Wo die Friedliche Revolution begann
Rückblick: Vor 30 Jahren tagte erstmals die Ökumenische Versammlung für Gerechtigkeit, Frieden und Schöpfungsbewahrung in Dresden.
Von Hans-Jürgen Röder
Um Dresdens Ruf ist es derzeit nicht gut bestellt. Vor allem Wirtschaft, Handel und Tourismus klagen über heftige Umsatzeinbußen. Der Grund: die wöchentlichen Pegida-Aufmärsche im Zentrum der sächsischen Landeshauptstadt, die den Verantwortlichen in der Elbmetropole seit Herbst 2014 erheblich zu schaffen machen.
Dabei sind von der Stadt vor Jahren einmal wichtige Impulse für Frieden und Versöhnung ausgegangen, die weit über Dresden und die DDR hinaus Spuren hinterlassen haben. Erinnert sei nur an das große Friedensforum in der Dresdner Kreuzkirche 1981 mit weit über 4 000 zumeist jugendlichen Teilnehmern oder an die Ökumenische Versammlung für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung, die vor nunmehr 30 Jahren, am 12. Februar 1988, zu ihrer ersten Plenumssitzung an der Elbe zusammenkam.
Gastgeber des Treffens war die Dresdner Christusgemeinde mit ihrer bemerkenswerten Jugendstilkirche und dem gastlichen Gemeindehaus. Lange Zeit tagte hier die Synode der sächsischen Landeskirche zweimal im Jahr und beriet dabei wiederholt öffentlich über gesellschaftspolitische Probleme wie die Benachteiligung junger Christen in Schule und Beruf oder das staatliche Vorgehen gegen die Friedensaufnäher »Schwerter zu Pflugscharen«.
Nun saßen in dem großen Saal des Gemeindehauses, in dem alles ein wenig zu eng schien, die 140 Vertreter nahezu sämtlicher Kirchen und christlichen Gemeinschaften in der DDR sowie einige Dutzend Berater, Gäste und Beobachter. Seit der Anregung zu dieser Versammlung, die ebenfalls aus Dresden kam, hatte der Vorbereitungsausschuss über 10 000 Vorschläge zu den Themen Gerechtigkeit, Frieden und Schöpfungsbewahrung erhalten. Das aber drohte den Rahmen der Möglichkeiten zu sprengen.
Für den Auftakt der Beratungen, die weithin hinter verschlossenen Türen erfolgten, waren zudem neun engagierte Vertreter der Zivilgesellschaft gebeten worden, »Zeugnisse der Betroffenheit« zu formulieren und in öffentlicher Sitzung in der Christuskirche vorzutragen. Die Palette der Themen, die dabei zur Sprache kamen, reichte vom Waldsterben im Erzgebirge bis zu den Gefahren der Kernenergie und vom Zusammenleben mit Ausländern bis zu Problemen der Abrüstung, der Friedenserziehung oder der Wehrdienstverweigerung. Welches Risiko sie damit auf sich nahmen, lässt sich leicht ahnen angesichts der Erfahrungen, die kritische Geister in der DDR beim Überfall der Staatssicherheit auf die Ost-Berliner Umweltbibliothek im November 1987 oder nach der Liebknecht-/Luxemburg-Demonstration im Januar 1988 gemacht hatten: Hausarrest, Reisebeschränkungen, Zuführungen oder vorübergehende Festnahmen waren noch die harmloseren Reaktionen der Partei auf widerständiges Verhalten der zumeist jungen Leute.
Dennoch war die Bereitschaft, an der Ökumenischen Versammlung engagiert teilzunehmen, von Anfang an groß. Und das galt vor allem auch für die Delegierten und Berater, die aus nichtkirchlichen Berufen kamen. Auch für sie war das Risiko beträchtlich, zumal die DDR-Staatssicherheit auch für Zuträger aus den nicht öffentlichen Beratungen der Tagungsausschüsse gesorgt hatte. Dass es dabei nicht ohne Streit und heftige Kontroversen abging, kann nicht verwundern. Denn vertreten waren ja nicht nur die kirchlichen Leitungen, sondern gleichberechtigt auch die kirchlichen Basisgruppen. Am Ende dieses ersten Treffens waren sich alle darin einig, nicht nur an der begonnenen Aufgabe weiterzuarbeiten, sondern dies auch mit der erforderlichen Energie und dem nötigen Engagement zu tun.
Mit diesem Vorsatz kamen die Delegierten, Berater und Gäste ein halbes Jahr später, im Oktober 1988, erneut für vier Tage im Plenum zusammen – diesmal in der Domgemeinde Magdeburg. Die 13 Arbeitsgruppen, die in Dresden gebildet worden waren, hatten inzwischen eine Reihe von Texten formuliert, die nun im Plenum diskutiert, aber auch an die Kirchen, Gemeinden und Gruppen mit der Bitte weitergegeben wurden, sich mit ihnen auseinanderzusetzen.
Ende April 1989 fand dann das abschließende dritte Treffen statt – wiederum in der Christusgemeinde in Dresden. Die Zeit drängte, weil für Mitte Mai ein ökumenisches Treffen auf europäischer Ebene zum Thema »Frieden in Gerechtigkeit« in Basel geplant war und die DDR-Vertreter ihre Beratungsergebnisse dort vorstellen wollten.
Wesentlich größer als dieser Druck war allerdings der Reformdruck aufgrund der politischen und gesellschaftlichen Situation in der DDR. Seit Februar 1988, als die SED über ein Dutzend sogenannter Bürgerrechtler in den Westen abgeschoben hatte, hatte sich die Situation noch einmal erheblich verschärft. Selbst unter den SED-Genossen wuchs die Einsicht, dass eine Lösung der vielfältigen Probleme und Konflikte im Land mit einem nahezu greisen Politbüro kaum gelingen könne. Gleichzeitig forderten zunehmend mehr Menschen von der SED-Führung konkrete politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Reformen. Andere, die für sich in der DDR keine Perspektive mehr sahen, drängten auf Übersiedlung in den Westen.
Vor dieser Situation legte die Ökumenische Versammlung Ende April 1989 ihre überarbeiteten zwölf Texte vor. Sie enthielten eine ebenso nüchterne wie präzise Analyse der Situation im Land und auf der Welt. Und sie forderten zur Überwindung weltweiter wie landesweiter Ungerechtigkeit auf, verwiesen auf die Erfordernisse für ein friedliches Zusammenleben der Menschheit und setzten sich mit den vielfältigen Bedrohungen der natürlichen Lebensgrundlagen auseinander.
Besonderes Gewicht hatte ein längerer Text, der als theologische Grundlegung für die gesamte Arbeit galt und mit dem sich die Kirchenvertreter erstmals auf gemeinsame sozialethische Aussagen verständigten. Nicht minder bedeutsam war aber auch die gemeinsam geäußerte Überzeugung, dass auch der Sozialismus in der DDR eine Umgestaltung nötig habe, die mehr Demokratie, mehr Offenheit, mehr Rechtlichkeit und neue Prioritäten in der Politik zum Ziel haben müsse.
Welche gesellschaftspolitischen Veränderungen dazu notwendig waren, beschrieb vor allem der Text zum Thema »Mehr Gerechtigkeit in der DDR«, in dem ein freimütiger und ehrlicher Meinungsaustausch, volle Rechtssicherheit, eine klare Trennung der Kompetenzen von Staats- und Parteifunktionären, ungehinderte Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, eine Reform des Wahlrechts sowie die freie Entfaltung der Kunst gefordert wurde. Nötig sei zudem ein Bildungs- und Erziehungssystem, das Menschen zu verantwortlicher Lebensführung und zu mündiger Mitwirkung an den Gemeinschaftsaufgaben befähigt.
Wenige Monate später haben sich zahlreiche Initiativen und Reformgruppen diese und weitere Forderungen – teils bis in die Formulierungen hinein – zu eigen gemacht und in ihre Gründungsaufrufe oder Programmdokumente aufgenommen. Nicht wenige derer, die sie in der Ökumenischen Versammlung mitformuliert hatten, gehörten dann auch zu den Aktiven dieser neuen Bewegung, die im Herbst 1989 zusammen mit den vielen kleinen und großen Demonstrationen in der DDR den Anstoß zur Friedlichen Revolution gegeben haben.
Der Autor arbeitete seit 1979 als DDR-Korrespondent für den Evangelischen Presse-
dienst (epd) und war nach 1989 über 20 Jahre Leiter des von ihm 1990 gegründeten Landesdienstes Ost des epd.
Autor:Online-Redaktion |
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