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Religiöse Volksvertreter

Wie wichtig ist Politikern das Religiöse? Darüber sprach Katja Schmidtke mit dem Politik­wissenschaftler Daniel Thieme.

Welche Funktionen hat Religion in der Politik und im Leben von Politikern?
Thieme:
Ich habe 136 Autobiografien ausgewertet, die deutsche Spitzenpolitiker zwischen 2004 bis 2014 geschrieben haben. Bei der Hälfte bin ich auf religiöse Bezüge gestoßen. Politiker geben ganz persönliche Statements ab, erinnern sich beispielsweise an ihre kirchliche Trauung, ihre Erwachsenentaufe oder andere Gotteserfahrungen. Diese religiösen Bezüge sind so prägend, dass sie in ihren Biografien öffentlich darüber berichten.
Religion wird auch in Bezug auf konkrete politische Standpunkte genutzt. Zum einen werden eigene politische Entscheidungen religiös begründet, und auch ein Abweichen von der Parteilinie mit dem religiös geschulten Gewissen erklärt. Zum anderen setzen sie sich mit bestimmten politischen Positionen der Kirchen auseinander.

In welchen Politikfeldern wird das besonders deutlich?
Thieme:
Immer, wenn es Themen der Bioethik betrifft. Zum Beispiel begründet Andrea Nahles in ihrem Buch sehr ausführlich, warum sie als Katholikin bei Spätabtreibungen eine andere Meinung als ihre SPD-Parteikollegen vertritt. Auch in der Frage der Gleichstellung homosexueller Paare spielt der Glauben eine Rolle. Einige Politiker begründen ihre Ablehnung religiös, andere ihre Zustimmung – das ist spannend, weil hier unterschiedliche Positionen mit ähnlichen religiösen Überzeugungen verknüpft werden.

Welche Rolle spielt dabei die Konfession?
Thieme:
Die Zustimmung oder Ablehnung politischer Meinungen ist nicht unbedingt davon abhängig, ob jemand katholisch oder evangelisch ist. Beispielsweise findet Günther Beckstein keine positive Sicht zur Homosexualität in der Bibel. Als evangelischer CSU-Politiker hat er damit eine andere Meinung als Frank Heinrich, der freikirchlich ist und für die CDU im Bundestag sitzt. Für ihn und den katholischen Grünenpolitiker Winfried Kretschmann gehören christliche Nächstenliebe und die Akzeptanz aller Menschen zusammen.

Stichwort Koalitionsverhandlungen: Kann Religion eine Verbindung stiften?
Thieme:
Alle Parteien, die in Berlin an den Sondierungsgesprächen teilnahmen, haben religiöse Politiker in ihren Reihen. Dennoch denke ich, dass sie vor allem die Interessen ihrer Partei vertreten haben. Religionspolitische Themen standen meines Wissens nicht im Vordergrund der Sondierungen. Im Zwischenmenschlichen kann Religion aber durchaus zur Verständigung beitragen. Man kennt und schätzt sich und kommt trotz politischer Verschiedenheit zu Gottesdiensten, Andachten oder bei Gebetstreffen im Bundestag zusammen.

Sind Politiker überdurchschnittlich religiös?
Thieme:
Ja, besonders stark ausgeprägt ist das in den ostdeutschen Landesparlamenten. Das hängt sicherlich damit zusammen, dass nach der Wende viele Theologen in die Landtage gewählt wurden. Aber auch eine religiös-gebundene Jugend führt zu politischem Engagement. In der christlichen Nächstenliebe steckt der politische Appell des Engagements. Für die Wähler in dieser entkirchlichten Region scheint es kein Problem zu sein, auf politischer Ebene von Christen vertreten zu werden. Nahezu alle Direktmandate im Osten gewinnen Kandidaten der CDU, eine Partei, die das Christliche im Namen trägt. Womöglich ist das für die Wähler aber auch gar nicht das entscheidende Kriterium.

Thieme, Daniel: Religion im Zentrum der Macht. Öffentliche Religiosität deutscher Spitzenpolitiker, Politik und Religion, Springer VS, 249 S., ISBN 978-3-65819323-2, 44,99 Euro
Bezug über den Buchhandel oder den Bestellservice Ihrer Kirchenzeitung: Telefon (0 36 43) 24 61 61

Autor:

Adrienne Uebbing

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