Zwischen Betreuen und Behüten
Gibt es ein Rezept für ein zufriedenes Leben mit Kindern? Welche Zutaten machen das Gelingen aus?
Von Katja Schmidtke
Erziehung, sagt Julia Dibbern, ist ein Wort und eine Idee wie aus der Zeit gefallen. Ein Konzept des vergangenen Jahrhunderts, um Kinder zurechtzubiegen, auf dass sie einem bestimmten, vermeintlich sozial erwünschten Bild entsprechen, meint die Fachjournalistin für Familie und Nachhaltigkeit. Heutigen Eltern gehe es vielmehr darum, ihre Kinder zu unterstützen, so wie sie sind und mit dem, was sie brauchen (nicht zu verwechseln mit dem, was sie wollen). Beziehung statt Erziehung.
Seit mehreren Jahren recherchiert und schreibt Julia Dibbern zum Thema, ebenso ihre Kollegin Nicola Schmidt. Gemeinsam haben die beiden Frauen im vergangenen Herbst das Buch »Slow Family – sieben Zutaten für ein einfaches Leben mit Kindern« veröffentlicht. Eine Rezeptsammlung ist das 240 starke Buch gewiss, aber keine Kochanleitung mit Gelinggarantie. Liebe und Achtsamkeit, Natur, Ressourcen und Wissen, Gemeinschaft und Zauber haben die Autorinnen als Zutaten für eine gelungene Eltern-Kind-Beziehung ausgemacht.
An Anfang und Ende dieses einfachen, entschleunigten Zusammenlebens von Mutter, Vater, Kindern steht jedoch die Zeit. »Bei unseren Recherchen über die Faktoren, die Eltern stressen, kamen wir immer wieder auf die Zeit – beziehungsweise den Zeitmangel – durch Arbeit, Termine, ganz oft auch selbstgemacht durch Freizeitstress«, bilanziert Nicola Schmidt. Und das, was Familien brauchen? »Zeit. Da beißt sich die Katze also in den Schwanz.«
»Slow Family« ist kein Manifest wider die Tigermutter, die ihr Kind vollumfänglich fördert und in der Schule und darüber hinaus zu Höchstleistungen treibt. Kinder und ihre Talente zu fördern, ist richtig. »Wenn in der Familie alle gesund und vergnügt sind und mit drei Terminen pro Woche zufrieden, dann ist das doch fein«, sagt Nicola Schmidt. Ihr geht es um jene, die ihr Kind zum Ballett, Klavierunterricht und Frühenglisch schicken aus Angst, etwas zu verpassen, aus Angst, das Kind könnte in der globalisierten Welt nicht mithalten. »Der Druck, perfekte Kinder zu haben, war noch nie so groß wie heute«, sagt Julia Dibbern.
»Slow Family« will Eltern den Druck nehmen, ist ein Plädoyer für die Achtsamkeit im Umgang mit kleinen Geschöpfen. Wer seinem Kind zugesteht, zum Beispiel morgens vor der Kita zehn Minuten lang den Käfer am Wegesrand zu beobachten, ermöglicht Naturerfahrung, auch ohne am Nachmittag zur Raubtierfütterung in den Zoo zu hetzen.
Sich Zeit zu nehmen für seine Kinder erweitert für Julia Dibbern und Nicola Schmidt die Perspektive auf das Thema Erziehung. Unterm Brennglas steht nicht allein die Kleinfamilie aus Mutter, Vater, Kind – und das unterscheidet »Slow Family« von anderen, typischen Erziehungsbüchern und Ratgebern. Die Autoren wechseln in eine globale Perspektive, thematisieren Umweltschutz, Konsumkritik und Nachhaltigkeitstheorien. Ihre Vision: zufriedene Familien, zufriedener Planet. Wer gesund ist an Körper, Geist und Seele, wer sich wertvoll fühlt, kümmert sich um andere. Wo sich Eltern und Kinder wahrnehmen, wo gesprochen wird, wo man Zeit füreinander hat, kann man sich auch auf ein gebrauchtes Handy einigen, kann man Kleidungsstücke für Babys mieten statt neu zu kaufen, bringt man das Altglas zum Container, statt es im Hausmüll zu verstecken.
»Mein neunjähriger Sohn liebt Wale, nun hat er ziemlich schnell mitbekommen, wie wir durch Plastikmüll den Lebensraum der Tiere, das Meer, verschmutzen. Was können wir schon dagegen tun?« Nicola Schmidt überlegt nicht lange. »Wir kaufen im verpackungsfreien Laden ein.« Es ist eine Ermutigung, dass jede Entscheidung im Leben zählt und dass selbst ein Weg der kleinen Schritte ein Weg zum Ziel bleibt. »Stellen Sie sich vor, wie unsere Wälder aussehen würden, wenn 80 Millionen Menschen jeweils eine Tüte Müll heraustragen würden!«
Dies ist ein Rezept von Nicola Schmidt und Julia Dibbern. Auch wenn ihr Buch voll solcher Ideen ist, Anleitungen wollen sie ihren Lesern eigentlich nicht geben, eher Anregungen. Nur eines empfehlen sie von Herzen für die To-do-Liste: »Schauen Sie den Menschen, die Sie lieben, mindestens einmal am Tag ins Gesicht und sagen ihnen: Schön, dass du da bist.«
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