Ein Tag der Gemeinschaft
Eine Kulturfrage: Was verteidigen wir als Christen eigentlich beim Kampf gegen die allgemeine Sonn- und Feiertagsarbeit?
Von Thies Gundlach
Es gibt die eine Sonntagsarbeit, die Kaufhäuser und Konzerne einfach weiterlaufen lassen wollen – so, als sei gar kein Sonntag, sondern ein Werktag wie jeder andere. Und es gibt eine Sonn- und Feiertagsarbeit, die den Sonn- und Feiertag als Tag von Ruhe und Erbauung, von Gemeinsamkeit überhaupt erst ermöglicht, indem sie Restaurants offen und Ausflugsziele erreichbar hält.
Es gibt Arbeiten an Sonn- und Feiertagen, die dienen gerade der Möglichkeit, dass ein Tag der Woche zu einem Sonn- oder Feiertag werden kann. Dabei meine ich nicht die immer präsent zu haltenden Dienste einer Gesellschaft zur Gefahrenabwehr oder Rettung – von Polizei über Feuerwehr bis zu Krankenhaus und Notarzt. Sondern gemeint sind hier all die Arbeiten, die einen Sonntag zum Sonntag machen: Auch in unserer säkularen Gesellschaft gehören dazu natürlich die Angebote der Kirchen, aber längst ergänzt um die Arbeit der Kulturinstitutionen.
Ein Sonn- oder Feiertag mit Besuch im Zoo, im Konzerthaus oder Lokal setzt
voraus, dass Tierpfleger und Kassenfrau, Opernsänger und Beleuchterin, Koch und Straßenbahnfahrerin bereit sind, anderen einen guten oder feierlichen Tag zu bereiten. Insofern geht es gar nicht um die Frage »Sonntagsarbeit – Ja oder Nein?«, sondern um die Frage »Welche Arbeit am Sonntag will eine Gesellschaft und welche nicht?«.
Im Kern dürfte es daher diese Unterscheidungen der Sonntagsarbeit sein, deren Grenzziehung strittig ist: Ist Einkaufen die Basis einer heutigen Sonn- und Feiertagskultur als »seelische Erhebung«? Gehört zu einem Feiertag das gemeinsame Schlendern durch Einkaufzeilen? Und gibt es einen kategorialen Unterschied zwischen Schlendern vor Ort oder im Internet? Man wird dies nicht einfach beantworten können, will man nicht unreflektiert ein bildungsbürgerliches Ideal zur allgemeinen Norm machen. Aber es muss allen klar sein, dass es hier letztlich allein um eine Kulturfrage geht: Denn mehr (Öffnungs-)Zeit zum Einkaufen bedeutet ja nicht mehr Einkaufsgeld. Es gehört meines Erachtens zu den »Fake News« dieser Debatte die oft angeführte These, dass mit einer Öffnung des Sonn- und Feiertagsverbotes die Nachfrage erhöht werde. Es mag kurzfristige Effekte geben, aber die Nachfrage erhöht sich durch eine gute wirtschaft-
liche Lage, nicht durch Öffnungszeiten.
Aber warum wehren sich dann die Kirchen gegen die Abschaffung der Sonn- und Feiertagsregelungen? Sind sie die (konservativen) Moralisten der Nation, die vorschreiben wollen, was für die anderen gut und richtig sei? Oder wollen sie gar den Kirchgang stabilisieren, indem Konkurrenz durch kommerzielle Möglichkeiten begrenzt wird?
Im Kern geht es – zusammen mit vielen anderen gesellschaftlichen Kräften –
darum, den »Wert« der Sonn- und Feiertage aufrecht und sichtbar zu halten, wohl wissend, dass sich keineswegs alle daran halten werden. Denn dies entspricht nicht nur der geltenden Verfassung (der Schutz der Sonn- und Feiertage als Tage der »Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung« ist im Artikel 140 GG definiert), sondern erinnert an eine alternative Tagesgestaltung, für die der Kirchgang symbolisch stehen kann. Diente der Kirchgang früher immer auch der sozialen Gemeinschaftsstärkung in Stadt und Land, so scheint heute die Frage nach der Gemeinschaftsstärkung weitgehend der Arbeits- und Dienstleistungsgesellschaft nachgeordnet.
Wer sich aber den durchschnittlichen Familienrhythmus an einem Sonntag anschaut oder die »Brunch-Kultur«, der kann getrost feststellen: Der Sonntag ist noch immer der Tag der Gemeinschaft – Gott sei Dank, denn der Sonntag ist die Erfindung des Christentums für eine Welt, die Unterbrechung und Arbeitsfreiheit, Muße und Innehalten nur für eine kleine reiche Oberschicht kannte. Wollen wir da wieder hin? Geben wir damit nicht für das Linsengericht eines vermeintlich kommerziellen Wachsens den Segen des Erstgeburtsrechtes auf, einen Tag der Woche langsamer, gemeinschaftlicher und vielleicht sogar nachdenklicher zu gestalten? Ich wüsste keinen Grund, warum uns das schaden könnte.
Der Autor ist Vizepräsident des Kirchenamtes der Evangelischen Kirche in Deutschland
Autor:Adrienne Uebbing |
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