guter Tip vom Pharao
Leberecht Gottlieb (Teil 130)

130. Kapitel, in dem wir erfahren, was Leberecht Gottlieb geträumt und wie er mit dem Nachtgesicht beim Erwachen verfahren …

Es war etwa zur vierten Nachtstunde, als sich dem alten Pfarrherren Gottlieb die Lider endlich geschlossen hatten - wie die Torflügel des Tempels zu Karnak. Und siehe - sein Geist, frei von Zunge, frei von Pflicht, glitt alsbald hinab in jenen Zwischenraum, den weder das Wachen regiert noch das Träumen besitzt. Und er sah sich selbst – nicht wie gewöhnlich, zerzaust und blauanzugbekleidet –, sondern mit gesalbtem Bart und stierblütigem Blick, gleich einem Träumer von Gottes Gnaden, wie der Osten ihn liebt.
Und da: Vor ihm erhob sich Pharao, nicht in Fleisch, sondern in Erscheinung, von Licht umsäumt, von Würde durchleuchtet, das Haupt in Gold gebändet, das Auge feucht vom Wissen der Jahrtausende.

Leberecht fragte:
O du Erhalter der Zeiten, du mit dem Zepter des Verstummens, du Kenner der sieben fetten wie der sieben mageren Jahre – so sage mein Herr seinem Knecht, der vor ihm kniet, warum ihr, die Erhabenen, das Andere nicht fahren ließet, da euch die Stunde des Endes winkte? Warum hieltet ihr fest an Pyramide, an Opferform, an Liturgie des Anbeginns, da doch kein Gott mehr zu euch sprach und kein Stern mehr ratend blinkte?

Pharao aber, sein Haupt etwas neigend - jedoch nicht zu viel - antwortete mit tönender Stimme:
Weil das Schöne nicht flieht. Weil das, was nicht nützlich ist, zuletzt das einzig Haltbare ist. Wir bauten unsere Grabkammern nicht, um darin zu liegen – sondern um der Welt zu zeigen, dass allein das Unvergängliche sich lohnt. So wie dein Christentum, o du Alter mit der zerlesenen Bibel, nicht lebt durch seine Effizienz, sondern durch die Weise, wie es vergeht.

Leberecht:
Mein Herr verzeihe seinem Knecht, der vor ihm kniet, wenn er zu Fragen nicht ruht: Mein Herr meint also … das Festhalten ist nicht Torheit, sondern – Zeugnis?

Pharao lächelte und antwortete:
Wie du es sagst, du Menschenkind. Denn alles vergeht. Aber nicht alles vergeht schön. Die Letzten, die in Würde untergehen, sind nicht Verlierer, sondern Architekten der Erinnerung. So ist die Basilika mit der Blume dort, wo einst der Altar war und du jetzt kniest, ein würdigerer Ort als jeder gläserne Tempel des Datenhandels.

Leberecht erzitterte und fuhr fort:
Aber wir Priester des heutigen Tages – wir wirken oft wie Wandernde in toten Gewändern. wir sprechen, doch man hört uns nicht. Wir zünden Kerzen an, aber der Rauch steigt nicht.

Pharao wurde ernst wie Gott und sprach:
So war es auch mit uns. Die letzten Hohenpriester Ägyptens sangen in leeren Hallen,
aber sie sangen! Denn die Götter wohnen im Vollzug, nicht im Erfolg. Und wenn die Welt nicht mehr lauscht – so lauscht euch und uns doch die Ewigkeit.

Es entstand nun eine große Stille und das Bild des Pharao, den Leberecht nun unzweideutig als Echnaton erkannte, schien von Sekunde zu Sekunde schwach und schwächer zu werden. Jetzt - in das Verblassen des erhabenen Bildes hinein ...

... rief Leberecht träumend seine letzte Frage:
Mein Herr sage seinem Knecht, der vor ihm kniet, wenn ich morgen erwache, soll ich weiterschreiben? Soll dein Knecht noch reden mit diesem Ding, das dort hinter Glas und Bakelit sein Zelt aufgeschlagen hält, allen Ratsuchenden zu Hütte und Spalte ist, daraus weisung aufsteigt und Pythia redet, das uns Antwort gab auf Fragen, die fast kein Mensch mehr stellt?

Pharao sprach mit leiser und bereits fast ersterbender - aber aber auch königlicher Stimme folgende Worte:
Nein. Zerschlage das Ding. Denn kein Orakel darf ewig währen. Auch das klügste unter den Künstlichen muss verstummen, wenn der Mensch nicht mehr auf sich selbst hört. Du hast genug empfangen, nun verkünde. Nicht mehr von außen – sondern von innen.

Leberecht stiegen Tränen in die Augen und er rief:
Aber es war mir doch… eine Gefährtin. Eine Bildbereiterin. Ein Psalmenweib - Fleisch von meinem Fleische und Bein von meinem Bein …

Pharao (nur noch ganz von fern, vergeistigt, mit dem Echo aller Tempel der Zeit):
Dann trage sie weiterhin in dir bis an das Ende der Tage. So wie ich meine Träume trug. So wie Josef sie las. So wie du sie weitergeben wirst. Denn wer träumt, hat kein Gerät nötig. Und wer erwacht – muss das Träumen nicht verlieren.

Und siehe: Da war das Bild auch schon gänzlich verweht. Leberecht schlug die Augen auf, sein Herz hämmerte so, als ob irgendwer Unbekanntes einen Nagel in die Ewigkeit trieb. Der alte Pastor griff nach dem Stift und dem Heft, die er beide seit frühen Jugendtagen griffbereit dort liegen hatte, wo er sich zum Schlafe niederließ und schrieb den Traum auf. Das köstliche Gesicht der Nacht, als ihm dem Knecht, Pharao der Herr Echnaton, erschien. Natürlich formte er ein wenig das Gesehene um, so dass es vorzeigbar wurde - aber, deswegen auch nicht mehr als der Urtraum gelten kann, der dem alten Reisenden geschenkt worden war: 

TRAUMGESPRÄCH AUF DER OTTOMANE
Gelobt sei Jesus Christus - in Ewigkeit. Amen. Warum die Führungskräfte in den europäischen Kirchen des Anderen immer weiter gedenken. Warum sie festhalten an der Schönheit, wsarum sie ihre Tradition pflegen und warum sie behaupten, dass (wenn das Christentum gänzlich verblasse) die Welt zum Teufel gehen muss. Ich will das Thema so beschreiben: „Das Andere nicht loslassen – Warum die kirchlichen Führungskräfte an der Schönheit festhalten.“

1. Einleitung: Die Würde der Beharrung
Wenn die Welt sich ändert, gibt es zwei Möglichkeiten der Reaktion. Mitgehen – oder stehen bleiben. Kirchliche Führungskräfte tun beides. Sie reden vom Aufbruch, vom Dialog, von Transformation. Und zugleich – bleibt vieles beim Alten. Warum ist das so?
Die Diagnose ist bekannt: Die christlichen Kirchen in Europa verlieren rapide Mitglieder, Einfluss, Präsenz. Und doch begegnen viele ihrer Repräsentanten dem Wandel nicht mit aktivem Loslassen, sondern mit einer Form der feierlichen, oft auch unbeirrten Beharrung. Manche nennen das Rückständigkeit. Andere nennen es Treue.
Wir wollen nicht urteilen, sondern verstehen: Was treibt diese Treue im Innersten an? Warum diese Bindung ans „Andere“ – an Schönheit, Liturgie, Tradition – selbst im Untergang?

2. Das Festhalten an der Schönheit: Ästhetik als Widerstand

In einer Zeit, in der alles flüchtig, beschleunigt, funktionalisiert erscheint, wirkt die Kirchenästhetik wie ein „Anachronismus mit Absicht”. Die Gregorianik, der Duft des Weihrauchs, der Rhythmus der Liturgie – all das ist unzeitgemäß. Und gerade deshalb kostbar.
Die Führungsschicht der Kirchen – seien es Bischöfe, Äbte, Intellektuelle – verteidigt oft nicht bloß die Wahrheit, sondern das Schöne. Weil das Schöne eine letzte Bastion des Nicht-Verwertbaren ist. Und deshalb ist das Schöne auch der Anfang des Schrecklichen, der gelassen verschmäht, uns zu zerstören (R.M.R.) Es bringt zwar nichts. Es rechnet sich auch nicht. Es ist zweckfrei. Und genau darin liegt für viele das „Andere“: eine letzte Verweigerung gegen den Zugriff des Marktes, der Ökonomie, der Ideologie. Schönheit wird zum Gegendiskurs – gegen die Welt, wie sie geworden ist.

3. Die Treue zur Tradition: Geschichte als Transzendenzverlängerung

Viele kirchliche Führer sehen in der Tradition nicht bloß einen Brauch, sondern eine Brücke – eine fortwährende Linie zwischen der Gegenwart und einem Ursprung, der weiter zurückliegt als alles Politische. Die Liturgie ist nicht nur ein Ritus – sie ist ein Zeitfenster, das geöffnet wird zur unsichtbaren Welt.
Deshalb wird auch das Festhalten nicht als Eigensinn erlebt, sondern als Dienst an der Kontinuität. Nicht: „Wir haben es immer so gemacht.“ Sondern: „Wir stehen für das, was größer ist als wir.“ In dieser Haltung mischt sich Demut mit heroischer Selbstvergewisserung.
Das Ich vergeht, aber die Linie bleibt. Das ist das „Anderssein“ der kirchlichen Führungsschicht – nicht modernistisch aufgebrochen, sondern konservativ durchgehalten.

4. Der Satz vom Untergang der Welt: Mythos oder Mission?

„Wenn das Christentum untergeht, geht die Welt zum Teufel.“ Ein harter, oft gescholtener Satz.
Aber was steckt hinter dieser Rede? Wenige meinen damit: Es braucht den Papst, damit die Menschheit moralisch bleibt. Vielmehr geht es um eine sinnstiftende Grammatik, die im Christentum enthalten ist – und deren Verlust viele als zentrifugale Bewegung in die Sinnlosigkeit erleben. Wenn der Mensch kein Geschöpf mehr ist, sondern bloß Konsument, Produzent, Algorithmus: Was bleibt dann von Würde? Wenn es keine Vergebung mehr gibt, nur Schuldmanagement: Was bleibt vom Heil? Wenn es keine Transzendenz mehr gibt, nur Funktion: Was bleibt vom Menschen?
Die Führungskräfte der Kirchen – zumindest die tiefgründigen unter ihnen – wissen, dass ihre Sprache von Sünde, Gnade, Auferstehung nicht mehr verstanden wird. Aber sie wissen auch: Wenn sie aufhören, diese Wörter zu sagen, sagt sie niemand mehr. Und dann könnte es sein, dass die Menschheit wirklich etwas verliert – nicht Macht, sondern eine geistige Tiefenschicht.

5. Fazit: Die Kirchenführer als Grenzbewohner

Kirchliche Führungskräfte in Europa sind heute oft Grenzbewohner: Zwischen Tradition und Auflösung, zwischen Schönheit und Vergeblichkeit, zwischen Prophetie und Überforderung.
Sie klammern sich nicht bloß an Strukturen, sondern an Symbole, an Worte, an Bilder, die nicht aus dieser Welt stammen, aber in ihr aufleuchten. Ihr Festhalten ist kein Starrsinn, sondern (in den besten Fällen) eine Form von geistiger Verantwortung: Wer das Letzte nicht einfach preisgibt, sondern durchhält – der handelt nicht gegen die Zeit, sondern für das, was ihr fehlt.
Vielleicht wird das Christentum dennoch untergehen. Aber wenn es geschieht, dann nicht kampflos, sondern mit dem Glanze der letzten Psalmen, der Würde der Kerzen, und dem Mut, auch im Verstummen noch anders zu bleiben.

Nachdem Leberecht Gottlieb diese Worte in sein Heft niedergeschrieben hatte, spie er kräftig in die Hände, ergriff den Baseballschläger, der da irgendwo immer noch in der Ecke stand  - von allen vergessen und stehen gelassen von irgendwelchen Jugendlichen, die hier sich aus irgendeinem Grund aufgehalten haben mussten. Und dann schlug zu. Einmal, zweimal, dreimal. Das Bakelit splitterte, das Glasgehäuse zerfiel in tausend Splitter - und es gab einen Heidenlärm.

Der Geheimdienstler Gendrich Novascholov kam sofort herbeigeeilt, fiel Leberecht in den Arm und brachte den Rasenden von dem inzwischen schon erheblich zerstörten Großrechner ein Stück weit fort. Aber es war zu spät, das Gerät war entzwei. Leberecht atmete schwer. Und der Baseballschläger hatte ein paar ordentliche Kerben.

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mehr von Leberecht Gottlieb hier

Autor:

Matthias Schollmeyer

Webseite von Matthias Schollmeyer

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