Deine Brüste sind wie Gazellen
Liebesgeflüster: Im Alten Testament stößt man auf wundersame Verse. Lippen werden mit Honigseim verglichen, und der Körper des Geliebten duftet wie die Bergfrische des Libanon. Was macht diese erotische Lyrik in der Bibel?
Von Tilman Baier
Diese Verse gehörten »zum Schönsten und Anmutigsten, was Dichter bis heute an Liebespoesie verfasst haben«, ist Hans-Jürgen Abromeit überzeugt. Darum hatte sich der Greifswalder Bischof mit zwei Schauspielern und einem Kirchenmusiker zusammengetan, um das Hohelied Salomos aus dem Alten Testament einem größeren Kreis von Urlaubern und Einheimischen näherzubringen.
Abromeit, stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Bibelgesellschaft, sieht es als wichtige Aufgabe an, gerade im Osten Deutschlands das »Buch der Bücher« bekannter zu machen. Als Veranstaltungsorte bieten sich da die Urlaubsregionen an: »Ich finde die Zusammensetzung der Zuhörer aus Mitgliedern der Kirchengemeinde und Touristen immer sehr reizvoll.«
Das »Lied der Lieder«, wie der hebräische Name Schir ha-Schirim für das Hohelied wörtlich übersetzt heißt, ist da ein guter Anknüpfungspunkt. Schließlich muss man nicht gläubiger Christ oder Jude sein, um diese Bibelverse zu verstehen und vielleicht sogar in sie einzustimmen: Sie stecken voller Sehnsucht nach dem geliebten Partner. Schwärmerisch, oft in poetischen Metaphern, die noch heute im orientalischen Kulturkreis gebräuchlich sind, werden menschliche Liebe und Erotik besungen. Abwechselnd beschwören eine Frau und ein Mann ihre Liebe zueinander, finden Worte für ihr Verlangen. Trennung und Vereinigung, Begehren und Erfüllung wechseln sich ab. Selbst im Kreis ihrer Freundinnen preist sie ihren Geliebten in höchsten Tönen – und auch er malt mit Worten seinen Freunden ein höchst schmeichelhaftes Porträt seiner Geliebten.
»Bemerkenswert am Hohelied ist, dass hier die Frau im Mittelpunkt steht, die in Offenheit von ihrem erotischen Begehren spricht – und das vor 2500 Jahren«, merkt der promovierte Theologe Abromeit an. So beginnt der Verszyklus mit einem Sehnsuchtslied der Frau. Und er endet mit Versen, in denen sie den Geliebten antreibt, doch endlich zu ihr zu kommen. Auch sonst kommt sie häufiger zu Wort als ihr männlicher Gegenpart. Und sie ist nicht einfach die Passive, Abwartende, sondern ergreift selbst die Initiative. Nun steht diese erotische Lyrik voller Poesie ja nicht erst seit unseren angeblich freizügigeren Zeiten im Bücherregal jeder frommen Familie.
Doch wie sind patriarchale Hausväter oder Kirchenobere damit umgegangen? Nach Ansicht des Bischofs wurde das Hohelied jahrhundertelang verschämt versteckt oder als Gleichnis für das Verhältnis der menschlichen Seele zu ihrem himmlischen Bräutigam umgedeutet. Vor allem im Barock war dies üblich – immerhin hat auch Johann Sebastian Bach zum Stilmittel der Liebeslyrik gegriffen, um die Beziehung zu Christus darzustellen, so in der berühmten Echo-Arie im Weihnachtsoratorium.
Doch Hans-Jürgen Abromeit will dabei helfen, auch die ganz menschliche Dimension des Hoheliedes wieder zu erschließen. Denn es »schenkt uns eine Sprache, die dem Geheimnis und der Schönheit der Erotik nahekommt.«
Der Ahlbecker Kantor Martin Seimer, der die bisherigen Veranstaltungen musikalisch begleitet hat, meinte nach den ersten beiden Abenden auf Usedom: »Diese Verse sind von einer solchen Kraft – da habe ich bewusst nur sehr zurückhaltend die Teile der Lesung miteinander verbunden.«
Und was hat nun diese erotische Poesie in der Bibel zu suchen? Bischof Hans-Jürgen Abromeit antwortet auf die Frage »Warum sollte man in der Bibel lesen?« kurz: »Weil es die einzig verlässliche Weise ist, Auskünfte über Gott zu bekommen.« Übertragen heißt das
ja wohl: Erotik ist ein Gottesgeschenk – Grund genug, dieses »Lied der Lieder« im »Buch der Bücher« zu haben und auch einmal zum Gegenstand einer Bibelwoche zu machen.
Autor:Online-Redaktion |
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