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Gefangen vor dem PC-Bildschirm: Internetsucht ist schwer behandelbar. | Foto: epd-bild
  • Gefangen vor dem PC-Bildschirm: Internetsucht ist schwer behandelbar.
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Internetsucht: Mindestens eine halbe Million Menschen in Deutschland sind davon betroffen. Die Möglichkeiten, ihnen zu helfen, sind beschränkt, auch weil die Finanzierung oft nicht geklärt ist.

Von Nils Sandrisser

Wenn Ralf W. morgens aufwacht, führt ihn sein erster Gang zum Computer. Stundenlang klickt er sich durch Online-Spiele, kann sich kaum losreißen. »Die anderen Dinge, die ich tagsüber machen will, scheinen so schwierig und unerreichbar«, erzählt er. »Ich saß auch schon mal vier Stunden lang am Rechner und hab’s nicht fertiggebracht, mir einen Kaffee zu machen.« Vieles nehme er sich gar nicht erst vor, sagt Ralf W. Er empfinde seine Sucht auch körperlich und beschreibt eine Leere, die er nicht anders füllen könne, ein Gefühl innerer Unruhe: »Wenn ich vor dem Rechner sitze, ist das dann weg.«
Unter der Bezeichnung »Internetsucht« fassen Forscher mehrere Verhaltensweisen zusammen. Meist geht es dabei um junge Computerspieler, die sich in Online-Rollenspielen verlieren. Es betrifft aber auch Menschen, die im Internet ziellos Waren bestellen, Pornoseiten aufrufen, in sozialen Netzwerken surfen oder Geld bei Glücksspielen verwetten. Als internetabhängig gelten in Deutschland nach Angaben der Bundesdrogenbeauftragten Marlene Mortler (CSU) derzeit rund 560 000 Menschen – mit hoher Dunkelziffer.
Die Grundlagen einer Sucht werden häufig in der Kindheit gelegt. Der Psychologe Kai Müller, der am Kompetenzzentrum Verhaltenssucht der Uniklinik Mainz forscht und therapiert, nennt hier die emotionale Vernachlässigung durch die Eltern, fehlende Bindung oder Traumata. Introvertierte, schüchterne oder misstrauische Menschen würden besonders häufig den Verlockungen von Computerspielen oder sozialen Netzwerken erliegen, wo sie nur mit dem Bildschirm kommunizieren müssten. Auch Ralf W., heute 51 Jahre alt, berichtet, seine Mutter habe ihn wenig wertgeschätzt und als Dreijährigen oft alleine zu Hause gelassen. Eine Vaterfigur gab es nicht.
Die Wartelisten für Patienten seien lang, beklagt Müller: »Als Therapeut mit eigener Praxis muss man schon überlegen, ob man einen Patienten behandeln kann.« Dafür seien oft wirtschaftliche Gründe ausschlaggebend, denn man müsse zuvor abklären, ob Kranken- oder Rentenversicherungen die Behandlung bezahlen – was sie manchmal tun, aber nicht müssen, denn nach wie vor ist Internetsucht als Krankheit nicht anerkannt. Wahrscheinlich werde sie aber in diesem oder im nächsten Jahr in den Leistungskatalog aufgenommen. Bislang behelfen sich Therapeuten damit, dass sie bei ihren Patienten eine Impulskontrollstörung diagnostizieren.
Internetsucht ist nicht unbedingt leicht zu behandeln. Bei einer stoffgebundenen Sucht wie der nach Alkohol oder Heroin können Betroffene leichter abstinent bleiben. Das Internet dagegen ist Teil des Alltags. »Es ist natürlich einfacher, wenn man sich auf einen bestimmten Suchtstoff konzentrieren kann«, erklärt Müller. Psychologen biete sich ein Ansatz darin, dass Internetsucht an eine bestimmte Aktivität gebunden sei wie Einkaufen oder Pornos gucken.
Diese Ansätze bieten sich sogar im Internet selbst. Das Projekt »webC@re« der Hessischen Landesstelle für Suchtfragen etwa ist eine Online-Selbsthilfegruppe für Internetsüchtige. Das sei keineswegs so, als therapiere man Alkoholiker in einer Bar, sagt Patrick Durner von »webC@are«: »Man ist nicht süchtig nach dem Internet, sondern nach bestimmten Inhalten.« Außerdem gebe es derzeit schlicht noch nicht viele Selbsthilfegruppen für Internetsüchtige und daher kaum andere Möglichkeiten als eben im Netz. Ein handfester Vorteil sei die virtuelle Selbsthilfegruppe für Sozialphobiker, erklärt Durner: Sie könnten sich Hilfe suchen, ohne ihre Hemmung überwinden zu müssen.
»Grundvoraussetzung für eine Teilnahme ist eine Problemeinsicht«, sagt Durner. Das sei einer der Gründe, warum eher junge Erwachsene als Jugendliche Klienten von »webC@re« seien. Problemeinsicht und Leidensdruck stellten sich oft erst nach Jahren ein.
»Jüngere sind nicht weniger gefährdet, aber die schwerwiegendsten Fälle finden wir im jungen Erwachsenenalter zwischen 17 und 29«, sagt auch der Mainzer Psychologe Müller. Es sei häufig so, dass sich Sucht erst später so manifestiere, dass sie Probleme mache.
Ralf W. ist schon seit längerer Zeit in Therapie. Er ist noch nicht weg vom Online-Spielen, arbeitet aber mittlerweile in einer Maßnahme beim »Frankfurter Verein«, vier Tage die Woche jeweils vier Stunden lang. Es helfe ihm, seinen Tagesablauf zu strukturieren, allerdings setzt er sich sofort vor den Computer, wenn er nach Hause kommt. Aber vor Kurzem, als schönes Wetter war, ist er mal in den Park gegangen. (epd)

Stecker ziehen? Was Eltern tun können

Sitzt das Kind stundenlang vor dem PC, sollten Eltern nicht in Panik ausbrechen, rät der Medienpädagoge Patrick Durner. Oft sei das nur ein exzessives Ausprobieren, das sich mit fortschreitendem Alter häufig wieder gebe. Eltern sollen sensibel sein und wissen, ob es ihren Kindern gut geht. Sie sollen nachfragen, was genau das Spielen ihrem Kind gibt, welches Defizit sie so ausgleichen.
Darüber hinaus ist die Medienerziehung wichtig, denn schon Kinder müssen verinnerlichen, nach welchen Regeln sie Online-Medien nutzen können. Durner rät Eltern ab, bei Problemen Fakten zu schaffen: »Bitte nicht einfach den Stecker ziehen. Das eskaliert oft.«

Autor:

Adrienne Uebbing

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