Jens-Christian Wagner
Gedenkstättenleiter beklagt abnehmende historische Sensibilität
Hamburg (kna) - Der Stiftungsdirektor der Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora warnt vor einem "erinnerungspolitischen Klimawandel". Das zeige sich insbesondere am Auftreten der AfD, an Aussagen von Ex-Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen und der Diskussion um Bayerns stellvertretenden Ministerpräsidenten Hubert Aiwanger, sagte Jens-Christian Wagner auf tagesschau.de. Er beobachte ein Nachlassen von Geschichtsbewusstsein und historischer Sensibilität gegenüber den NS-Verbrechen.
Der Umgang der Deutschen mit der eigenen Geschichte sei schlechter geworden, sagte der Jenaer Historiker. Zum einen hielten die mit Corona einhergehenden Verschwörungslegenden und ahistorischen Gleichsetzungen einer "Corona-Diktatur" mit dem Nationalsozialismus an. Zum anderen sei der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hinzugekommen. "Auch der geht mit Instrumentalisierungen der Geschichte, mit einer Schuldumkehr einher." Insbesondere die politisch rechtsextreme Seite nutze den Krieg, um antiwestliche, antiliberale, antiamerikanische, aber auch antisemitische Ressentiments zu schüren.
Wagner beklagte eine zunehmende Zahl offener Angriffe auf Gedenkstätten in den vergangenen Monaten. Fast täglich tauchten Neonazi- und antisemitische Schmierereien auf. Mit Blick auf den Chef der Freien Wähler in Bayern, Hubert Aiwanger, sagte der Stiftungsdirektor, Dank seiner zahlreichen Verteidiger werde statt über ein den Holocaust verherrlichendes Pamphlet nur noch über eine angebliche Schmutzkampagne gesprochen.
Zu Maaßen sagte der Historiker, er sei "zweifelsohne im neurechten, extrem rechten Milieu angelangt und dort fest verankert". Offenkundig seien seine Beziehungen zum Reichsbürgermilieu. "Er hat vor einigen Monaten von einem angeblich 'eliminatorischen Rassismus gegen Weiße' gesprochen." Maaßen verbreite Legenden vom "Great Reset" und "globalistischen Eliten". "Das sind antisemitische Codes." Wagner appellierte an die CDU, sich deutlicher von ihrem Parteimitglied zu distanzieren. Er hoffe, dass das Parteiausschlussverfahren am Ende von Erfolg gekrönt sei.
Besorgt zeigte sich Wagner über die Situation in der Stadt Nordhausen, in der sich die KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora befindet und in der Sonntag kommender Woche ein neuer Oberbürgermeister gewählt wird. AfD-Kandidat Jörg Prophet versuche, sich als vermeintlich Gemäßigter zu inszenieren. Er habe aber keine Berührungsängste zu Neonazis und Reichsbürgern.
"Ein solcher Bürgermeister wäre für Nordhausen - eine Stadt, in der sich 1943 bis 1945 mit Mittelbau-Dora eines der fürchterlichsten Konzentrationslager Deutschlands befunden hat - eine Katastrophe." Er sei sich sicher, dass Überlebende und ihre Angehörigen keinen Fuß mehr in das Nordhäuser Rathaus setzen würden, wenn dort ein AfD-Bürgermeister von Björn Höckes Gnaden residieren würde. "Und auch wir könnten und wollten dann keine Ausstellungen mehr in städtischen Räumen machen."
Autor:Katja Schmidtke |
2 Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.