»Ich habe nie Angst vor dem Tod gehabt«
Bodenständig und eigenwillig: Die Schauspielerin Marianne Sägebrecht gilt vielen als bayerisches Unikum. Die 72-Jährige engagiert sich als Patin in der Hospizarbeit. Im Gespräch anlässlich des Welthospiztages am 14. Oktober beschreibt sie ihre Beweggründe.
Frau Sägebrecht, welche Begegnungen mit dem Sterben hatten Sie in Ihrem Leben?
Sägebrecht: Schon als ich 13 Jahre alt war, hat mich unser Kaplan mit ins Krankenhaus zu Sterbenden genommen. Er hat zu mir gesagt: »Marianne, du hast so eine schöne Stimme und eine beruhigende Wirkung.« Also bin ich mit zur Letzten Ölung. Ich habe nie Angst vor dem Tod gehabt. Mich haben diese Begegnungen ganz erfüllt.
Bei uns auf dem Dorf waren auch die Rituale ganz anders, man hat seine Toten aufgebahrt, und dann durften wir alle kommen und die alte Bäuerin berühren und küssen. Das war ganz natürlich, ganz selbstverständlich!
Heute sterben so viele Menschen allein im Krankenhaus – das ist für mich das Schlimmste! Die liegen dann so klein und fein in ihren Betten, wie alte Babys. Bei der Geburt gibt es die Hebammen – ich finde, es müsste auch beim Sterben jemand geben, der einen begleitet.
Das machen die Mitarbeiter in den Hospizen …
Sägebrecht: Ja, deshalb bin ich seit einem Jahr Patin des Christophorus Hospiz Vereins. Allein in München hat der Verein 59 Ehrenamtliche. Viele Frauen, aber auch Männer und junge Leute, machen die schwierige Ausbildung zum Hospizhelfer. Dann gehen sie ins Hospiz oder in die Familien und reden mit den Menschen, lesen vor, sind einfach da. Sie begleiten die Familien seelisch, und sie wissen, wie man durch palliative Behandlung Schmerzen lindern kann. Das muss auf lange Sicht einfach mehr werden! Und das müssen die Menschen ehrenamtlich leisten, der Staat wird das nicht machen.
Warum ist es besser, im Hospiz zu sterben?
Sägebrecht: Im Krankenhaus zu sterben ist Stress. Ich habe schon erlebt, dass Sterbende in den Abstellraum geschoben wurden, wo der Besen an der Wand hängt, weil die Pflegekräfte – und das ist kein Vorwurf – einfach keine Zeit hatten. Das kann nicht angehen, da müssen wir entlasten!
Denn bevor man aus dem Leben geht, hat man noch viel zu tun. Man muss den anderen vergeben, sich selbst vergeben, sich versöhnen. Das ist die Vorbereitung auf die große Reise. Im Hospiz findet man dafür Ruhe und Frieden und Menschen, die einen seelisch begleiten.
Sie haben seit sechs Jahren eine eigene Lesungsreihe mit dem Titel »Lieder und Gedichte vom Sterben fürs Leben«. Taugt das Thema für den Konzertsaal?
Sägebrecht: Aber ja. Das ist wie eine Messe. Ich muss das mit voller Seele vertreten, sonst ist es unglaubwürdig. Aber dann ist es eine besondere Stimmung. Das Publikum ist ganz zärtlich miteinander. Viele gehen aus der Lesung raus wie auf Wolken und kehren zurück zum Leben.
Wir müssen den Tod nicht immer so wegschieben, wir sollten ihn lieber mit an den Tisch nehmen. Jeder Tag, der vergeht, stirbt. Wenn der Winter kommt, stirbt scheinbar die Natur, bevor sie im Frühjahr wieder voll zum Leben erwacht. Manchmal stirbt auch die Liebe zu einem Menschen. Wir können das nicht trennen: Hier ist das Leben, da der Tod. Es gehört alles zusammen. Man erlebt bei diesen Abenden die Fülle des ganzen Kosmos und geht mit Kraft und Mut wieder raus ins Leben. Und das Wichtigste: All diese Menschen, deren Geschichten erzählt werden, waren nicht allein. Andere haben sie beschützt und begleitet. So konnten sie geborgen in die andere Dimension gehen.
Was ist das für Sie: die andere Dimension?
Sägebrecht: Ich glaube, dass wir nach dem Tod ins Licht gehen. Es gibt so viele Berichte von Menschen, die man wieder zurückgeholt hat, die alle davon erzählen, dass da erst ein Tunnel kommt und dann das Licht.
Der Pfarrer meiner Kindheit hat gesagt: Nach dem Tod geht die Seele erst durch einen Tunnel, dort sieht sie nochmal ihr ganzes Leben. Sie muss es anschauen, kann aber nichts machen. Und danach kommt sie ins Licht, wo die verwandten Seelen warten, eine freie Dimension … Diese Vorstellung von Hölle und Himmel gefällt mir. Natürlich baut das alles auf Glaube auf. Ich respektiere, wenn jemand nicht an eine Seele oder an eine Dimension nach den Tod glaubt. Aber für die Menschen, die an nichts glauben, ist es besonders wichtig, dass sie nicht alleine sterben. Denn wenn sie an den Punkt des Übergangs kommen, ist die Seele ja trotzdem da. Dann wird es manchmal schwer, loszulassen und zu gehen.
Die Hospizbewegung hat immer mehr Akzeptanz in der Gesellschaft gefunden. Was ist noch zu tun?
Sägebrecht: Wir gehen geheimnisvoll in eine bessere Zeit: Vom Goldenen Kalb zum goldenen Herz, wir sind mittendrin. Für diese Überzeugung werde ich immer verlacht, aber ich höre nicht mehr auf die, die immer nur negativ reden. Egal, ob es ums Klima geht, um Flüchtlinge oder ums Sterben: Wir können alle Anteil nehmen, wenn wir alle zusammen helfen. Die Menschen haben keine Angst vor dem Tod, sondern davor, dass sie alleine sterben müssen.
Fit bis zum letzten Tag – diesen Werbeslogan finde ich furchtbar! Natürlich wünsche ich mir körperliche Fitness und geistige Wachheit bis zum Schluss, aber es geht nicht immer nur um die Materie – wichtig ist die Versöhnung! Wir müssen mit Distanz, Vorsicht und Liebe die Versöhnung in Bewegung bringen, damit die Menschen in Frieden auf die letzte Reise gehen können.
Welche Rituale gefallen Ihnen beim Thema Sterben und Tod besonders?
Sägebrecht: Eine schöne Beerdigung finde ich wichtig. Jeder Mensch hat eine Aussegnung verdient und zumindest ein Taferl, auf dem sein Name steht und wann er gekommen und gegangen ist. Ich finde es schön, wenn die Freunde und Familien nach der Beerdigung noch zusammensitzen und auf den Verstorbenen anstoßen. Dann erzählt jeder die Geschichten, an die er sich erinnert. In Mexiko oder im jüdischen Glauben geht es bei Beerdigungen viel lebendiger zu, da wird das Leben gefeiert! Wir sind mehr so Trauerklöße. Aber wer zurückbleibt, trauert mehr als der, der gegangen ist: Seine Seele ist ja schon im Licht.
Die Fragen stellte Susanne Schröder.
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