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Vor 85 Jahren wurde Paul Schneider ermordet
Wo war Gott in Buchenwald?

15 der 20 Monate im KZ verbrachte Schneider in dieser Zelle | Foto: Willi Wild
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Vor 85 Jahren ist Pfarrer Paul Schneider im KZ Buchenwald bei Weimar ermordet worden. An seinem Grab in Dickenschied im Hunsrück und in der Gedenkstätte Buchenwald wurde an den Prediger von Buchenwald erinnert.

Von Willi Wild

Ulrich Huppenbauer steht mit einem Ordner in der prallen Sonne vor dem Informationscenter der Gedenkstätte Buchenwald. Der pensionierte Pfarrer wartet auf die Teilnehmer der thematischen Führung zu Paul Schneider, dem „ersten Märtyrer der Bekennenden Kirche“, wie er von Dietrich Bonhoeffer bezeichnet wurde. Im vergangenen Jahr hatte Huppenbauer, der seit seinem Ruhestand Interessierte ehrenamtlich durch die Gedenkstätte führt, diese Spezialführung erstmals angeboten. 15 Teilnehmer hatten sich dem zweistündigen Rundgang damals angeschlossen.

Diesmal ist es nur Johannes Holland-Cunz aus Gutendorf bei Bad Berka. Die Tageszeitung hatte den Termin falsch abgedruckt. Huppenbauer startet trotzdem die „Individualführung“. Erste Station ist die ehemalige Lagertankstelle. Holland-Cunz, gelernter Kfz-Schlosser, erinnert sich, dass diese als „Intertank“ bis zur Wende betrieben wurde und vor allem Westbesuch gegen Devisen dort tanken konnte.

In einer Garage neben der Tankstelle wurde der Leichnam Schneiders, einen Tag nach seiner Ermordung, abgestellt. Er war im Übrigen der einzige der 56 000 Todesopfer zwischen 1937 und 1945, der in einem Sarg aus dem KZ gebracht wurde. Schneiders Frau Margarete wurde zuvor noch gestattet, dass sie in der Garage einen letzten Blick auf den getöteten Ehemann werfen konnte. „Ich sah ja nur seinen Kopf. Unrasiert und ungepflegt und zwischen den Lippen das Blut notdürftig abgewischt. Aber das alles ließ sich vergessen und übersehen, weil ein überirdischer Friede und eine Freude auf diesem Kämpfergesicht lag(en), die uns der Auferstehung und des Überwundenhabens durch des Lammes Blut gewiss machte“, schreibt Margarete Schneider in ihren Aufzeichnungen mit dem Titel „Der Prediger von Buchenwald“.

Die genaue Todesursache ist bis heute nicht geklärt. Es kann aber wohl davon ausgegangen werden, dass Schneider den Verletzungen erlegen ist, die ihm Lageraufseher Martin Sommer zugefügt hat. Sommer, der den Beinamen „Henker von Buchwald“ hatte, galt als der gefürchtetste Vollstrecker von Folterungen. Der brutale Schläger ließ erst von seinen Opfern ab, wenn er selbst von den Stockschlägen Blasen an den Händen hatte.

Ironie der Geschichte: Der Massenmörder verbrachte die letzten Jahre seines Lebens in einer Pflegeeinrichtung der Diakonie. Die Theorie, dass der SS-Arzt Erwin Ding-Schuler Schneider mit einer Giftspritze ermordet habe, ließ sich nicht nachweisen und gilt als eher unwahrscheinlich. Den Nazis nützte der lebende Schneider mehr als der tote.

Ulrich Huppenbauer war vor seiner Pensionierung Gefängnispfarrer. Er kennt die Herausforderung, nicht nur die Opfer, sondern auch die Täter als Gottes ebenbildliche Menschen zu sehen. „Es bleiben viele offene Fragen. Wo war Gott und wie konnte er so etwas zulassen?“ Das, was in Buchenwald geschehen sei, könne man nicht Gott anlasten, meint er. Das sieht er als Problem von Menschen an. Schon in der Bibel könne man entdecken, wie nahe das Gute und das Böse beieinanderliegen. „Paul Schneider und Dietrich Bonhoeffer sind Vorbilder, die das alles erlebt haben und trotzdem Jesus im Leiden an ihrer Seite wussten.“ Johannes Holland-Cunz ergänzt, dass auch Jesus einen grausamen Tod erleiden musste.

Am 18. Juli wurde nicht nur in Buchenwald Paul Schneiders gedacht. Auch an seinem Grab in Dickenschied im Hunsrück erinnerte die rheinische Kirche an den Märtyrer. Der Predigt lag der Psalmvers „Dennoch bleibe ich stets an dir“ (Psalm 73, Vers 23) zugrunde. Der Vizepräses der Landeskirche Christoph Pistorius sprach davon, dass Schneider „ein Zeuge des Dennoch Gottes und ein Zeuge des Dennoch-Glaubens“ gewesen sei.
Beim Gedenkgottesdienst auf dem Appellplatz des KZ Buchenwald betonte Regionalbischof Tobias Schüfer die Standhaftigkeit und Eindeutigkeit des Glaubenszeugnisses des ermordeten Pfarrers. Dabei sei Schneider nicht der geborene Märtyrer gewesen. Doch wer könne das schon von einem Menschen sagen. Dem Pfarrer sei zugutegekommen, dass er viele Bibelstellen auswendig konnte. Dadurch habe er in der größten Not sich und anderen Trost zusprechen können.

Die Theologin Magdalene Frettlöh ist im Weimarer Kulturstadtjahr 1999 in einem Vortrag der Frage "Wo war Gott in Buchenwald?" nachgegangen. Sie hielt darin die unbeantwortete Frage für eine unsererseits unbeantwortbare Frage. "Eine Antwort auf diese Frage erwarte ich allein von Gott selbst, nämlich vor dem Forum des Jüngsten Gerichts als dem Ort der Selbstrechtfertigung Gottes und der damit verbundenen Zurechtweisung und Zurechtbringung aller Geschöpfe."

Im Gedenkgottesdienst auf dem Appellplatz wird aus den Erinnerungen Ernst Cramers zitiert, einem von 10 000 Juden, die in der Reichspogromnacht verhaftet, ins KZ nach Buchenwald gebracht wurden. Nach ihrer Einlieferung am 11. November 1938 mussten sie auf dem Appellplatz antreten.
"An diesem Abend haben wir, zumindest ich, zum ersten Mal eine laute Stimme gehört aus einem Gebäude, von dem wir keinerlei Ahnung hatten, was es war (Anm. d. Red. der Bunker, in dem Paul Schneider 15 Monate bis zu seinem Tode einsaß). Der Mann hat die Bergpredigt ganz laut gesagt, und als er beim sechsten Punkt ›Selig sind die, die um der Gerechtigkeit willen leiden‹ , da sprach hinter mir einer ganz leise: Das kann kein Jude sein. Das muss jemand sein, für den die Bergpredigt etwas ganz Besonderes bedeutet. Ich möchte sagen, dass diese christlichen Worte auch den Juden, die damals da waren, irgendwie eine Art Stärke gegeben haben."

Johannes Holland-Cunz ist Zeuge Jehovas. Im ist daran gelegen, dass die vielen namenlosen Glaubensgeschwister, die hier litten und ermordet wurden, nicht vergessen werden. Mit dem 1978 in Weimar verstorbenen Anton Baumeister kannte er einen Buchenwald-Überlebenden persönlich. Die "ernsten Bibelforscher" wurden wegen ihres konsequenten Pazifismus verfolgt und inhaftiert, etwa 650 in Buchenwald. Mit dem Widerruf der Kriegsdienstverweigerung hätten sie ihre sofortige Befreiung erwirken können. Nur wenige taten dies. Auf einem Gedenkstein steht die Begründung für die Standhaftigkeit: "Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen."

Autor:

Willi Wild

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