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Jede Stimme zählt gleich viel – egal ob Frau oder Mann, alt oder jung, arm oder reich. Aber reicht es, alle paar Jahre ein Kreuz zu machen? | Foto: bizoo_n – stock.adobe.com
  • Jede Stimme zählt gleich viel – egal ob Frau oder Mann, alt oder jung, arm oder reich. Aber reicht es, alle paar Jahre ein Kreuz zu machen?
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Mehr Mitbestimmung ist keine Gefährdung der Demokratie – im Gegenteil.

Von Ralf-Uwe Beck

Nationalistische Strömungen erstarken, Großbritannien verlässt die EU, in den USA wird ein Trump Präsident. Die Demokratie ist ins Gerede gekommen. Zeit, sie ins Gespräch zu bringen.
Der Traum, jedem Menschen eine Stimme zu geben, ist alt. Herodot schildert schon vor 2 400 Jahren die Unterhaltung dreier Männer, die überlegen, wie Persien regiert werden soll. Der eine plädiert für die Oligarchie, einer für die Monarchie und einer für die Demokratie: »Wenn die Volksmenge herrscht … tut sie nichts von dem, was ein Alleinherrscher macht: Sie besetzt die Ämter durch Verlosung, über die Amtsführung fordert sie Rechenschaft, alle Beschlüsse werden der Allgemeinheit vorgelegt. Mein Votum also lautet, dass wir die Alleinherrschaft aufgeben und die Volksmenge an die Macht bringen, denn bei den vielen liegt alles.« Durchsetzen kann sich die Idee nicht. Erst am 10. Dezember 1948 wird mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, wovon hier geträumt wurde, zur Verabredung der Weltfamilie: »Jeder hat das Recht, an der Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten seines Landes unmittelbar oder durch frei gewählte Vertreter teilzunehmen.«
Die Demokratie also hat den Anspruch auf Selbst- und Mitbestimmung einzulösen. Deshalb ist sie, sind wir, darauf angewiesen, dass wir (uns) abstimmen, uns verständigen, wie wir miteinander leben wollen. Möglich ist das nur, indem wir jede und jeden als fähig ansehen, die eigenen Angelegenheiten zu vertreten und gleichzeitig die der Gemeinschaft zu berücksichtigen. Dies ist das Urvertrauen, ohne das eine Demokratie nicht auskommen kann.Joseph Beuys hat es in die Formel gegossen: Jeder Mensch ein Künstler. Damit meint er nicht, dass in jedem von uns ein Maler, Musiker oder Dichter steckt, sondern dass die Gesellschaft als soziale Plastik zu begreifen ist, und es unser Menschsein ausmacht, an ihr mitzuwirken. Für einen Moment erlebbar war das für mich im Herbst ’89: Die Menschen, die durch die Kirchen auf die Straßen und Plätze gezogen sind, waren sich – unabhängig davon, ob sie sich weggeduckt oder ob sie aufgemuckt hatten – einig, sich gegenseitig als willkommen anzusehen. Sie waren weder nachtragend noch auf eigenen Vorteil aus. Bei all den Verletzungen hätten wir uns auch die Köpfe einschlagen können. Haben wir aber nicht. Nie habe ich erlebt, dass jemand bei all den Friedensgebeten, Podien, Gesprächsrunden für seine Meinung angemacht oder ausgelacht wurde. Es ging darum, uns unser Land zu eigen zu machen. Dabei sind wir zunächst nicht in Richtung Westen gelaufen, sondern ins Landesinnere. Es ging um das tägliche Brot der Demokratie, um freie und geheime Wahlen, Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit. Das war nur zu haben, indem wir uns gegenseitig zugetraut haben, als Bürger für die Gesellschaft zu bürgen. Es ist ein zärtlicher, christlicher Blick, zu dem die Demokratie einlädt, den Menschen zuerst mit seinen Möglichkeiten zu sehen. Dies passiert tatsächlich, wenn wir ein Wahllokal betreten: Wir werden zu Gleichen. Jede Stimme zählt gleich viel, die einer 18-Jährigen so viel wie die eines 80-Jährigen, die Stimme eines Hartz-IV-Empfängers so viel wie die einer erfolgreichen Unternehmerin. Für einen winzigen Moment scheint die Vision einer gerechten Gesellschaft auf, in der jede und jeder die gleichen Chancen hat, diese Gesellschaft zu gestalten.
Deshalb ist es unabdingbar für die Demokratie, auf jede Stimme Wert zu legen, bei Wahlen, Abstimmungen und überhaupt. Nüchterner: Die Demokratie lebt davon, dass sich möglichst viele beteiligen. Das tun sie aber nicht. Hält beispielsweise der Trend einer sinkenden Wahlbeteiligung an, stellt sich die Frage, ob die Gewählten überhaupt ausreichend legitimiert sind, Entscheidungen über unser aller Wohl zu treffen, und ob von der Kontrollfunktion, die eine Wahl hat, noch die Rede sein kann. Schon wird von hier aus diskutiert, die Wahl, wie in anderen Ländern, zur Pflicht zu machen.

Autor:

Kirchenzeitungsredaktion EKM Süd

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