IST GERETTET
IM WORT

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… was nun eigentlich ist in Wirklichkeit wirklich wirklich? Zum Beispiel: Gab es Maria und Joseph in der sogenannten Realität tatsächlich? Ist also jene alte Geschichte, welche uns die Bibel noch heute erzählen will, buchstäblich genauso geschehen? Und wenn ja, was folgt daraus. Wenn aber nein, was würde sich in diesem Falle daraus ableiten lassen müssen …

Wirklich, real und tatsächlich - das sind Begriffe, mit Hilfe derer wir die Lebenswelt qualifizieren, in der wir unsere Zeit zubringen. Mit diesen Begriffen disqualifizieren wir zugleich, denn ist oder war etwas nicht real, dann behaupten wir, dass an dieser Stelle die Bedeutung schwindet. Ist etwas dagegen wirklich wirklich gewesen, dann steigert sich angeblich der Wert. Die scheinbare Tatsächlichkeit arbeitet für uns also so etwa wie ein Ausweis, den die Sache vorzeigen können muss, wenn wir sie schätzen sollen - und auch dann noch gern beachten, wenn sie längst an uns vorüber gegangen ist. Wirklich, real und tatsächlich - sind das nicht Zauberworte, mit denen wir das, wovon wir reden, schreiben und denken, in etwas Wahres verwandeln können? Beschreibt uns nun die Bibel Wirklichkeiten, Realitäten und Tatsächlichkeiten oder etwas anderes, das dann nur minderwertiger wäre?

Nun - es gibt da eine ganz besondere biblische Geschichte, in der die Vernichtung der Welt und zugleich auch ihre Rettung erzählt wird. Gemeint ist die Erzählung von der Sintflut, wie wir sie im Buch Genesis im sechsten bis neunten Kapitel finden. Dort wird nacheinander beschrieben, wie Gott die entartete Welt vernichtet, indem er sie zugleich erhält. Den Bericht über dieses Ereignis gibt es also tatsächlich wirklich - denn man hat ihn auf Papier gedruckt, in elektronische Dateien transformiert, im Gedächtnis der Menschheit und in den Lesungen der Kirche wird der Bericht erhalten bleiben. Jedoch kann sich der Einzelne dieser Realität ganz einfach dadurch entziehen, indem er das Buch nicht liest, die Kirche nicht besucht und sich entsprechenden Gedanken über das Thema absichtlich entzieht und auch nicht darüber redet. Insofern hat die Geschichte von der Sintflut einen einigermaßen eingeschränkten Realitätscharakter. Man muss es nämlich ausdrücklich wollen, dass man sich selber damit befasst. Und dann muss man sich auch tatsächlich damit befassen - erst dann! wird einem das Ganze zur Realität. Ob nun der Inhalt dieser speziellen Erzählung in historischer Hinsicht auch genau so stattgefunden hat, wie die Worte der Erzählung es einem naiven Hörer nahelegen, ist eine ganze andere Sache.

Was eigentlich wird uns in der Sintflutgeschichte zum Besten gegeben? Nun - nichts weniger als Folgendes: Es wird also zuerst von der Schlechtigkeit einer aus den Fugen geratenen Welt berichtet und von der Reue des für deren Existenz verantwortlichen Schöpfergottes. Diese Welt soll durch göttlichen Beschluss in den Fluten des Chaos untergehen gelassen und vollständig versenkt werden. Zu diesem Zwecke regnet es vierzig Tage und vierzig Nächte lang ununterbrochen. Dadurch muss alles Fleisch verderben.
Zugleich aber wird der Familie von Noah die Chance gegeben, ihre Katastrophe zu überleben. Denn innerhalb der sogenannten Arche (einem Kasten aus gewachsenem und verpichten Holz) überlebt die Familie und mit ihr auch alle Tiere, von denen jeweils Weibchen und Männchen mit in den Kasten gehen sollen. Dieses sonderbare Schiff wird zeitlich noch vor dem Eintritt der Regenflut gebaut. Und der Bauplan? Der wird von Gott geliefert - Höhe, Länge und Breite in den Maßen 30, 300 und 50 Ellen (Genesis 6,14). Nun wissen wir, dass im Hebräischen die Zahlzeichen zugleich Buchstabenzeichen sind - in der hebräischen Sprache besitzt jeder Konsonant als Laut einen Zahlenwert. Jeder Buchstabe ist also zugleich eine Maßzahl. Der Kasten, in den Noah mit den Seinen geht, hat die Maße 30 (Lamed) 300 (Schin) und 50 (Nun). Es ergibt sich also das Wort LaSCHoN1), das in unser liebes Deutsch (und alle anderen Sprachen) übersetzt soviel wie Zunge oder Sprache bedeutet. In diesem Kasten eines gesprochenen und wohl auch besonders geschriebenen und gelesenen Wortes, in hörbarer Sprache geborgen, wird die Welt von hier nach dort gerettet. Alle die, welche in die Welt solchen Wortgeschehens hinein gestiegen sind, schwimmen auf der Oberfläche der chaotischen Flut und bleiben am Leben. Außerhalb jedoch gibt es keine Rettung. Das Wort als Lebensbehältnis ist also ein Ding, in dem die Transformations der Welt sich ereignet - ihre Verwirklichung und Realisierung. Sprache ist das Bleiben des Seins. Gott in Welt und Welt im Wort - und Wort als Gott? In dieser Richtung wäre Sinn zu finden, der uns erhält …

Die Sprache als Behältnis des Wortes ist also ein Fahrzeug, das die Fort-Existenz des Lebens garantiert. Sprache ist eine Wirklichkeit, in der die Realität möglich bleibt, dort geht sie nicht im Nichts unter. Insofern ist behauptet worden, dass bestimmte Erzählungen auch gerade deshalb Realitätscharakter haben, weil das, was in ihnen erzählt wird, rein historisch gesehen nicht zu einem bestimmten Zeitdatum bzw. Ortspunkt geschichtliches Ereignis geworden war bzw. hat werden müssen. Es kommt nicht darauf an, zu zeigen, wie Maria und Joseph um die Zeitenwende gelebt und was sie in einem Stall erlebt hätten. Es käme viel eher darauf an, in die Erzählung von der Heiligen Nacht selber einzusteigen und sich von ihr durch die Flut der vielen Wörter und auf uns einprasselnden Bilder transportieren zu lassen. Diese Portation hätte keinen Raumpunkt und keine Zeitangabe als Ziel, sondern das Aufgehen in dieser Geschichte durch Hören, Lesen und Schreiben. Das wäre ihr Sinn, weil es ihn macht. Und dieses Schreiben, Hören und Lesen soll in erster Linie kein Lernen, Wissen und Behalten sein, sondern mache die eigene Person gleichzeitig mit dem, was bisher und alle Zeit mehr oder weniger immer Utopie war und blieb - deshalb auch eher dem vergleichbar ist, was man Mythos genannt hat - also eine Metawahrheit.

Das ist dann ein Glauben, welches dem Wort gilt, der Sprache. In der Sprache der Geschichten aus der Schrift kommt der Mensch neu auf die Welt, bzw. hier bestünde gleichzeitig das Tor zum Untergang in der Profanität. Jedenfalls sollte man einmal in dieser Richtung gedanklich unterwegs sein. Es ist anzunehmen, dass die Flut- und Rettungsgeschichte mit dem 30+300+50-Maßstab mehr andeutet, als man bisher verstehen mochte. Wer zu beweisen versucht, wo die Arche strandete, um mit diesem Wissen dann den Beweis zu führen, dass die Bibel doch Recht hat, sei unseres Mitleids versichert. Denn er verkennt, dass die Wirklichkeit eigentlich nur deshalb etwas ist, das Bestand hat, weil sie im Wort gesagt, im Zeichen geschrieben und im laut gehört wird. Es ist absolut nicht wichtig, dass es Maria und Joseph historisch gegeben hat. Es ist wichtig, dass wir die Geschichte von ihnen nicht vergessen, und uns in deren Stall versammeln, wo - wie schon in dem Archenkasten Noahs - die Tiere sind, Hirten und Sternkundige. Hier wird - wie von Hirten das Schaf - der Maßstab der himmlischen Ordnung behütet. Von den Leuten, aus denen die Kirche ganz folgerichtig drei magische Könige gemacht hat. Da gehen wir gern hinein und nehmen von dem Golde, dem Weihrauch und der Myrrhe einen Teil … Die Sterne werden über uns ihre rätselhaften Kreisbögen ziehen, wie der Regenbogen mit seinen sieben alten Farben.

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1) vergleiche hierzu von Friedrich Weinreb: Schöpfung im Wort. Seiten 444ff

Autor:

Matthias Schollmeyer

Webseite von Matthias Schollmeyer

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