Gratwanderung
Streit um das Reformationsjubiläum zwischen Kirche und Wissenschaft
Mitten im Reformationsjahr 2017 dringt ein Streit in die Öffentlichkeit, der in Kirchenkreisen schon lange gärt: Wissenschaftler werfen der Kirche vor, Luther und seine Lehre zu verwässern, damit sie massentauglicher feiern kann. Anfang März machte sich Thies Gundlach, theologischer Vizepräsident des Kirchenamts der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), in der Zeitschrift »zeitzeichen« Luft: Er attestierte den Wissenschaftlern eine »grummelige Meckerstimmung« und formulierte seine Forderung: »Zuarbeit für große Glaubensentfaltung, die Gottesbewusstsein und Weltrationalität auch im 21. Jahrhundert zusammenbindet.«
Zwei der angegriffenen Theologieprofessoren aus Göttingen kontern nun im April-Heft von »zeitzeichen«: Der Kirchenhistoriker Thomas Kaufmann und der Systematiker Martin Laube.
Die Auseinandersetzung ist nicht nur ein Fest für Freunde der geschliffenen Polemik. Dahinter stecken, neben der ein oder anderen persönlichen Animosität, drei wesentliche Punkte. Es geht um die Frage, wie man in säkularer Umgebung ein historisches Glaubensereignis samt seiner enormen gesellschaftlichen Auswirkungen feiern sollte. Diskutiert wird zudem das Verhältnis zwischen der Institution Kirche und der theologischen Wissenschaft. Und dahinter steht die Suche nach dem Kern der Theologie Luthers und wie man sie heute vermittelt.
Tatsächlich legte die EKD stets Wert darauf, 500 Jahre Thesenanschlag in der ganzen Gesellschaft samt der Politik zu feiern. Dazu gehören Playmobil-Luther und Tourismus-Konzepte ebenso wie der bundesweite arbeitsfreie Feiertag am 31. Oktober 2017. Dabei sieht auch die Theologieprofessorin Elisabeth Gräb-Schmidt die Gefahr von »vielleicht flachen bis sehr flachen Botschaften«. Gräb-Schmidt kennt beide Seiten: als Mitglied im Rat der EKD die verfasste Kirche und als Theologie-Professorin in Tübingen die Wissenschaftslandschaft. »Ich bin beiden Seiten verpflichtet«, sagt sie. Die Wissenschaft könne nicht »willfähriges Instrument der Kirche sein«. Aber die Wissenschaft habe auch die Aufgabe, den Kern der Reformation »in säkulare Kontexte zu übersetzen«.
Auch an der starken ökumenischen Ausrichtung gibt es Kritik. Kaufmann und Laube wollen die Fortschritte in der Annäherung an die Katholiken zwar nicht missen, sprechen aber auch von einer »verordneten Umetikettierung zu einem ökumenischen ›Christusfest‹« und warnen die EKD vor einem »Verrat an der evangelischen Sache«.
In der Sache kann Gräb-Schmidt die Kritik nachvollziehen. Der Ausdruck Christusfest »verwischt, dass Katholiken und Protestanten einen unterschiedlich direkten Zugang zu Christus haben«, sagt sie. Doch für die Feiern entscheidender ist für sie der Aufschwung des ökumenischen Miteinanders – bis hin zum Papst, der positiv über Luther und seine Lehre gesprochen habe. Für Gräb-Schmidt lautet die Zwischenbilanz: »Die Feier des Reformationsjubiläums ist eine Gratwanderung – und wir sind noch nicht heruntergefallen.« (epd)
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