, dass dort einmal ein beeindruckendes Gotteshaus gestanden hat. Es ist aus dem Ortsbild verschwunden – vor sechsundvierzig Jahren. Und offenbar auch aus der öffentlichen Erinnerung.

Geschichte
Die Markuskirche zu Reudnitz war der evangelisch-lutherische Sakralbau der Ortschaft Reudnitz, sie wurde 1884 nach Plänen von Gotthilf Ludwig Möckel (1838–1915) im Stil der Neugotik errichtet.

94 Jahre später, im Jahr 1978, wurde sie gesprengt – wegen nicht verhinderter Baufälligkeit.

Sie stand auf dem Grundstück Dresdner Straße 61, wo mehr als 300 Jahre lang ein Friedhof mit kleiner Kapelle war.

Bauwerk und Ausstattung
Die aus gelbem Backsteinen errichtete Kirche war knapp 37 Meter lang und fast 29 Meter breit – also entsprechend der Platzvorgabe relativ klein. Dafür war die Kirchturmhöhe tatsächlich herausragend: Der markante, städtebaulich dominante Kirchturm war 67 Meter hoch.

Das Kirchengebäude erstreckte sich von Süd nach Nord und lag quer zur Straße, Kirchturm und Haupteingang befanden sich an der Dresdner Straße.

Nachdem die Kirchgemeinde am 1. Januar 1880 selbstständig geworden war, beauftragte sie den Architekten Gotthilf Ludwig Möckel aus Dresden mit der Projektierung ihres Kirchenneubaus. Der entwarf Gebäude samt Ausstattung, Ausmalung sowie Kirchengerät und fand damit Zustimmung.

Die Grundsteinlegung für den insgesamt 298.000 Gold-Mark teuren Bau erfolgte am 11. Mai 1882, bereits sieben Monate später war das Richtfest. Am 23. März 1884 wurde die Kirche eingeweiht, sie hieß seit 1889 „St. Markuskirche“. 1903 gestaltete Möckel sie innen farblich neu.

Zweiter Weltkrieg und danach
Im Zweiten Weltkrieg erlitt die Markuskirche beim britischen Luftangriff auf Leipzig in der Nacht vom 3. zum 4. Dezember 1943 Schäden: Druckwellen von Luftminen zerstörten zahlreiche ihrer Fenster.

Doch anders als etwa die Johanniskirche, die Matthäikirche und die Trinitatiskirche in Leipzig konnte das Gotteshaus weiter genutzt werden. 1953 wurde das Kirchen-Innere umfassend erneuert, 1954 eine neue Orgel gebaut und 1957 neue Glocken geweiht.

Die Kirche diente Generationen regelmäßig zum Gottesdienst sowie zu Ostern, Pfingsten und Weihnachten als Stätte festlicher Begegnung. Sie war vertrauter, heimatlicher Ort für Taufe und Konfirmation, für Trauung, Silberhochzeit, Goldene Hochzeit und Heimgang von Generationen von Bürgern in Reudnitz. Sie war Stätte für gemeinsame Hoffnung und Zuversicht, für Freude und Glaube, für Trauer, Leid und Trost.

Jedoch: Wegen Geld- und Material-Not in der DDR blieben in den 1950er und 1960er Jahren dringend erforderliche Bau-Erhaltungs-Arbeiten aus. Der bauliche Zustand der Markuskirche zu Reudnitz verschlechterte sich von Jahr zu Jahr.

Damals hatte die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsens, zu der der Sakralbau gehörte, über die General-Reparatur beraten. Doch diese wurde – wohl wegen des damals als unverhältnismäßig hoch empfundenen Kostenaufwands – abgelehnt.

Die Gründe dafür mögen ebenso vielschichtig wie umstritten gewesen sein. Ganz sicher spielte folgendes eine wesentliche Rolle: Baumaterial aller Art war im selbsternannten „Arbeiter-und-Bauern-Staat“, wie so vieles andere ebenfalls, auch für die Institution Kirche Mangelware – und nur auf Zuteilung und mit DDR-staatlicher Genehmigung zu bekommen. Zudem musste prinzipiell ab einem Umfang von 1.000 DDR-Mark eine Baugenehmigung beantragt werden.

So verfügten Sachsens oberste Kirchenleute schließlich 1973 das Ende des Kirchenbauwerks in Leipzig-Reudnitz.

Der letzte Gottesdienst der Markus-Kirchgemeinde in ihrer Markuskirche fand am 4. November 1973 statt. 1974 wurden Kunstgut und Inventar aus dem Kirchgebäude gebracht, am 28. Februar 1978 der Grundstein der Kirche gehoben.

Am 25. Februar 1978, fast viereinhalb Jahre nach ihrer letzten Nutzung, wurde das Kirchenschiff gesprengt, am 4. März 1978 der Kirchturm. Amateurfilm-Aufnahmen davon – damals wohl klammheimlich-versteckt gedreht – sind bei YouTube zu finden.

Die Trümmer der Kirche kamen nach Leipzig-Probstheida in den Park an der Etzoldschen Sandgrube – zehn Jahre zuvor waren dorthin die Reste der gesprengten Universitätskirche (Paulinerkirche Leipzig) gebracht worden. 1984 wurde im Markus-Pfarrhaus ein Saal zur Markuskapelle gestaltet.

Gegenwart
Die Markus-Kirchgemeinde ist bis heute ohne eigenes Kirchengebäude geblieben.

Dort, wo an der Dresdner Straße 61 fast hundert Jahre die stolze Kirche stand, ist heutzutage eine achtlos-ungepflegte Grünfläche mit zweifelhaftem Ruf – als Warteplatz an der Straßenbahn-Haltestelle.

Reudnitz hat 1978 mit der Sprengung seiner Kirche mehr als nur sein architektonisch überragendes Wahrzeichen verloren.

Koordinaten: 51° 20′ 19,8″ N, 12° 24′ 13,2″ O

https://de.wikipedia.org/wiki/Markuskirche_(Leipzig)
(dort auch Verzeichnis der Autoren; Textnutzung entsprechend Creative Commons CC BY-SA 4.0)

Autor:

Holger Zürch

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