FREITAG, VOR EINS ...
"Mein Arsch ist böse geworden."
Von Paul-Philipp Braun
Es war - zumindest in kirchlichen Kreisen - zweifelsohne DAS Thema der Woche: Luthers Ankunft auf der Wartburg und der damit verbundene Beginn der Übersetzung des Neuen Testaments. Genau 500 Jahre ist es her, dass der Reformator auf die damals verlassene Grenzveste oberhalb seiner lieben Stadt Eisenach verbracht wurde und sich dort der Abgeschiedenheit und der Übersetzung hingab.
Dieser neuen Schrift - und das ist mindestens dem Bildungsbürgertum bekannt - verdanken wir den Grundstein der Sprache, mit der wir noch heute (wenn auch in moderner Form) kommunizieren. Und nicht nur die Sprache blieb uns erhalten. Zahlreiche Phrasen und Wendungen haben wir bis in den heutigen Alltag übernommen. Schließlich soll noch immer ein Zahn zugelegt werden, Recht soll auch heute noch Recht bleiben und es ist bekannt, dass der Herr es den Seinen im Schlaf gibt. Manches davon ist deftig, zotig, strotzt nur so vor lutherischer Derbheit.
Was hingegen weniger bekannt ist, dass ist das Bild Martin Luthers als einen von Krankheiten gezeichneten und im Innersten des Wohlbefindens angegriffenen Menschen.
Während Statuen, Stiche und Malereien uns immer wieder das Bild des aufrecht stehenden, disputlustigen und wohlbeleibten Reformators zeigen, ist die Forschung sich aber inzwischen sicher, dass der Theologieprofessor aus Wittenberg nicht immer wohlgenährt und auch nicht immer so physisch-überzeugend war, wie wir ihn uns oft vorstellen.
Die (aufgrund der Pandemie noch geschlossene) neue Sonderausstellung auf der Wartburg nimmt sich diesem Luther an. Neben Briefen und Schriften des Reformators, zeigt sie auch seine kränkliche und anfällige Seite. Denn schon während seiner Klosterzeit litt Luther an verschiedenen Symptomen, die der Medizinhistoriker und einstige Direktor der Berliner Charité , Hans-Joachim Neumann, unter anderem dem erst im 20. Jahrhundert benannten Roemheld-Syndrom zuordnete. Gallensteine, Gicht und ein offenes Bein (lateinisch Ulcus cruris) komplettierten den gesundheitlichen Zustand des Urvaters der modernen Sprache.
Auch auf der Wartburg, das ist verbrieft, litt Martin Luther unter seinen Erkrankungen - vor allem denen im Magen-Darm-Bereich. Anhaltende Verstopfungen und Magenschmerzen prägten ihn zu dieser Zeit. Und ein Schuldiger war schnell gefunden.
Mein Arsch ist böse geworden. Der Herr sucht mich heim.
schrieb er im Mai 1521 an den späteren Bischof von Naumburg, Nikolaus von Amsdorf. Erst eine Pillenlieferung des Freundes Georg Spalatin half dem Reformator, dass sein Unterleib gesunden konnte. Hämorriden "fast von der Größe einer Wallnuss" plagten ihn jedoch weiter.
Die Sonderausstellung zeigt nicht nur Luthers Donnerbalken, sondern auch die Versuche des Reformators, mit seiner Pein klarzukommen. Etwa ein Kräuterbuch, das den treffend benannten Mittelwind (heute Ackerwinde) als wirksam anpreist. Worauf die Ausstellungsmacher jedoch nicht eingehen, das ist das Gedankenspiel, des sprachlichen Konjunktivs.
Was wäre gewesen, wenn Luther nicht unter seinen Darmproblemen gelitten hätte? Was würde das für unsere Sprache bedeuten? Was wäre mit all den deftigen Wendungen passiert, bei denen Arsch, Furz oder Vergleiche von Stuhlgang und Geburt eine nicht unwesentliche Rolle spielen?
Wir werden es nie erfahren. Was aber sicher sein kann, dass unsere Sprache ohne Luthers Verstopfung heute eine andere wäre. Vielleicht eine, die weniger präzise ist. Vielleicht eine, die poetischer und blumiger ist. Vielleicht eine, die so gar nicht existieren würde.
Was wir aber mit absoluter Sicherheit wissen: Auch am anstehenden Sonntag Rogate (bete!) wird wieder eine Glaube+Heimat erscheinen wird. Sie finden die hoffentlich schon heute oder morgen in Ihrem Briefkasten. Wenn nicht, haben wir unten ein paar Tipps.
Wir wünschen eine gute Lektüre; wo immer, Sie uns lesen. Auch gern "echt lutherisch" dort, wo selbst ein Reformator zu Fuß hingeht!
Falls Sie mehr über die Ausstellung auf der Wartburg erfahren wollen, finden Sie einen Bericht mit vielen Bildern hier.
Weitere Themen unserer Ausgabe sind
- Erklärt: Was ein Kirchenparlament macht
- Entdeckt: Der Merseburger Domschatz kann nun digital betrachtet werden
- Erbeten: Wie der Heilige Nikolaus in Kroatien ein Wunder vollbrachte und bis heute gefeiert wird
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